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Mythen und Fakten über die Mistel
Bitte küssen

A sprig of mistletoe hangs as decoration for the holiday season Thursday, Dec. 20, 2001 in Phoenix. Known as the tiny branch that couples kiss under, few people know that mistletoe can be a kiss of death for humans and some trees. Mistletoe berries are poisonous and can bring about stomach cramps, vomiting, diarrhea and, in some cases, death if injested. (KEYSTONE/AP Photo/Paul Connors)
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Die Mistel als Liebesgewächs

Wenn die Bäume ihr Laub verlieren, sieht man die grünen Kugeln in ihren Kronen schon von weitem. Dieser Wuchs ohne Kontakt zum Boden, zwischen Himmel und Erde sozusagen, trug sehr dazu bei, dass sich viele Mythen um die Mistel ranken. Für Germanen, Griechen und Kelten war die schwebende Pflanze ein göttliches Zeichen. Der römische Schreiber Plinius der Ältere notierte, dass sie den nordischen Völkern als «vom Himmel gesandt» erschien. Die Mistel gilt als Symbol des Lebens, des Friedens, der Fruchtbarkeit – und der Liebe. Es gibt viele Theorien, woher der Brauch kommt, dass sich zwei Menschen unter einem Mistelzweig küssen. Die bekannteste verweist auf die nordische Liebesgöttin Frigga. Misteln spielen eine tragische Rolle beim Tod ihres geliebten Sohnes Baldur, dem Gott des Lichts und der Gerechtigkeit. Sie ist in tiefer Trauer, doch zur Zeit der Wintersonnenwende, am 21. Dezember, gelingt es ihr, ihn aus dem Totenreich zu holen. Ausser sich vor Freude küsst sie jeden, den sie unter einer Mistel im Baum antrifft. Aus Dankbarkeit, als Zeichen der Liebe an das Leben, gar nicht aus romantischer Absicht.

Dass sich Freunde und Verwandte unter einem Mistelzweig küssen, ist in Frankreich verbreitet, dass sich Verliebte küssen, stammt aus Grossbritannien. Dort wird der Brauch im 18. Jahrhundert populär, weil die strenge Etikette jungen Paaren verbat, sich anlasslos näherzukommen. Pro Kuss musste eine Beere vom Zweig gepflückt werden, also wurde tunlichst Sorge getragen, dass es sehr beerenreiche Zweige waren, die im Türstock hingen. Wer sich unter einem Mistelzweig küsst, dessen Liebe soll ein Leben lang halten. Nur dürfen den Zweig die Liebenden nicht selbst aufhängen: Das ersehnte Glück bringt er nur, wenn ein anderer es tut.

Die Mistel als Stärkungsmittel

Das immergrüne Gewächs ist schon lange als Arzneipflanze bekannt. Plinius der Ältere berichtet im ersten Jahrhundert nach Christus, dass Misteln gegen Schwindel verwendet werden, der Botaniker und Arzt Hieronymus Bock nutzt Anfang des 16. Jahrhunderts Mistelsalbe bei eitrigen Wunden, Pfarrer Kneipp empfahl Mistelkraut bei starken Monatsblutungen. In der Heilpflanzenkunde wird die Pflanze bei Bluthochdruck und Arthrosen eingesetzt, eine Wirkung von Mistelpräparaten in der Krebstherapie ist nicht belegt. Bei Misteltee wird ein Kaltauszug empfohlen, das Kraut wird also über Nacht in Wasser eingelegt, gefiltert und der Sud erwärmt, keinesfalls gekocht. Lauwarm über Wickel gegossen, soll der Mistelauszug bei Gelenkbeschwerden helfen.

Zauberkraut

Im Altertum verwendeten Druiden Misteln für kultische Handlungen. Nur solche, die auf Eichen wuchsen, galten den gallischen Priestern wie auch den Kelten als heilig. Kein Wunder, dass in «Asterix der Gallier», dem ersten Band der Comicreihe, die Wunderpflanze gleich auf Seite 7 auftaucht. Der Druide Miraculix erntet sie dort mit einer Goldsichel, um sie in seinen Zaubertrank zu mischen, mit dem sich die Gallier für den Kampf gegen die Römer stärken.

(Original Caption) "Merry Christmas - Come Under the Mistletoe", Teenagers on stairwell kissing under the mistletoe. Victorian Christmas Card, ca. 1885. Slide of color lithograph.

Besondere Kraft, so ist im Comic zu erfahren, entfaltet die Pflanze, wenn sie am sechsten Tag nach Vollmond auf einer Eiche gepflückt wird. Die besondere Kraft der Liebe will Obelix beschwören, als er im Kurzgeschichtenband «Asterix plaudert aus der Schule» eine Mistel aufhängt, um Falbala zu küssen. Leider kommen statt ihrer nur Miraculix, Girlandine und ein römischer Zenturio vorbei – was Obelix gar nicht schmeckt.

Die Mistel als Nutzniesser

Dafür, dass die Mistel eine Art Superstar an Weihnachten ist, sehen Naturschützer sie ziemlich kritisch. Da sie nicht eigenständig überleben kann, wächst sie auf Wirtsbäumen als Halbschmarotzer: Sie betreibt selbstständig Fotosynthese, entzieht ihren Wirtspflanzen aber Wasser und Nährstoffe. In Europa ist hauptsächlich die Weissbeerige Mistel (Viscum album) bekannt, die zu den Sandelholzgewächsen gehört; Unterarten werden nach ihren Wirten benannt: So gibt es Laubholz-, Kiefern- und Tannenmisteln. Für Obstbäume sind die kugeligen Nester, die in Baumkronen einen Meter Durchmesser erreichen können und bis zu 70 Jahre alt werden, eine ernste Gefahr. Nehmen die Misteln überhand, stirbt der Baum.

Naturschützer empfehlen, befallene Bäume im späten Winter oder zeitigen Frühjahr konsequent zu beschneiden. Das blosse Entfernen der Misteln hilft nicht. Besonders häufig betroffen sind Streuobstwiesen, die weniger stark gepflegt werden. Apfel und Vogelbeere sind leichte Opfer, Walnüssen, Kirschen und Pflaumen droht keine Gefahr. Die Früchte der Mistel sind extrem klebrig, was der Verbreitung dient. Bei Vögeln bleiben Reste der Frucht an den Schnäbeln hängen, die sie auf zukünftige Wirtsbäume verteilen. Zudem scheiden Vögel die Samen der Früchte unverdaut aus und verbreiten die Mistel kilometerweit. Die Weissbeerige Mistel wird üblicherweise durch bestimmte Vogelarten wie Misteldrossel, Mönchsgrasmücke und den Seidenschwanz verbreitet. Misteln blühen zwischen Februar und Mai, Früchte bilden nur die weiblichen Pflanzen. Früher galten alle Pflanzenteile der Mistel als giftig bis teils hochtoxisch, heutzutage steht das infrage, manche Behörden warnen sicherheitshalber bis heute.

Die Mistel als Weihnachtstitel

Süsser die Kasse nie klingelt als zur Weihnachtszeit. Auch in der Musikindustrie. Der Mistelzweig ist Star der saisonalen Songs, mit «Mistletoe and Wine» schunkelte sich Cliff Richard 1988 in die Charts, Justin Bieber tat es ihm 2011 mit «Mistletoe» gleich. Das Lied stammt vom Album «Under the Mistletoe» und steht in der Tradition der Weihnachtsalben. Verdient gemacht hat sich in den Sechzigern und Siebzigern das Label Mistletoe Records, das viel in Lizenz verlegte und phänomenale Cover hinterliess.

Auf «’Twas The Night Before Christmas» steht Liberace im weissen Pelzmantel vor Plastikbäumen mit Kunstschnee; das Cover von «Christmas with McGriff», auf dem der Hammond-Star Jimmy McGriff improvisiert, ziert eine sehr gut gelaunte Weihnachtsfrau.

Das Cover «Christmas with McGriff» von Mistletoe Records.