Interview über KörpergewichtWann werden die Extra-Kilos zum Problem? Das sagt die Expertin
Nicht alle Übergewichtigen müssen abnehmen. Welche Faktoren eine Rolle spielen und wann Abnehmspritzen sinnvoll sind, erklärt Ernährungsmedizinerin Susanne Maurer.
Frau Maurer, für wen ist es wichtig, Gewicht zu verlieren?
Das betrifft Übergewichtige, die ein Risiko haben, Folgeerkrankungen zu bekommen. Es ist aber nicht so, dass alle Betroffenen durch zu viel Gewicht Einbussen in der Lebensqualität haben oder früher sterben.
Wie kommt es zu gewichtsbedingten Erkrankungen?
Das hängt von vielen körperlichen Voraussetzungen ab, etwa der Fettverteilung. Beispielsweise ist Bauchfett eher ein Problem, weil es Hormone aktiviert. Gefährlich sind auch Bluthochdruck oder eine Glukosetoleranzstörung, also eine beginnende Diabetes. Wir klären bei unseren Patientinnen und Patienten zudem ab, ob eine Herzstörung vorliegt oder bereits eine leichte Eiweissausscheidung im Urin zu finden ist. Letzteres deutet darauf hin, dass die Niere zu viel arbeiten muss. Besorgniserregend sind auch erhöhte Leberwerte. Wir sehen viel mehr Leberzirrhosen wegen einer Fettleber als durch zu viel Alkoholkonsum. Wenn diese Werte krankhaft verändert sind, läuten alle Alarmglocken. Diese Person muss abnehmen.
Wie viele übergewichtige Personen sind von Komorbiditäten betroffen?
Das ist schwer zu sagen. Zum Beispiel können Übergewichtige mit einem gesunden Stoffwechsel auch mechanische Probleme bekommen, und zwar nicht nur in den Gelenken, sondern auch im Herzen oder in der Lunge. Schwer Übergewichtige müssen zum Beispiel 30 bis 40 Prozent mehr Blutvolumen durch den Körper umwälzen. Das belastet das Herz massiv und schädigt es.
Sprechen Sie dabei von Übergewicht oder schwerem Übergewicht, also Adipositas?
Ich habe Patientinnen und Patienten mit Übergewicht, also einem Body-Mass-Index (BMI) von 25 bis 30. Darunter sind bereits einige, die hochgradig krank sind und abnehmen müssen. Bei den hochadipösen Patienten (BMI ab 40) kommen meist Symptome wie Schlafapnoe oder Gelenkprobleme hinzu.
Für diese Personen wurden die Abnehmspritzen entwickelt. Wegovy und Co. werden aber auch als Lifestyleprodukte eingesetzt. Ist das sinnvoll, nur um einige Kilos loszuwerden?
Absolut nicht. Wir sehen das sehr kritisch. Man muss sich klarmachen, dass diese Medikamente wie eine bariatrische Operation wirken, etwa eine Magenbypassoperation. Wir haben eine kleine Laboranalyse bei unseren Patienten zum Thema Folgeprobleme gemacht, und da sehen wir die gleichen Probleme wie nach einer Magenbypassoperation. Wir stellen auch bei rund der Hälfte unserer Wegovy-Patienten eine Mangelernährung fest: Sie haben nicht genügend Folsäure, Vitamin B12, Vitamin D und Eisen. Diese Mängel haben Konsequenzen. Das unterschätzen die Leute. Und was uns Sorgen macht: Wir sehen vor allem den Abbau von Muskelmasse. Das ist prinzipiell ein Problem bei jeglicher nicht durch Bewegung begleiteter Gewichtsreduktion – je grösser die Gewichtsreduktion, desto problematischer. Wir klären aber unsere Patienten immer zu Beginn der Therapie darüber auf. Das erfolgt im Lifestylesetting häufig nicht.
Was bedeutet es, Muskeln statt Fett abzubauen?
Wir haben sehr viele Adipöse, die Muskeln verlieren und sich dann zunehmend schlechter bewegen können, bis hin zur Immobilität. Das Risiko ist, dass sie invalide werden und gepflegt werden müssen. Generell macht es uns Sorgen, wenn Leute sich selbst ohne ärztliche Betreuung therapieren.
Wie beraten Sie die Patientinnen und Patienten, die Abnehmspritzen nutzen, bei der Ernährung?
Es geht schon lange nicht mehr um Kalorien und Zielvorgaben. Das ist wegen der Abnehmspritzen kein Thema mehr. Wir schauen jetzt, dass genügend Makro- und Mikronährstoffe aufgenommen werden. Das ist genau so wie bei der Baratrie. Da kommt es auch zu hormonellen Effekten bei der Magen-Darm-Passage der Nahrungsmittel, die wir nun mit den Medikamenten nachahmen.
Was raten Sie übergewichtigen Menschen, um gesund und nachhaltig abzunehmen?
Ich empfehle, sich gemäss der neuen Lebensmittelpyramide zu ernähren, die im letzten September für die Schweiz publiziert wurde. Also: Wasser trinken statt kalorische Getränke. Obst essen und nicht als Saft trinken. Prozessierte Lebensmittel vermeiden und selber kochen. Und abwechslungsreich essen: viel Gemüse, Hülsenfrüchte, komplexe Kohlenhydrate gerne. Keine einseitigen Diäten, also auch keine extrem fettreduzierte oder kohlenhydratarme Kost. Wer möchte, kann intermediär fasten. Wichtig ist noch der Hinweis: Mengen werden prinzipiell unterschätzt. Zur Orientierung empfehle ich das Tellermodell: Die Hälfte vom Teller sollte mit Gemüse gefüllt sein, ein Viertel mit einer Kohlenhydratbeilage, ein Viertel mit Proteinen, also Sojaprodukten, Fisch oder Fleisch.
Wie wichtig ist die Bewegung?
Sehr wichtig, die Ernährungsumstellung reicht nicht. Je älter jemand ist, desto wichtiger ist es, die Muskeln zu erhalten. Dabei geht es aber nicht ums Abnehmen. Von Studien wissen wir, dass Bewegung allein kaum zur Gewichtsreduktion führt. Wer aber Muskeln verliert, kann sie nur sehr schwer wieder aufbauen. Wir reden hier nicht von Bodybuildern. Wer dreimal pro Woche 10 bis 20 Minuten intensives Krafttraining macht, kann zwei Kilo Muskelmasse pro Jahr aufbauen, mehr nicht. Die Leute unterschätzen, was es bedeutet, wenn man beim Abnehmen stoffwechselaktive Zellmasse verliert.
Wie sind die langfristigen Erfahrungen, die Sie mit Patienten und den Abnehmspritzen gemacht haben?
Wichtig ist, zu betonen, dass die Abnehmmedikamente dauerhaft genutzt werden müssen. Die meisten Nutzerinnen und Nutzer denken, sie könnten sie nach einiger Zeit wieder absetzen. Das ist definitiv nicht so. Einen Blutdrucksenker darf man ja auch nicht absetzen, wenn der Blutdruck den gewünschten Wert erreicht hat. Wir können in der Regel nur 5 bis 10 Prozent Gewicht über Ernährung und Bewegung verlieren. Es gibt jedoch vereinzelt Personen, die 15 bis 20 Prozent Gewicht durch eine Lebensumstellung abnehmen können und es auch halten. Das ist aber selten. Durch Medikamente können Personen etwa 10 bis 20 Prozent an Gewicht verlieren. Wir wissen aber noch nicht, wie sich das auf lange Sicht auswirkt. Durch Bariatrie ist eine Gewichtsreduktion von 30 bis 45 Prozent möglich. Es liegt also an der Methode, wie man Gewicht abnimmt, und auch an der genetischen Ausstattung – also nicht am Willen der Betroffenen.
Am Mittwoch, 8.1.25, um 17 Uhr steht Ihnen Susanne Maurer als Expertin im Livechat zur Verfügung. Die Ernährungsmedizinerin beantwortet Ihre Fragen rund um die Themen Abnehmen und Lebensstiländerung vor der Kamera. Sie können bereits jetzt hier Ihre Fragen eingeben:
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