Weihnachten in EnglandEin Fest mit drei Kamelen und Christmas Pudding
Ohne Father Christmas und königliche Ansprache geht es nicht. Manche Traditionen sind jedoch nicht ganz so alt, wie man meinen könnte. Überraschungen und Ratschläge für Festmuffel gibt es auch.
Auch abgebrühte Londoner reiben sich manchmal noch ungläubig die Augen. Als kürzlich bei Einbruch der Dunkelheit drei Kamele durch unsere Strasse gezogen kamen, traten wir alle verblüfft an die Fenster oder vor die Tür. Organisiert worden war die Prozession, mit einer Grosszahl begeisterter Kinder im Gefolge, von der Kirchgemeinde. Diese fand, dass man den Leuten «etwas Besonderes» bieten müsse: Nicht einfach nur den üblichen Weihnachtsmarkt auf dem Vorplatz der Kirche und die gewohnten Mince Pies in der Pfarrei.
Dabei hält man auf die Weihnachtstraditionen in England bis heute viel. Noch immer hängen viele Familien am Weihnachtsabend ihre alten Wollstrümpfe ans Kinderbett oder an den Kamin, damit Father Christmas, der Weihnachtsmann, sie über Nacht füllt. Bescherung ist ja, anders als auf dem Kontinent, erst am Christmas Day, also am 25. Dezember. Dann liegen auch die Geschenke, die nicht in den Strumpf gepasst haben, am Morgen unterm Baum.
Plumpudding mit einem kräftigen Schuss Brandy
Am Christmas Day setzt man sich am Mittag oder frühen Nachmittag im erweiterten Familienkreis zum Christmas Dinner zusammen. Die echten Traditionalisten bestehen darauf, dass es gefüllten Truthahnbraten, Röstkartoffeln und Rosenkohl gibt – und als Dessert Christmas Pudding, den berühmten Plumpudding mit einem kräftigen Schuss Brandy, zum Entflammen während des Auftischens, was allgemeinen Applaus nach sich zieht.
Zu den anderen Dingen, ohne die man sich Weihnachten kaum vorstellen kann, gehören Mistelzweige und Stechpalmen, aber auch die Christmas Crackers, die weihnachtlichen Knallbonbons – und natürlich die Weihnachtsansprache des gekrönten Staatsoberhaupts im Fernsehen, am Christmas Day pünktlich um drei.
Weihnachtsprogramme, die jedes Jahr begeistern
Allerlei Sonderprogramme werden ja ausserdem als «Highlights» ausgestrahlt an den Weihnachtstagen. Ein Favorit der Kinder ist Raymond Briggs’ «Snowman», der seit 1982 alljährlich zu Weihnachten durch den Nachthimmel fliegt. Die etwas Älteren freuen sich auf die Weihnachtsausgabe von «Doctor Who», «Strictly Come Dancing» oder «Call The Midwife», was eben über die Jahre die beliebtesten Serien sind.
Nicht ganz so alt, wie man meinen könnte, sind auch einige andere der insularen Weihnachtsbräuche. Den Christbaum, mit dem man in Mitteleuropa schon seit Ewigkeiten Weihnachten feiert, hat ja erst Prinz Albert – der deutsche Ehemann von Königin Victoria – nach England gebracht.
Strassenbeleuchtungen und wild blinkende Lichterketten an den Häuserfassaden sind in letzter Zeit mehr und mehr Mode geworden. Und wer nicht mehr, wie in den alten Zeiten, zu den «Pantos», den Weihnachtspantomimen im Theater, pilgert, kauft sich heute einen witzigen Weihnachtspullover, um die liebe Verwandtschaft zu überraschen damit.
Alle Fragen und Antworten rund um Weihnachten
Einen heissen Konkurrenzkampf liefern sich auf den kommerziellen Fernsehkanälen die grossen Supermärkte mit kunstgerecht-rührseliger Festtagswerbung. In den fetten Zeitungsbeilagen wird zugleich seitenlang alles diskutiert, was auf irgendeine Art mit Weihnachten zusammenhängt.
Wie zum Beispiel feiern die Royals Weihnachten? Was schenkt man jemandem, der schon alles hat? Stimmt es, dass in Suffolk zwei Rentiere namens Blue und Blitzen die Flucht ergriffen, weil ihnen der ganze Weihnachtszirkus zu viel wurde, und lieber auf einer Landstrasse Chaos anrichteten, mit dem roten Kopfschmuck auf dem Geweih?
Wo rufen entnervte Eltern am besten an, wenn sie für ihre Kinder schnell mal, für eine Gebühr von 50 Pfund, knapp 55 Franken, einen Santa brauchen? Und gibt eine britische Familie für die Weihnachtstage wirklich im Schnitt 1800 Pfund, umgerechnet 1962 Franken, für Geschenke, Essen, Restaurantbesuche aus?
Boris Johnson grüsst als Weihnachtsmann
Ist der wichtigste Weihnachtsbaum des Landes, die auf Trafalgar Square aufgestellte Tanne, dieses Jahr erneut etwas mickrig ausgefallen? Darf man so etwas laut sagen, da der Baum doch ein jährliches Geschenk der für Beistand im Zweiten Weltkrieg ewig dankbaren Norweger ist? Müssen weihnachtliche Choräle im Freien als Gefahr für Leib und Leben eingestuft werden, wenn sich plötzlich 7000 Menschen auf einer Londoner Strasse drängen, die von Tiktok auf den Plan gerufen worden sind?
Und da ist selbstverständlich, wie jedes Jahr, die unerlässliche Ratgeberspalte in den Zeitungen: «Tipps, wie Sie Weihnachten mit der Familie überleben.» Oder: «Was tun, wenn man keine Lust auf Weihnachten hat?» Den im Vorjahr abgehalfterten Premier Boris Johnson sieht man just überall auf seiner Weihnachtsgrusskarte als vermummten Weihnachtsmann in Siegerpose den Daumen recken. Vielleicht gibt es doch Kurioseres als drei Kamele vor der Tür.
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