Missbrauch in der KircheÜber den Bischöfen hängt ein Damoklesschwert – zwei grosse Schritte sind nötig
Will die katholische Kirche ihr Missbrauchsproblem lösen, muss sie die Macht der Bischöfe beschneiden und das Zölibat abschaffen.
1002 Fälle von sexuellen Übergriffen, 510 Beschuldigte, 921 Betroffene, darunter Kleinkinder und Säuglinge.
Das Resultat einer Studie der Universität Zürich zur katholischen Kirche hat diese Woche viele Menschen bewegt. Aus den Kommentaren der Leserschaft zur Berichterstattung sind Wut und Enttäuschung spürbar. Und eine tief sitzende Skepsis, ob die Kirche reformfähig genug ist, um Missbrauch zu minimieren.
An der Medienkonferenz zur publizierten Studie sagte Renata Asal-Steger, Präsidentin der Römisch-katholischen Zentralkonferenz, am vergangenen Dienstag: «Wir suchen nach Worten und wissen, dass wir nicht die richtigen finden, dass wir besser schweigen sollten. Denn geredet wurde schon viel und seit Jahren schon. Doch wir haben am Thema vorbeigeredet.»
Tatsächlich. Die Bischöfe glaubten, es reiche, wenn sie den Priestern Sensibilisierungskurse zum Thema sexueller Missbrauch verordnen und sich bei den Betroffenen entschuldigten. Sie – und ihr oberster Chef in Rom – waren aber bisher nicht bereit, die Strukturen der katholischen Kirche infrage zu stellen.
Das Zölibat ist ein zu grosses Risiko
Doch genau das braucht es jetzt. An der Medienkonferenz sagte der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain: «Vor allem die Verantwortlichen in den Bistümern und den Ordensgemeinschaften sind gefordert, systemische Probleme endlich anzugehen und sich den damit verbundenen Fragen zu stellen.»
Doch was müsste konkret geschehen? Zwei Dinge stehen im Vordergrund: Die übersteigerte Macht der Bischöfe gehört eingeschränkt, und das Zölibat muss fallen. Ansonsten hören die Missbrauchsskandale wohl nicht auf.
Mit dem Zölibat legt die Kirche ihr Schicksal in die Hände von Männern, die vor Gott versprochen haben, ein Leben lang ihre Sexualität nicht zu leben. Die Gefahr, dass viele so zu einem toxischen Doppelleben gedrängt werden, ist enorm.
Die Kirche geht damit schon rein statistisch ein beträchtliches Risiko ein, dass Männer mit einem ungesunden Verhältnis zu ihrer Sexualität Macht über Gläubige erhalten – darunter viele Jugendliche und Kinder. Und sie tut dies ohne Not. In vielen Kirchen, die der katholischen sehr nahestehen, ist das Zölibat nicht vorgeschrieben, zum Beispiel in der Ostkirche.
Das Zölibat wurde bis ins 19. Jahrhundert kaum streng gelebt. Dies änderte sich mit der Französischen Revolution, welche die katholische Kirche ihre einstige Machtposition kostete. In der Folge versuchte sie sich als einzigartig hervorzuheben. Die katholischen Priester sollten sich von den protestantischen Pfarrern abheben, mit einer besonderen Nähe zu Gott, dank dem zölibatären Leben. Zudem sollte das Vermögen der Kirche nicht auf Kinder eines Bischofs vererbt werden. Es ging also auch darum, die Reichtümer der Kirche zusammenzuhalten.
Das Zölibat ist also keineswegs «gottgegeben». Seine Abschaffung würde die zentrale Glaubenslehre der Katholiken nicht erschüttern.
Die Bischöfe dürfen nicht mehr Hirten und Richter in einem sein
Neben der Abschaffung des Zölibats braucht es auch für die Bischöfe eine neue Rolle. Warum die Kirche weltweit trotz wiederholter Versprechen in den letzten Jahrzehnten nicht selbst in der Lage war, die Übergriffe zu stoppen, hat der Berner Pfarrer und frühere Generalvikar Nicolas Betticher in seiner Kritik an den Bischöfen auf den Punkt gebracht.
Das Problem liege daran, dass der gesamte Prozess in den Händen des Bischofs liege. Betticher: «Er ist der oberste Richter in seinem Bistum. Er ist der oberste Chef der Exekutive. Er ist der oberste Chef der Legislative und gleichzeitig der Vater seiner Priester und natürlich auch der Getauften. Das heisst, dass er im Prinzip dauernd in einer Zwickmühle ist. Das Einfachste ist dann, man macht nichts, dann kommt nichts raus.»
Genau wie beim Zölibat liesse sich auch hier mit einfachen Mitteln eine grosse Wirkung erzielen. Man sollte die Macht des Bischofs beschneiden und ein professionelles, vom Bischof unabhängiges Untersuchungsgremium installieren.
Solche Veränderungen scheinen machbar, aber die Kirche ist gespalten. Zwischen jenen, die eine Kirche anstreben, die verankert ist in der modernen Lebenswelt der Menschen, und jenen, die an alten Dogmen festhalten und ihre Macht nicht abgeben wollen.
Am Schluss kann nur der Papst Veränderungen erwirken, doch auch er führt nicht im luftleeren Raum. Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, auch in der Schweiz, welche Kräfte unter den Bischöfen die Oberhand gewinnen und Einfluss nehmen.
Über der katholischen Kirche der Schweiz schwebt das Damoklesschwert, denn in drei Jahren werden die Historikerinnen der Uni Zürich einen weiteren Bericht präsentieren. Dann wird man mehr sehen als bei der jetzt präsentierten Pilotstudie, die gemäss Angaben der Studienleiterinnen nur die Spitze des Eisbergs zeigt. Will die katholische Kirche endlich ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, braucht es bis dann grosse Schritte.
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