Intervallfasten und LanglebigkeitLässt eine Diät Menschen wirklich länger leben?
Nagetiere, die permanent zu wenig essen, können erstaunlich alt werden. Menschen hoffen, mit regelmässigem Abnehmen einen ähnlichen Effekt zu erzielen. Wie aussichtsreich ist das?
- Die Auswirkungen von Intervallfasten auf Langlebigkeit sind noch unklar.
- Obgleich Studien bei Tieren einen positiven Nutzen aufzeigen, ist dies beim Menschen schwerer festzustellen.
- Gene haben vermutlich mehr Einfluss auf Langlebigkeit als alleinige Kalorienbeschränkungen.
Als sich der US-Biologe Clive McCay in den 1930er-Jahren über seine Rattenkäfige beugte, erwies er eine erstaunliche Weitsicht. In Zeiten, als die Schlemmereien heutiger Wohlstandsstaaten noch in ferner Zukunft lagen, trieb ihn die Frage um, welche gesundheitlichen Vorteile Hungerperioden haben könnten.
Knapp vier Jahre lang liess er einen Teil seiner Ratten so viel fressen, wie in deren Bäuche passte. Anderen Ratten teilte er dagegen karg bemessene Portionen zu: kleine Mahlzeiten, die allerdings alle wichtigen Nährstoffe enthielten. Nach 1189 Tagen starb das letzte Mitglied in der Gruppe der Vielfresser, während in den Käfigen der Diätnager noch immer Leben war. Die fitteste Ratte wurde schliesslich 1421 Tage alt.
Ein «enormes Alter» sei das, schliesslich lebe ein Tier dieser Art normalerweise nur etwa 730 Tage lang, schrieb der Biologe in seinen Veröffentlichungen.
Es dauerte Jahrzehnte, bis McCays Experimente auf breiteres Interesse stiessen. Mittlerweile aber sind Menschen von den Ergebnissen dieser wie folgender Versuche so überzeugt, dass auch sie sich immer wieder einem moderaten Hunger aussetzen.
Intervallfasten ist populär
Sie versuchen – wie in den Tierexperimenten – ihre Kalorienaufnahme kontinuierlich niedrig zu halten, was allerdings auf Dauer schwierig ist. Oder aber sie essen nicht zwangsläufig weniger, dafür aber zumindest seltener. Manche essen etwa an einigen Tagen pro Woche nur sehr wenig, andere verzichten täglich 16 Stunden lang auf jegliche Nahrung. Diese Intervallfasten genannte Methode ist leichter durchzuhalten und damit populärer.
Ob ihre Anhänger allerdings ein Rekordalter erreichen, ist nicht zweifelsfrei zu sagen. Während die lebensverlängernde Wirkung des Hungers bei verschiedenen Tierarten – darunter Würmer, Fliegen, diverse Nager und Affen – bereits in Studien untersucht wurde, ist sie für den Menschen kaum sicher zu ermitteln. Lebenslange Experimente wären Menschen schwer zumutbar und darüber hinaus enorm aufwendig.
So dauerte die bisher längste Interventionsstudie zu Essenseinschränkungen beim Menschen nur zwei Jahre. US-Forscher wiesen etwa 140 gesunde, normal- bis leicht übergewichtige Probanden an, ihre übliche Kalorienzahl um 25 Prozent zu reduzieren – unterstützt durch umfangreiche Beratungen.
Nicht alle hielten die strenge Diät durch
Nicht alle Teilnehmer schafften es, dem ausgedünnten Speiseplan zu folgen. Dennoch hatten die Probanden am Ende des ersten Jahres durchschnittlich knapp 12 Prozent Gewicht verloren. Innerhalb des zweiten Jahres bröckelte die Disziplin der Probanden weiter, und doch lag das Durchschnittsgewicht am Ende der Studie noch immer 10 Prozent niedriger als zu Beginn.
Zugleich reduzierten die Studienteilnehmer eine Reihe klassischer Risikofaktoren für Stoffwechsel- und kardiologische Erkrankungen. Die Werte für Blutdruck, Blutzucker, Cholesterin und Entzündungen besserten sich signifikant unter den Darbenden, nicht aber in einer Vergleichsgruppe. Das sei von grosser gesundheitlicher Bedeutung, schlussfolgerte das internationale Forscherteam. Nur: Ob den Versuchsteilnehmern tatsächlich ein langes Leben bevorsteht, ist damit noch nicht gesagt.
Beobachtungen helfen auch nur begrenzt weiter. Verfechter des moderaten Hungerns verweisen gerne auf die Bewohner der japanischen Okinawa-Inseln. In den 1990er-Jahren lag deren Lebenserwartung bei 83,8 Jahren. Die Insulaner wurden damit mehr als ein Jahr älter als die Menschen im gesamten Japan und etwa fünf Jahre älter als der durchschnittliche US-Amerikaner. 50 pro 100’000 Okinawa-Bewohner konnten ihren 100. Geburtstag feiern; das sind vier- bis fünfmal so viele Jubilare wie in den meisten Industrienationen.
Als Erklärung für die Langlebigkeit dieser Menschen wird häufig die restriktive Ernährung genannt, die lange Zeit auf den Inseln vorherrschte. Die Insulaner nahmen im Schnitt permanent etwa 10 bis 15 Prozent weniger Kalorien auf, als sie nach herkömmlichen Berechnungen benötigt hätten. Doch einen sicheren Beweis für den Zusammenhang zwischen Hunger und Langlebigkeit liefert die japanische Region damit dennoch nicht.
Ramadan ohne positive Folgen auf die Lebenserwartung
Denn: Auf der anderen Seite gibt es Beobachtungen von Menschen, die Ramadan feiern. Obwohl im Nahen Osten sehr viele Menschen in dieser Zeit regelmässig fasten, liegen diese Staaten in der Lebenserwartungsstatistik nicht auffällig weit vorn. Womöglich sind die Fastenphasen der Gläubigen zu kurz, womöglich werden potenziell positive Effekte durch andere Faktoren wieder aufgefressen: So würden zum Teil nach den Fastenstunden sehr viele Kalorien aufgenommen, schreiben Wissenschaftler in einer Studie von 2017.
Einen negativen Effekt könnte auch haben, dass der Tag-Nacht-Rhythmus der Menschen während des Ramadans gestört wird, was womöglich zu Schlafdefiziten führt, die wiederum ein Risikofaktor für diverse Erkrankungen sind. Auch seien die Raucherquoten in der Region relativ hoch. Solche schädlichen Einflüsse könnten am Ende schwerer wiegen als eventuelle Vorzüge des Fastens.
Dass das Fasten dennoch Vorteile haben kann, lässt sich zumindest biologisch plausibel erklären. Noch ist nicht alles verstanden, aber in der Forschungsliteratur wird eine ganze Reihe von potenziellen Mechanismen diskutiert. Etwa, dass gelegentlicher Hunger den Körper in einen moderaten Stresszustand versetzt. Dadurch wird das Immunsystem angekurbelt, Infektionen werden besser abgewehrt. Oder: In Fastenphasen verbrennt der Körper vermehrt Fettgewebe. Dies dürfte vor Erkrankungen schützen, die durch schwelende Entzündungen hervorgerufen werden, denn Fettzellen setzen Hormone und Botenstoffe frei, die solche Entzündungen hervorrufen.
Annette Schürmann, Professorin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke, hebt als wichtigen Mechanismus vor allem die Auswirkungen der Nahrungsbeschränkungen auf die Insulinempfindlichkeit der Zellen hervor. Das Hormon Insulin sorgt dafür, dass Glukose in Zellen gelangt, die daraus Energie gewinnen. Im Laufe der Jahre aber, und vor allem, wenn durch Überernährung permanent sehr viel Insulin ins Blut abgegeben wird, können Zellen ihre Empfindlichkeit für das Hormon verlieren.
Man kann sich das vereinfacht wie Postlieferungen vorstellen. Wenn der Bote zu oft klingelt, machen Menschen irgendwann die Tür nicht mehr auf. Sie verpassen dann Lieferungen, und die Sendungen häufen sich auf unschöne Weise in der Umgebung an.
Fasten entlastet den Stoffwechsel
Analog fehlt einem Teil der Körperzellen durch die Unempfindlichkeit gegenüber Insulin Energie. Zugleich verbleibt zu viel Glukose im Blut, was auf lange Sicht einen Typ-2-Diabetes begünstigen und die Gefässe schädigen kann. «Fasten dagegen kann diese Insulinresistenz der Zellen beheben. Die Zellen kehren zu einer regulären Sensitivität gegenüber Insulin zurück», sagt Annette Schürmann. «Das System lässt sich so wieder in den Normalzustand zurücksetzen.» Davon könne womöglich auch das Gehirn profitieren. «Wir haben Hinweise, dass eine optimale Funktionstüchtigkeit des Insulins im Gehirn wichtig ist, um vor Demenz zu schützen», sagt die Wissenschaftlerin.
Tim Nonninger vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln hebt einen weiteren Mechanismus hervor. Bei grossem Nahrungsangebot sind Zellen dauerhaft mit der Verstoffwechslung beschäftigt. Wenn sie aber permanent Nahrungsbestandteile ab- und umbauen, fällt auch viel zellulärer Müll an. Fehlgefaltete Proteine oder defekte Zellteile wie Mitochondrien häufen sich an; im Laufe der Jahre werden es immer mehr. Sie können Zellen schädigen oder deren Abläufe behindern.
Fasten entlastet dagegen den Stoffwechsel. Und mehr noch, es führt, vereinfacht gesagt dazu, dass der Organismus einmal gründlich ausmistet. Denn der hungrige Körper beginnt, Energie aus sich selbst zu ziehen. Unter anderem greift er dazu auch auf den zellulären Müll zurück. Als Nebeneffekt wird dieser potenziell schädliche Abfall abgebaut. Autophagie wird dieser Prozess genannt, auf Deutsch «Selbstfressen». In Hungerzeiten läuft er verstärkt ab. «Das hat man bei Tieren beobachtet, man kann aber davon ausgehen, dass dies beim Menschen ähnlich passiert», sagt Nonninger. Auch Annette Schürmann hält die Autophagie für einen wichtigen Mechanismus, der positive Auswirkungen der Ernährungseinschränkungen erklären könnte.
«Jungen, gesunden Menschen, die sich ausgewogen ernähren, sich ausreichend bewegen und Normalgewicht haben, würde ich auf keinen Fall zur Einschränkung des Essens raten.»
Grundsätzlich stehen viele Fachleute den eingeschränkten Speiseplänen positiv gegenüber. Allerdings hält Annette Schürmann das Fasten nicht für jeden für sinnvoll. «Jungen, gesunden Menschen, die sich gesund und ausgewogen ernähren, sich ausreichend bewegen und Normalgewicht haben, würde ich auf keinen Fall zur Einschränkung des Essens raten.» Denn Menschen, die ihre Ernährung schon immer reduzieren, blieben kaum mehr Möglichkeiten, ihre Kalorienzufuhr zu drosseln, wenn sie den Punkt erreichen, an dem sie es wirklich bräuchten.
Dieser Punkt kann im zunehmenden Alter kommen, wenn sich Menschen zum Beispiel weniger bewegen können oder Frauen die Wechseljahre erreichen. Dann können selbst bei jenen, die nur eingeschränkt essen, Fettpolster wachsen, sich Anzeichen für einen Diabetes, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder eine Fettleber zeigen. In diesen Situationen könnten gelegentliches oder Intervallfasten hilfreich sein, sagt Schürmann.
Gene haben einen grösseren Einfluss
Dass der Mensch damit ein Methusalem-Alter erreicht – wie McCays Ratten –, ist freilich nicht garantiert. Aber, so sagt es Forscherin Schürmann: «Wir wollen ja nicht alle 140 Jahre alt werden, sondern wir wollen vielleicht 90 Jahre alt werden. Und dies möglichst geistig fit und gesund.»
Gegen allzu grosse Erwartungen spricht auch die jüngste grosse Nagerstudie. US-Forscher hatten fast 1000 Mäuse untersucht, die genetisch sehr unterschiedlich waren. In der Anfang Oktober im Fachmagazin «Nature» publizierten Arbeit stellten sie dann fest: Im Durchschnitt lebten die Tiere umso länger, je weniger sie assen. Doch die Unterschiede zwischen den einzelnen Tieren waren erheblich. Auch etliche der Mäuse, die keinen Restriktionen ausgesetzt waren, wurden sehr alt. Umgekehrt starben in der Gruppe, deren Mahlzeiten mehr als halbiert wurden, eine ganze Reihe Mäuse schon sehr früh.
Am Ende zeigte sich, dass nicht die Kalorien im Fressnapf, sondern die Gene der Tiere den grössten Einfluss auf die Langlebigkeit hatten. «Wenn Sie sehr lange leben wollen, gibt es Dinge, die Sie beeinflussen können – etwa die Ernährung. Aber was Sie wirklich benötigen, ist eine sehr alte Grossmutter», fasst Studienautor Gary Churchill vom Jackson Laboratory in Maine die Ergebnisse in einer Pressemitteilung zusammen.
Das hiesse dann: Allein wegen der Hoffnung auf ein enorm langes Leben permanente Hungerzeiten einzulegen, scheint nicht besonders aussichtsreich. Aber gelegentliche Fastenphasen können nach Ansicht vieler Experten für Menschen mit Übergewicht und beginnenden Stoffwechselerkrankungen sinnvoll sein.
Alle anderen können sich von dieser Methode zumindest eines abschauen: Das Gegenteil vom Hungern, nämlich das permanente Snacken – ein Keks hier, ein Süssgetränk oder ein zuckriger Cappuccino dort –, ist nicht zu empfehlen. «Es fordert jedes Mal das gesamte hormonelle System – und kann es überlasten», sagt Annette Schürmann. Was hilft, sind reguläre Mahlzeiten und dazwischen Pausen, die nicht 16 Stunden dauern müssen, aber dem Organismus immerhin einige Stunden Ruhe gönnen.
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