Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Food-Tracking per App
Die künstliche Intelligenz sagt dir, was du isst

Frau nutzt Ernährungs-App auf Smartphone, während sie vor einem Teller mit Hühnchen und Gemüse sitzt. Ein Glas Wasser steht daneben.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Der Epidemiologe Marcel Salathé hat die App «My Food Repo» zur Erfassung von Essgewohnheiten entwickelt.
  • Die App verwendet künstliche Intelligenz zur Analyse von Mahlzeiten.
  • Es gibt bereits ähnliche Apps von privaten Anbietern.
  • Die konsumierten Kalorien und Nährwerte zu tracken, kann Vor- und Nachteile haben.

Schweizweit bekannt wurde Marcel Salathé als Mitglied der Covid-19-Taskforce. Heute befasst sich der Epidemiologe der ETH Lausanne vor allem mit Essen. Genauer: mit der Auswirkung der Ernährung auf die Volksgesundheit.

Dafür analysiert Salathé auch sein eigenes Essverhalten, und zwar genauestens. Salathé macht von jeder seiner Mahlzeiten ein Foto, die App «My Food Repo» spuckt ihm die Kalorien- und Nährwertangaben der einzelnen Bestandteile aus.

Salathé ist Mitentwickler von «My Food Repo» und bezeichnet sich selbst als «Power-User» der App: Er tracke seit Oktober täglich sein Essen und habe dank der App vier Kilogramm abgenommen – wie er Anfang Jahr via Linkedin mitteilte.

Professor Marcel Salathé steht mit verschränkten Armen im Biothec Campus der EPFL vor einer Glasfassade.

Salathé interessieren aber nicht nur seine persönlichen Essgewohnheiten, sondern er hat auch ein Forschungsinteresse. Dass gesunde Ernährung Krankheiten vorbeugen könne, sei allen klar, sagt Salathé: «Aber effektiv wissenschaftlich erforscht sind diese Zusammenhänge noch zu wenig.»

Ein Grund dafür: Für Probandinnen und Probanden war es bisher aufwendig, im Alltag detaillierte Daten über ihr Essverhalten zu sammeln. Salathé sah schon vor zehn Jahren voraus, dass das mithilfe künstlicher Intelligenz deutlich einfacher werden dürfte – und begann mit der Entwicklung von «My Food Repo».

Letztes Jahr veröffentlichte Salathé die erste Studie, für die er «My Food Repo» verwenden konnte. Darin geht es um individuelle Veränderungen des Glukosespiegels nach der Einnahme von Mahlzeiten. Auch Forschende aus Deutschland, Frankreich und Holland nutzen Salathés Tool bereits.

Die für die Wissenschaft entwickelte Technologie will Salathé nun doch einem breiteren Publikum zur Verfügung stellen: Noch diesen Frühling soll «My Food Repo» auf den Markt kommen. «Dank der KI-Revolution der letzten zwei Jahre ist die App so weit, dass auch Privatpersonen sie nutzen können», erklärt Salathé. Zuvor mussten die von der App generierten Daten jeweils noch von einem Mitarbeiter aus seinem Team kontrolliert werden.

Was die App nicht weiss, macht sie nicht heiss

Ob es eine Marktlücke für «My Food Repo» gibt, ist fraglich: Es gibt bereits zahlreiche Apps von privaten Anbietern. Wer will, kann sogar Chat-GPT für die Ernährungsanalyse nutzen. Der Ablauf ist überall ähnlich: Nutzer laden ein Foto einer Mahlzeit hoch, und nach circa 60 Sekunden Wartezeit führt die KI die Kalorien sowie die Menge an Fett, Kohlenhydraten und Proteinen auf, die konsumiert wurden.

Basierend auf dem Foto eines Salattellers aus der Kantine beispielsweise listet die App «Snap Calorie» alle Bestandteile – Rüeblisalat, Linsen, Tomaten, Hüttenkäse, Thon, ein Stück Brot – und berechnet 627 Kalorien, 11 Gramm Fett, 82 Gramm Kohlenhydrate und 56 Gramm Proteine.

Bei anderen Mahlzeiten hingegen hat die App Probleme: Von einer Schüssel mit Joghurt, Apfelschnitzen und Granola erkennt «Snap Calorie» nur einen halben Apfel und eine ganze Schüssel Granola. Was nicht sichtbar ist, erfasst die KI nicht. Das gilt im Übrigen auch für Zutaten wie Salz oder Butter.

Eine weitere Herausforderung sind die Mengen: «Snap Calorie» macht kryptische Angaben wie «eine Portion», etwa bei Spätzli oder Spinat, oder berechnet die Kalorienwerte für eine Familienpackung Chips statt nur einer Handvoll.

Person hält Smartphone mit Ernährungs-App, die ein Bild eines Desserttellers mit Kuchenstück zeigt.

«Tatsächlich ist es für alle Apps noch schwierig, das Gewicht der Lebensmittel einzuschätzen», sagt Marcel Salathé. Seine App überschätze die Portionen tendenziell eher. Bewusst, so Salathé, denn: «Wenn es ein Lebensmittelproblem gibt, sind es zu viele Kalorien.»

Nicht allen Nutzern geht es ums Abnehmen: Einige wollen sich richtig ernähren, um den Körper beim Krafttraining zu formen, andere einen gesunden Körper im Alter. «Gewisse Ernährungsziele haben alle», glaubt Epidemiologe Salathé. Es habe sich in der Bevölkerung ein grösseres Bewusstsein entwickelt, dass gesunde Ernährung wichtig sei.

Laut Fitnesscoach Thierry Kapp sollte jeder über seine Ernährung nachdenken – auch wer keinen Leistungssport betreibt. «Viel wichtiger als die Kalorien sind aber die Makros», so Kapp. «Makros» steht für Makronährstoffe, dazu zählen Kohlenhydrate, Proteine und Fette. Er empfiehlt seinen Kundinnen und Kunden, in jeder Mahlzeit alle drei Makronährstoffe zu sich zu nehmen.

Das Tracking des Essens mittels Foto könne es Menschen einfacher machen, ihre Ernährung in den Griff zu bekommen, sagt Kapp: «Darauf verlassen würde ich mich aber nicht.»

Zusätzliche Daten machen Ernährungs-Apps intelligenter

Er selbst nutze die künstliche Intelligenz vor allem, um auf seine Protein- und Ballaststoffzufuhr zu achten, erzählt Marcel Salathé. Genügend Proteine zu sich zu nehmen, sei für jeden ab 30 wichtig, denn im Alter drohe der Muskelschwund. Wenn Salathé am Mittag auf der «My Food Repo»-App sieht, dass er noch wenig Proteine zu sich genommen hat, passt er auch mal die Kochpläne fürs Abendessen an.

Wer sein Essverhalten genauer kennen will, als die App dies erlaubt, muss selbst ergänzen. Dafür bieten viele Apps auch die Möglichkeit, den Barcode und die Nährwerttabellen eines Produkts zu scannen – das sogleich zur Datenbank hinzugefügt wird. «Das tolle an der KI ist: Sie wird immer besser», so Marcel Salathé.

Doch die Daten, die Nutzerinnen und Nutzer der Ernährungs-KI füttern, werden nicht nur zur Verbesserung der Software verwendet: Zur Finanzierung der Apps, die meistens in einer Gratisversion erhältlich sind, verkaufen Anbieter die Daten auch an Werbetreibende. Gemäss den Nutzungsbedingungen der App «Snap Calorie» etwa tritt der Kunde alle Rechte an seinen Benutzerdaten an den Hersteller ab. Das dürfte ein Vorteil von Salathés App sein – er will aus der Marktfreigabe von «My Food Repo» keinen Profit schlagen.

Die richtige Ernährung sollte nicht zum Zwang werden

Anke Kopfmüller, Präsidentin der Swiss Personal Trainer Federation (SPTF) und Ernährungscoach, warnt allerdings auch davor, dass eine übermässige Fixierung auf Essen, Kalorien und Nährwerte zu zwanghaftem Verhalten führen könne. Kopfmüller empfiehlt, das Tracking regelmässig zu hinterfragen: «Hilft es mir wirklich, meine Ernährung anzupassen? Oder stresst es mich eher, wenn ich sehe, was ich alles zu mir genommen habe?» In Extremfällen könne gar eine Art Wettbewerb entstehen, wer am wenigsten esse, etwa unter Kollegen.

Anke Kopfmüllers Kunden sollen ihr Essverhalten deshalb nur phasenweise genau verfolgen: «Zwischendurch kann man die App gern beiseitelegen», so Kopfmüller. 

Marcel Salathé hingegen will weiterhin durchgehend seine Ernährung mit «My Food Repo» tracken: «So komisch das klingen mag, mir macht es Spass, mein Essen zu tracken.»