GastkommentarWer die Entwicklungshilfe plündert, schadet sich selbst
Der Ständerat möchte Militärausgaben bei der Hilfe für die Ärmsten kompensieren – ein kurzsichtiger Entscheid, findet der ehemalige Diplomat Toni Frisch.

Jetzt ist der Groschen gefallen, dachte ich. Dass die Armee massiv mehr Geld erhält, freut mich ausserordentlich. Dafür habe ich mich persönlich ebenso wie mit dem Verband Militärischer Gesellschaften eingesetzt. Denn zusätzliche Mittel sind dringend nötig. Bei der Armee wurde so lange gespart, bis man erkennen musste, dass sie die Verteidigung unseres Landes, ihren verfassungsmässigen Auftrag, nicht mehr gewährleisten kann. Verteidigungsministerin Viola Amherd sagte es deutlich: «Die Schweiz muss sich darauf einstellen, dass sich die Sicherheitslage in Europa weiter und nachhaltig verschlechtert.»
Die mutige 15-Milliarden-Paketlösung – 10 Milliarden für die Armee, 5 Milliarden für die Ukraine, finanziert über einen Spezialfonds – habe ich unterstützt. Nachdem dieser Vorschlag als Kuhhandel verunglimpft worden war, vertrat ich die Meinung, dass Nein sagen allein nicht genügt. Wer Nein sagt, soll eine gleichwertige, mehrheitsfähige Alternative unterbreiten. Die Rechte, welche sich stets starkmachte für eine kriegstaugliche Armee, blieb bisher jedoch die Lösung schuldig.
Auf Antrag des Freisinnigen Benjamin Mühlemann hat der Ständerat entschieden, die Mehrausgaben zu 50 Prozent bei der Entwicklungshilfe zu kompensieren. Rund eine halbe Milliarde Franken jährlich. Ein Vorschlag, der schlicht unbedarft ist und die Ratlosigkeit deutlich zeigt. Die Rechte will einfach das Wort Steuererhöhung nicht in den Mund nehmen. Was diese Kürzung bedeuten würde, dessen ist sich FDP-Vertreter Mühlemann wohl nicht bewusst.
So fördert man Migration
Das zeigt ein fehlendes Verständnis und die geschwundene Wertschätzung gegenüber der wichtigen internationalen Zusammenarbeit, deren Wirkung und deren Erfolgen. Dafür gibt es jedoch auch nachvollziehbare Gründe. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) zeigt bei den derzeitigen Krisen kaum mehr, was sie leistet. Das einst exzellente Netzwerk zwischen Verwaltung und Parteien, wichtig für das Verständnis der Auslandsarbeit, wurde zudem nicht mehr gepflegt und ging verloren.
Das Bewusstsein, dass es in der Entwicklungshilfe auch um wohlverstandene Eigeninteressen geht, fehlt heute vielerorts. Dass humanitäre Hilfe, Entwicklungs- und Migrationspolitik ebenfalls Teil der Sicherheitspolitik sind, liegt offenbar bereits ausserhalb der Betrachtungen.

Der Bundesrat entschied ja bereits, jährlich 350 Millionen vom Budget der Entwicklungshilfe in die Ukraine umzuleiten. Was ich beschämend fand. Erneute massive Kürzungen bei der Entwicklungshilfe kämen einer regelrechten Plünderung von deren Mitteln gleich. Das wäre nicht zu verantworten, und unser Ruf würde massiv geschädigt. Wer der nächsten Generation keine grösseren Schulden aufbürden will, dafür aber die Entwicklungshilfe wie vorgeschlagen kürzt, treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus.
Das Fehlen der Entwicklungshilfegelder führt dazu, dass die in den ärmsten Ländern des Südens bereits bestehenden Probleme noch grösser werden. Für viele Menschen bleibt nur ein Ausweg: im reichen Norden, auch in der Schweiz, Asyl zu suchen, um Sicherheit und ein Auskommen zu finden.
Die heutigen Verantwortlichen würden mit den vorgeschlagenen Kompensationen zwar keine grösseren Schulden hinterlassen, aber ein noch gravierenderes Problem, nämlich zusätzlichen Migrationsdruck. Da die Folgen jedoch nicht sofort sichtbar sind, ignoriert man diese lieber.
Toni Frisch ist ehemaliger Leiter der humanitären Hilfe bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza).
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