Interview über das Fasten«Wer ab und zu hungert, lebt gesünder»
Stoffwechsel-Experte Stephan Herzig erklärt, warum uns regelmässige Essenspausen guttun und wie man sie am besten in den Alltag einbaut.
Herr Herzig, viele Menschen wollen in der Fastenzeit, die am 14. Februar beginnt, abnehmen. Ist es ratsam, dieses Ziel mit Fasten zu erreichen?
Es lohnt sich auf jeden Fall, es zu versuchen. Den meisten Menschen gelingt es tatsächlich, Gewicht zu verlieren, wenn sie im Alltag bewusst Zeiten einbauen, in denen sie auf Nahrung und kalorienhaltige Getränke verzichten. Bei anderen wiederum funktioniert es nicht.
Warum das?
Der Grund ist noch unklar. Wahrscheinlich liegt es an der genetischen Veranlagung. Aber selbst wer nicht abnimmt – und das ist die zentrale Botschaft –, profitiert vom Fasten: Blutdruck, Blutzucker, Cholesterin und Leberwerte verbessern sich, wie zahlreiche Studien belegen.
Dann ist Fasten nicht nur sinnvoll, wenn man abnehmen will – es bringt darüber hinaus weiteren Nutzen?
Genau. Der Gewichtsverlust ist bloss ein willkommener Nebeneffekt, sozusagen der Bonus. Entscheidender beim Fasten sind jedoch die anderen gesundheitlichen Vorteile.
Diese zu erforschen, ist Ihr Fachgebiet: Sie wollen herausfinden, wie das Fasten zur Vorbeugung und Therapie von Krankheiten eingesetzt werden könnte. Ihre bisherigen Erkenntnisse?
Erst kürzlich konnten wir zum Beispiel zusammen mit dem Universitätsklinikum Heidelberg in einer klinischen Studie zeigen, dass Patienten mit Diabetes Typ 2, die durch ihre Krankheit bereits geschädigte Nieren hatten, mit Intervallfasten ihre Nierenfunktion wieder verbessern konnten. Zudem war es ihnen möglich, ihre Medikamente zu reduzieren.
Eine andere gefürchtete Zivilisationskrankheit ist Krebs.
Hier wissen wir seit längerem, dass Übergewicht und Diabetes das Risiko erhöhen. Dabei sind nicht alle Krebsarten gleichermassen betroffen. Besonders gilt es aber für Brust-, Darm-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenkrebs.
«Übergewicht und Diabetes können das Tumorwachstum begünstigen.»
Können Sie diesen Zusammenhang erklären?
Erhöhte Insulinspiegel, wie sie bei Übergewicht und Diabetes auftreten, können das Wachstum von Tumoren beschleunigen. Denn Insulin reguliert nicht nur den Blutzucker, es ist auch ein Wachstumsfaktor. Zudem wirken Fettgewebshormone wachstums- und metastasierungsfördernd. Schliesslich sind Übergewicht und Diabetes chronisch entzündliche Zustände – und die können das Tumorwachstum ebenfalls begünstigen.
Was passiert beim Fasten, dass es uns schlank machen und sogar vor Krankheiten schützen kann?
Es geschieht zweierlei: Beim Hungern, also einem längeren Nahrungsverzicht von mindestens 14 bis 16 Stunden, stellt der Körper vom Zuckerstoffwechsel auf den Fettstoffwechsel um. Das heisst, wenn die leicht verfügbaren Kohlenhydrate aufgebraucht sind, geht es an die Fettreserven: Die überflüssigen Pölsterchen schmelzen, die Fettverbrennung ist aktiviert. Gleichzeitig – und das ist der zweite Effekt – findet innerhalb der Zellen ein Prozess statt, den wir «Autophagie» nennen.
Autophagie?
Ja, das heisst etwa so viel wie «sich selbst verzehren» – und meint jenen Zellreinigungsprozess, der beim Fasten einsetzt. Ich bezeichne das gern als «interne Müllabfuhr». Dabei werden schadhafte Zellelemente rezykliert oder über den Stoffwechsel abtransportiert. Denn wer ständig isst, überlastet seine Zellen: Der Körper kann gar nicht alles verwerten, der Rest bleibt zurück. Wir wissen heute, dass dieser Zellschrott das Risiko für viele Zivilisationskrankheiten erhöht, wie eben Krebs und Diabetes, Herz-Kreislauf-Probleme, aber auch für neurodegenerative Krankheiten wie Demenz und Parkinson. Langer Nahrungsverzicht war für unsere Vorfahren übrigens völlig normal: Bevor sie etwas zu essen hatten, mussten sie sich anstrengen: Beeren sammeln oder eine Beute jagen. Dieses genetische Programm steckt bis heute in uns. Das erklärt auch, weshalb viele Menschen berichten, dass das Fasten ihre Sinne schärfe und sie sich körperlich und geistig agiler fühlten.
«Kontrollierte Hungerperioden», wie Sie es als Forscher nennen, lohnen sich also: Welche Art des Fastens können Sie empfehlen?
Das Intervallfasten, am besten nach der 16:8-Methode, das heisst: Zwischen der letzten Mahlzeit des Vortages und der ersten Mahlzeit des Tages liegen 16 Stunden. Da haben wir auch am meisten klinische Erfahrung. Und entscheidend für Gesunde, die gesund bleiben wollen: Das Intervallfasten lässt sich gut in den Alltag einbauen und so zur Gewohnheit machen.
Viele schwören auf Heilfasten-Kuren.
Davon bin ich kein Fan. Zwar lässt sich mit ihnen kurzfristig auch eine Wirkung erzielen. Wenn die Kur aber abgeschlossen ist, kehrt man bald zu den alten Gewohnheiten zurück – und die positiven Effekte sind wieder weg. Zudem besteht beim Heilfasten die Gefahr, dass durch die lang anhaltende Kalorienrestriktion Muskeln abgebaut werden. Nein, da ist das Intervallfasten besser geeignet: Hier ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man dranbleibt – eben weil es gut vereinbar ist mit dem Alltagsleben und man auch auf weniger verzichten muss.
Kann man sich das Fasten, das doch eine gewisse Disziplin voraussetzt, künftig ersparen und stattdessen einfach eine der neuen Abnehmspritzen verwenden?
Bei krankhaft Übergewichtigen können die Abnehmspritzen eine sinnvolle Hilfe sein. Ich halte aber nichts davon, wenn Gesunde diese Spritzen nutzen, nur weil sie bequem ein paar überflüssige Kilos loswerden wollen. Da ist Fasten mit genügend Bewegung ein besseres Rezept – und bestimmt eines ohne schädliche Nebenwirkungen.
In einer ersten Version hiess es bei der vierten Frage «Diabetespatienten», richtig muss es heissen «Patienten mit Typ 2 Diabetes». Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.
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