Missbrauchsvorwürfe in PfadigruppeDer Priester filmte die Brust des Pfadi-Mädchens
Ein Priester in der erzkonservativen katholischen Pfadi «Feuerkreis Niklaus von Flüe» erhielt ein Berufsverbot wegen Fehlverhalten. Auch gegen einen zweiten Pfadiseelsorger gibt es schwere Vorwürfe.
Der katholische Priester filmte mehrmals minderjährige Mädchen, «mit Fokus auf den Ausschnitt der T-Shirts der Minderjährigen beziehungsweise auf die kindliche Mädchenbrust». Die Polizei fand bei ihm drei Videoaufnahmen.
So steht es in einem rechtskräftigen Urteil des Staatsgerichtshofes von Liechtenstein. In mindestens einem Fall machte der Kleriker die Filmaufnahmen während eines Pfadianlasses in der Schweiz – bei der sehr konservativen katholischen Schweizer Pfadigruppe «Feuerkreis Niklaus von Flüe», bei der er aktiv war. Unter anderem wegen des Films erhielt der Priester 2020 ein Berufsverbot.
In der Pilotstudie der Uni Zürich zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche wird speziell darauf hingewiesen, dass es in katholischen Pfadfindergruppen in der Vergangenheit zu pädosexuellen Übergriffen gekommen sei. Der unüberwachte Zugang von Klerikern zu Kindern und Jugendlichen sei dazu genutzt worden.
Die Forschenden erwähnen aber, dass sich der offizielle katholische Pfadfinderverband seit vielen Jahren Schutzkonzepte auferlegt und aktuell positiv auf die Erforschung von Missbrauchsfällen reagiert habe.
Besuche beim Exorzisten-Priester
Doch es gibt noch heute mehrere katholische Pfadigruppen in der Schweiz, die sich den Regeln des Verbandes nicht unterstellen, wo die Kleriker eine dominante Rolle spielen und die Gruppen abseits der Öffentlichkeit aktiv sind.
Eine davon ist der Pfadfinderbund «Feuerkreis Niklaus von Flüe». Wie Recherchen der SonntagsZeitung zusammen mit Kath.ch ergeben, bewegten sich gleich zwei Priester im Umfeld der Pfadigruppe, gegen die es aktuell Missbrauchsvorwürfe gibt.
Auf der Website des «Feuerkreises» sind seit kurzem alle Namen von Leitungspersonen verschwunden. Auch Fotos sind gelöscht worden. Es ist laut Experten eine erzkonservative Gruppe, in der Mädchen und Knaben in getrennten Abteilungen sind und die Kinder in einem hierarchischen System geführt werden, mit Klerikern in einer wichtigen Funktion. Beim «Feuerkreis» gehören Wallfahrten nach Lourdes genauso zum Programm wie Besuche bei einem Priester im Kanton Schwyz, der sich als Exorzist bezeichnet.
Der Feuerkreis wurde 1988 gegründet und hat Abteilungen in den Kantonen Zug und St. Gallen. Laut Beobachtern sollen bei Anlässen auch Kinder aus anderen Kantonen dazustossen.
Priester mit Pfadinamen «Hunter»
Einer der beiden beschuldigten Priester ist Thomas Jäger. Er ist es, der die Mädchen gefilmt hat. Er trägt im «Feuerkreis» den Pfadinamen «Hunter» (englisch für «Jäger»).
Der Priester ist auf Fotos der Website der Pfadigruppe zu sehen. Er hält bei einer Wallfahrt nach Lourdes im Jahr 2016 die Messe. Neben ihm ein Pfadfinder. Neun Scouts und zwei Leiter des Feuerkreises seien dabei gewesen, heisst es bei den Bildern.
Doch die Aufnahmen sind auf der Website inzwischen verschwunden. Thomas Jäger ist seit März 2020 auf der schwarzen Liste der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Dort sind Pädagogen vermerkt, die ein Berufsverbot haben und sich von Kindern fernhalten müssen.
Das Berufsverbot hat Jäger unter anderem erhalten, weil auf seinem Mobiltelefon die eingangs erwähnten Filme gefunden wurden. Laut dem Staatsanwalt hat Thomas Jäger ein Pfadimädchen gefilmt und dabei immer wieder versucht, in den Ausschnitt hineinzufilmen. «Ab und zu wird er dabei gestört, doch immer wieder kehrt er zurück zum Mädchen und zoomt ganz nahe an den Ausschnitt heran», sagte der Staatsanwalt laut Kath.ch während der Verhandlung letzten März.
Auf dem Mobiltelefon des Priesters fanden sich auch Links zu verbotenen pornografischen Websites. Doch Jäger ist bezüglich der Filme in Liechtenstein freigesprochen worden. Allein das Filmen einer Mädchenbrust ist dort nicht strafbar. Auch der Zugriff auf die pornografischen Seiten hat für ihn strafrechtlich keine Folgen. Der Staatsanwalt konnte nicht beweisen, dass es tatsächlich Jäger war, der die Seiten auf seinem Handy aufrief – und es dann auch strafbares Material zu sehen gab.
Am Berufsverbot änderte dies allerdings nichts. Die Regierung und zwei Gerichte kamen auch nach Einsprüchen Jägers zum Schluss, er sei nicht geeignet, um regelmässig Kontakt mit Kindern und Jugendlichen zu haben, urteilten die Gerichte. Die drei «selber erstellten, auf die kindliche Mädchenbrust ausgerichteten Videoaufnahmen» würden das untermauern.
Ausserdem kam es noch zu einem weiteren Vorfall. Jäger habe eine achtjährige Ministrantenanwärterin allein zu sich ins Pfarrhaus mitgenommen. Das Mädchen sagte im Nachhinein, Jäger habe sie bei der Gelegenheit an der Brust massiert. Der Pfarrer bestreitet das.
Die Eltern des Kindes hatten im Oktober 2019 Anzeige erstattet. Am vergangenen Donnerstag hätte Jäger deswegen in Vaduz wegen Missbrauchs vor Gericht stehen sollen, doch er erschien nicht. In einem Schreiben betont Jäger, dass sein Verfahren bereits 2020 eingestellt worden sei und eine Wiedereröffnung nicht rechtens sei.
Das Verfahren ist nun an die Staatsanwaltschaft Koblenz übergegangen. Wie beim Berufsverbot werden auch im Missbrauchsverfahren die Pfadifilme eine Rolle spielen.
Der Fall Priester «Andreas»
Die Pfadigruppe «Feuerkreis Niklaus von Flüe» ist derzeit auch noch von einer zweiten mutmasslichen Missbrauchsgeschichte betroffen. Vor zwei Wochen erhob der Deutsche Josef Henfling im «Sonntagsblick» Vorwürfe gegen einen weiteren Kleriker im Umfeld der Gruppe. Es geht um den Schweizer Priester Andreas (Name geändert) des Bistums Chur.
Als der damals 29-jährige Henfling im Bündner Pfarrhaus des Klerikers wohnte, soll es laut den Vorwürfen 2012 zu gewaltsamen Übergriffen gekommen sein, zu Umarmungen und auch Zungenküssen. Das Opfer hat bei der Bündner Staatsanwaltschaft und beim Churer Bischof Marie Joseph Bonnemain Anzeige erstattet. Bonnemain hat den Fall an die staatliche Justiz weitergeleitet. Die Bündner Staatsanwaltschaft bestätigt, dass sie «die Polizei zur ergänzenden Ermittlung des Sachverhalts beauftragt hat». Der Anwalt des Priesters gibt an, man wolle sich derzeit nicht äussern. Für beide Kleriker gilt die Unschuldsvermutung.
Wie der Deutsche Thomas Jäger war auch der beschuldigte Schweizer Priester eine seelsorgerische Autorität im Pfadibund «Feuerkreis Niklaus von Flüe». Er gehört zur Generation von konservativen Priestern, die vom ehemaligen Churer Bischof Haas geweiht wurden.
Er ist in den letzten Jahren im Kanton Graubünden mehrmals versetzt worden. Verantwortliche in ehemaligen Pfarrgemeinden des Klerikers berichten von cholerischen Ausbrüchen des Pfarrers. Er habe sich zwar immer wieder für sein Verhalten entschuldigt, «aber die Ausraster blieben», wie Kath.ch erfahren hat.
In den Kirchengemeinden wird auch von seiner erzkonservativen Haltung berichtet. Er soll sich beim Religionsunterricht nicht an die Vorlagen gehalten haben. Seine Aussagen, zum Beispiel «Wenn man die Taufe nicht hat, hat man einen grossen schwarzen Fleck auf der Seele», hätten den Grundschülern Angst gemacht, heisst es. Übergriffe haben die Verantwortlichen in den ehemaligen Pfarreien des Klerikers hingegen keine verzeichnet.
Das Opfer, welches den Schweizer Pfarrer vor einem Monat des sexuellen Übergriffs beschuldigt hat, lebte in seinen Teenagerjahren in einem erzkonservativen Internat in Österreich, dem Seminar Zwettl. Dort mussten die Kinder viermal am Tag zum Gebet, am Mittwoch war Beichtpflicht, am ersten Freitag im Monat Messe von abends um acht bis Mitternacht. Das Seminar wurde von einem Priester gegründet, der auch die katholische Pfadfinderschaft Europas aufbaute. Er wurde 1988 aus dem Jesuitenorden ausgeschlossen.
«Es war ein Umfeld, in dem einem beigebracht wird, dass der eigene Wille nicht zählt», sagt das Opfer heute. Das habe auch der Geistliche gewusst, der ihn missbrauchte. «Eine unfassbare innere Grausamkeit, die dahintersteckt, der Pater wusste, dass ich nichts machen kann. Die Idee, dass man Nein sagen kann, kommt einem in so einem Milieu nicht in den Sinn», sagt der Betroffene.
Eine Person, die dem «Feuerkreis» früher nahe war, sagt: «Am meisten Gewicht hat das, was der Geistliche sagt.» Im «Feuerkreis» habe es aber nicht nur autoritäre Pfarrherren der alten Schule gegeben, sondern auch Priester, die sich mit viel Feingefühl der Seelsorge verpflichtet gefühlt hätten, sagt der Insider.
Fachleute sehen die starke Position der Kleriker im Pfadibund «Feuerkreis» kritisch. Sie entspreche heute nicht mehr den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen, die an kirchlichen Freizeitangeboten teilnähmen, sagt Stefan Loppacher, Präventionsbeauftragter des Bistums Chur. «Bei der Jungwacht Blauring zum Beispiel gibt es bewährte Schutzkonzepte gegen Übergriffe. In vielen Lagern taucht kein einziger Kleriker mehr auf», sagt Loppacher.
Das sei beim «Feuerkreis Niklaus von Flüe» anders. «Der Priester ist in solchen Kreisen oft nicht nur Seelsorger, sondern auch Lagerleiter, er nimmt alle möglichen Rollen ein und ist den Kindern sehr nahe.» Die Gruppe sei nicht greifbar, nicht nur, weil auf der Website keine Namen von Verantwortlichen mehr sichtbar seien. Die Präventionsstelle des Bistums habe keinen Kontakt zu ihnen. «Es ist ein geschlossenes, intransparentes System. Und das erachte ich, gerade wenn es um Kinder und Jugendliche geht, als äusserst heikel.»
Expertinnen warnen
Der Verband Pfadibewegung Schweiz distanziert sich auf Anfrage explizit «von abgeschotteten Gruppen aus dem katholischen oder evangelischen Umfeld». Dazu zähle auch der «Jugendbund Feuerkreis Niklaus von Flüeh», sagt Annika Reusser vom Verband. «Sie leben und erziehen ihre jungen Mitglieder nach sehr konservativen Grundsätzen, die nicht mit den Werten der Pfadibewegung Schweiz und den Pfadi-Weltverbänden WAGGGS und WOSM übereinstimmen.» Sie seien in keinem dieser Verbände Mitglied. «Entsprechend haben unsere Präventionskonzepte für sie keine direkte Relevanz, und sie sind nicht Teil unseres Krisenmanagements.»
Eltern rät Reusser, darauf zu achten, dass Pfadigruppen Jugend-+-Sport-Standards einhalten, transparente Schutzkonzepte haben und der Meldestellen für Ethikverstösse von Swiss Sports Integrity angeschlossen sind.
Der Pfadfinderbund «Feuerkreis Niklaus von Flüe» hat sowohl auf die neuesten Vorwürfe gegen den Schweizer Priester als auch auf das Verfahren in Liechtenstein gegen Jäger reagiert. «Über die Vorwürfe gegen einen Priester, welcher bei uns im Verein aktiv war, sind wir bestürzt.» Der «Feuerkreis» toleriere keine Art von Missbrauch. Man habe zur Meldung von Fällen aufgerufen. Der Priester werde dem «Feuerkreis» bis zur Klärung der Vorwürfe fernbleiben. Die Mitglieder seien informiert und aufgefordert worden, jede Art von Missbrauch zu melden. Bislang habe es keine Hinweise gegeben. Und der Angeklagte Thomas Jäger sei seit Bekanntwerden der Vorwürfe im Frühjahr 2020 nicht mehr Mitglied.
Auf der Website des «Feuerkreises» ist kein Schutzkonzept bezüglich sexueller Übergriffe sichtbar. Auch heisst es nirgends, dass die Leitenden J+S-Standards befolgten. Der Informationsbeauftragte der Pfadigruppe sagt aber auf Anfrage, der «Feuerkreis» verfüge über ein Schutzkonzept. Dieses werde durch die Leitung regelmässig überprüft, und Leitungspersonen würden bezüglich Missbrauchsprävention geschult. «Dabei halten wir uns an aktuelle Veröffentlichungen von professionellen Beratungsstellen.» Das Konzept werde für Medienschaffende nicht zur Verfügung gestellt.
Nach Publikation des Artikels wollte der Pfadibund «Feuerkreis Niklaus von Flüe» wie folgt Stellung nehmen: Der Pfadibund «Feuerkreis Niklaus von Flüe» hält fest, dass Priester nie an der Spitze der Hierarchie oder der Leitung gestanden haben oder aktuell stehen, sie sind religiöse Begleiter der Gruppen. Die Gruppen im Feuerkreis werden geleitet von Laien, jungen Frauen und Männern. Bilder seien auf der Internetseite der Pfadigruppe gelöscht worden, um sie vor Verletzungen der Persönlichkeits- und Urheberrechte zu schützen.
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