Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Verkauf von Misenso
Warum die Migros Hörgeräte verschmäht, aber an Medizin festhält

Misenso-Filiale im Wynecenter in Buchs AG.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Sollen wir weinen oder uns freuen? Das fragten sich die Mitarbeitenden von Misenso, als sie vor einigen Wochen erfuhren, dass ihr Unternehmen von der Besitzerin Migros an die Konkurrenz verkauft wird. So berichtet es eine Quelle aus der Migros-Zentrale, die anonym bleiben möchte. Einerseits war man überrascht über das Ausmass der Entlassungen im Migros-Konzern und besorgt über die vielen einzelnen Schicksale.

Andererseits hatte man Glück, denn nun, da Misenso zum Mitbewerber Neuroth wechseln würde, auch eine Perspektive unter dem Dach eines Besitzers vom Fach – weg vom Grosskonzern Migros mit seinem Streichkonzert hin zum Familienunternehmen aus Graz in der Steiermark. «Warum aber die Migros-Bank immer noch zum Kerngeschäft zu gehören scheint, ist nicht ganz nachvollziehbar, da sie eindeutig weniger zum Kerngeschäft eines Detailhändlers gehört», sagt die Migros-Stimme, die vom Verkaufsprozess wusste.

Die Migros erklärt, dass sie sich auch nach dem Verkauf von Misenso auf «vier strategische Geschäftsfelder» fokussieren will – neben der Gesundheit sind das Lebensmittel, Non-Food und Finanzdienstleistungen, also die Migros-Bank. Wieso aber soll Misenso als Hörgeräte- und Sehhilfenhändler nicht mehr ins Geschäftsfeld Gesundheit passen, fragt die Auskunftsperson bei Misenso.

Misenso passt nicht ins Medbase-Portfolio

Der Konzern begründet das mit einer Fokussierung auf die «integrierte medizinische Grundversorgung». Diese hat die Migros in ihrer Tochter Medbase gebündelt, die 2023 einen Umsatz von 1,3 Milliarden Franken generierte – vier Prozent des gesamten Konzernumsatzes der Migros. Das Unternehmen soll 2023 mit seinen 68 medizinischen Zentren, 57 Apotheken und 42 Zahnarztzentren gemäss Informationen der CH-Media-Gruppe einen zweistelligen Millionenbetrag erwirtschaftet haben.

Hätte in diesem Netzwerk von Gesundheitsbetrieben nicht auch Misenso einen Platz finden können? «Nein», sagt der Medbase-Chef Marcel Napierala. Misenso sei nicht von Medbase mit entwickelt worden. «Ein auf Optik und Hörakustik spezialisierter Anbieter passt nicht in unser Portfolio», so Napierala. «Die Medbase-Gruppe verfolgt eine nachhaltige Wachstumsstrategie mit Fokus auf die integrierte medizinische Grundversorgung.»

Der Gesundheitsökonom Stefan Felder von der Universität Basel kann diese Begründung nachvollziehen: «Der Verkauf von Hörgeräten ist hoch spezialisiert. Anbieter müssen viel in Fixkosten investieren.» Räume, Geräte, spezialisiertes Fachpersonal, gute Zulieferer: Das macht das Geschäft technisch anspruchsvoll und aufwendig, so Felder. Zudem sei die Konkurrenz hart. Neben Misenso werben Amplifon, Kind und Neuroth um eine ähnliche Kundschaft.

Felder sieht für die Medizin-Sparte Medbase der Migros auch ohne Misenso ein grosses Potenzial: «Im ambulanten Bereich ist viel zu holen. Die Migros hat hier mit den Medbase-Apotheken und über Gesundheitszentren ein gutes Standbein geschaffen. Gute Ernährung und Freizeitangebote, wie sie die Migros anbieten könne, würden im weitesten Sinn auch zum Gesundheitsbereich gehören, meint Felder. «Apotheken und Gesundheitszentren wie diejenigen von Medbase können in Einkaufszentren eine Brücke zur Medizin darstellen.»

Detailhandel in den USA als Vorbild

Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit wollen Detailhändler sich ein Stück vom wachsenden Gesundheitskuchen abschneiden. Gemäss einer Studie der Beratungsfirma Bain von 2022 sollen Detailhändler in den USA bis 2030 fünf bis zehn Prozent der Gesundheits­dienstleistungen erbringen. Die Unternehmensberatung Deloitte kam 2023 bei einer Befragung von Schweizerinnen und Schweizern zum Ergebnis, dass diese weit stärker als Personen in den Nachbarländern bereit wären, sich medizinisch in Apotheken und Drogerien sowie Fitness- und Wellnesszentren behandeln zu lassen.

Die Analysten von Deloitte erkennen eine «sehr überzeugende Win-win-win-Situation zwischen Gesundheitswesen, Gesellschaft und Einzelhandel», um Patientinnen und Patienten einen einfachen Zugang zu medizinischen Dienstleistungen zu ermöglichen. Dies sei umso wichtiger, als auch in den kommenden Jahren die Zahl der Hausarztpraxen und Kleinspitäler zurückgehen werde.

Vorbild ist wie so häufig die USA. Die «Harvard Business Revue» beschreibt in ihrer Ausgabe vom April 2024, dass Detailhändler wie Walgreens, Walmart oder Amazon beginnen würden, Dienstleistungen wie Coaching zur Bewältigung chronischer Krankheiten, Primärversorgung, psychologische Beratung und häusliche Pflege in ihren Supermärkten und Einkaufszentren anzubieten.

Health-Center-Preise schreckten Walmart-Kunden ab

Darüber, wie weit eine solche Verzahnung von medizinischen Angeboten und dem Detailhandel gehen kann, gibt es allerdings verschiedene Szenarien. Das Schweizer Fachmedium «Medinside» beschreibt etwa, dass der Detailhandelsriese Walmart im vergangenen April entschieden habe, alle seine 51 Health Centers in Shoppingzentren zu schliessen. Begründung: Die hohen Preise für Behandlungen schreckten die dortige Kundschaft ab.

Auch der Detailhandelsexperte Adrian Ruprecht vom Berufs- und Weiterbildungszentrum Lyss meldet Bedenken an: «Wie vertragen sich ein Migros-Take-away mit Convenience-Food und eine Medbase-Apotheke oder -Physiotherapie unter demselben Dach?» Mit jeder zusätzlichen Marke und jeder neuen Dienstleistung müsse sich die Betreiberin Migros die Frage stellen: «Welche Kundschaft erschliesst man sich neu, und welche vorhandene schreckt man damit ab? Ab wann beissen sich die unterschiedlichen Migros-Labels?»