Trotz Bombenhagel und LuftalarmMit Notakkus und Generatoren – so arbeiten ukrainische IT-Leute im Krieg
Über Laptops sitzen sie an Gruppentischen oder in Sitzsäcken – wie man es von Google oder Microsoft kennt. Ein Einblick in den Arbeitsalltag einer Softwarefirma in Kiew.

Der Krieg änderte schlagartig alles. «Wir haben innerhalb von zwei Monaten viele unserer internationalen Kunden verloren», sagt Nazar Gulyk. Er ist Gründer und Chef der Empat, einer Softwareentwicklungsfirma mit Sitz in Kiew.
Über ein Drittel seiner 65 Angestellten war nach Kriegsausbruch geflüchtet – in die Westukraine etwa oder nach Polen. Doch wenige Wochen später kamen einige zurück. Derzeit arbeiten nur noch 15 Softwareentwicklerinnen und -entwickler in den Kiewer Empat-Büros. Über den Laptops sitzen sie an Gruppentischen oder in Sitzsäcken – wie man es von Google oder Microsoft, den Vorbildern der Branche, kennt. (Lesen Sie auch: IT-Leute in der Ukraine arbeiten weiter)
Auch an Tagen mit Luftalarm und Explosionen in der Ferne: Von hier aus programmieren sie Apps und Elemente für Websites – unter anderem für Schweizer Firmen.
Beim Angriff Russlands vor rund einem Jahr sei schnell klar geworden, dass ihm nur sehr wenig Zeit bleiben würde, um seine Firma zu retten. «Also habe ich in der Teamsitzung gesagt, dass wir alle an Bord behalten, dafür aber jeder mit weniger Lohn auskommen muss.» Seine Mitarbeitenden erhalten nun im Schnitt ein um 35 Prozent geringeres Salär als vor dem Krieg, und dies, obwohl sie um einiges mehr arbeiten. «Das hat es uns ermöglicht, aus dieser schwierigen Situation herauszukommen.»
Kooperation mit Winterthurer Start-up
Gulyk gibt nicht auf. Er reist derzeit viel, um an neue Projekte zu kommen. An dem Tag, an dem diese Redaktion per Videocall mit ihm sprechen kann, ist er in Austin, in den USA. Auch in der Schweiz hat Gulyk Pläne. Mitte Februar startete er zusammen mit dem Winterthurer IT-Start-up Circleup die Rekrutierungsplattform Deruny. Das Ziel: die ukrainischen Entwickler mit Schweizer Jungunternehmen zusammenbringen, die in der Schweiz die passenden IT-Leute nicht finden.
Nicht nur für Start-ups: Die Ukraine ist auch für viele mittlere und grosse Schweizer Firmen ein wichtiges Importland für IT-Dienstleistungen. Aus ukrainischer Sicht gesehen ist die Schweiz mit 285 Millionen Dollar das sechstgrösste IT-Exportland – noch vor Deutschland und den Niederlanden.

In Kiew arbeiten viele Informatik-Fachkräfte trotz Angriffen auf ihre Stadt weiter wie zuvor – dabei passen sie ihre Ausrüstung den veränderten Bedingungen an. Nach der Bombardierung der Strominfrastruktur durch die russische Armee Ende des vergangenen Jahres hat Empat-Chef Gulyk vorgesorgt. Für rund 10’000 Euro kaufte er mehrere Generatoren, grosse Batterien und Zugänge zu Starlink, der Internetversorgung via Satelliten von Tesla-Chef Elon Musk. So können sie bei Stromunterbrüchen mehrere Wochen weiterarbeiten. Und, so Gulyk: «Der nächste Bunker ist zum Glück nur gerade eine halbe Minute vom Kiewer Büro entfernt.»
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