Mamablog: Diagnose «Bedtime Procrastination»Müde bin ich, geh nicht zur Ruh …
Das Schlafmanko unserer Autorin hält sich trotz grösser werdender Kinder konstant. Eine Selbstdiagnose.
Nach Geburt des ersten Kindes schlafen Eltern gemäss einer Studie weniger. Überraschend ist das nicht. Als Mutter unterdrücke ich eher ein Gähnen. Liest man allerdings weiter, erfährt man, dass die Schlafdauer und die Schlafzufriedenheit von Eltern bis sechs Jahre lang nicht mehr an das Level von vor der Schwangerschaft herankommen. Jetzt bin ich baff. Nicht, weil es so lange geht. Eher weil ich mich wundere, ob überhaupt je wieder vor-elterliche Zustände eintreten.
Momente des Unbehelligtseins
Bei mir taten sie das bisher nicht, obwohl unsere Kinder alle über sechs sind. Natürlich schlafen sie längstens durch, jedenfalls meistens. Kein zahnendes Baby, kein Pavor nocturnus und auch (noch) kein Teenager-Ausgang halten mich wach. Vielmehr bin ich komplett selber schuld. Ich schaffe es immer seltener, mich zeitig auf die letzten Meter zum Schlafzimmer zu begeben, nachdem ich abends mal wie ein gefällter Baumstamm aufs Sofa gekracht bin. Handy in der einen, TV-Fernbedienung in der anderen Hand liege ich dann da, und denke mir, nur noch schnell «10 vor 10» gucken, dann kurz zu Netflix rüber, daneben checken, was auf Insta geht und noch rasch bei Twitter rauf und runter scrollen …
Und schon verbinden sich Multiscreening und ein akuter Verlust von Selbstkontrolle schleichend zum unheilvollen Schlafentzug. Obwohl das Display mehr und mehr verschwimmt. Und obwohl ich weiss, dass ich mich am Morgen wieder fühlen werde wie eine plattgewalzte Pflaume. Aber in diesen entspannten Momenten des Unbehelligtseins, wenn alle Kinder schlafen, wenn aus den Ecken die Stille kriecht und die Zeit gefühlt ins Nichts verschwindet, scheint alles Morgige egal.
Nächtliche Freizeit, die tagsüber fehlt
So ein Abend wars, als mir in den Tiefen von Twitter der Begriff «Revenge Bedtime Procrastination» begegnete. Interessant, fand ich. Also googelte ich mich mit schweren Augen einmal quer durchs Internet (noch ein Grund, aufzubleiben!), und merkte, dass ich gerade praktiziere, worüber ich mich informiere: dass ich das Schlafengehen irgendwie extra hinauszögere.
«Bedtime Procrastination» wurde schon 2014 von Forschenden der Uni Utrecht beschrieben. Die «Revenge» soll aus der Übersetzung eines entsprechenden chinesischen Begriffs stammen. Was damit beschrieben wird, geht so: Man holt sich nachts die Freizeit, die einem tagsüber fehlt. Natürlich ist man aber längst viel zu müde, um Yoga zu machen, ein Do-it-yourself-Projekt zu starten oder sich mit Quantenphysik zu beschäftigen. Also verplempert man nächtliche Stunden mit so belang- wie ziellosen Aktivitäten, oft, wenn auch nicht zwangsläufig, auf dem Smartphone.
Juhu, eine Diagnose!
So muss sich der selbsternannte Hypochonder fühlen, wenn er merkt, dass er doch kein Simulant ist: Juhu, eine Diagnose, dachte ich. Denn betroffen davon, so scheint es, sind vor allem Menschen, die wenig freie Zeit haben. Zwar bin ich weder CEO noch Fabrikarbeiterin, aber wir haben Kinder. Auch Elterntage sind oft voll. Und lang, auch wenn mal alle durchschlafen. (Noch länger, sobald 20 Uhr als Bettgeh-Zeit der Kinder ausgedient hat.) Eltern müssten also besonders gefährdet, ja geborene Revengers sein. Und nehmen Sie mir jetzt nicht den Glauben an diese unabgestützte These, sonst wäre ich ja wieder nur grundlos zu träge, um schlafen zu gehen. Nun tröstet mich immerhin die Idee, mein Schlafmanko diene einem Zweck. Oder ich könne halt nicht anders.
An wem aber «revenget» man sich damit eigentlich? An fehlender Freizeit? «Nimm das, du vollgepappter Tag!» Dem ist es egal. Auch dem morgigen. Aus übermüdeter Perspektive wirkt er nur noch voller. Ein Glück für Eltern, dass sie auch gegenteiligen Gefährdungen ausgesetzt sind: Wenn ich abends dem Kleinsten vorlese, kann das aussehen, als ob ich ihn in den Schlaf begleitete. Doch manchmal ist es genau umgekehrt, immer wenn nächtliche Rachefeldzüge ausarteten. Ich nenne es mal «Accidental Early Night». Oder «Revenge» an der «Revenge». Egal, Hauptsache, zumindest hin und wieder etwas Schlaf.
Und wie nächtigen Sie so?
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