Clips für Männer oder FrauenMigros-Einkaufszentren filmen Kunden, um gezielt Werbung auszuspielen
Wer eine Shoppingmall oder einen Laden der Migros Ostschweiz betritt, wird auf Geschlecht und Alter gescannt – und erhält die entsprechende Werbung.
In den Shoppingmalls der Migros Ostschweiz sind die Werbeflächen in den Gängen seit Mitte dieses Jahres mit Sensoren ausgestattet, die Geschlecht und Alter der Passanten analysieren. Männer sollen so andere Werbung als Frauen erhalten, Alte andere als Junge.
«In der Schweiz leisten wir mit unseren cleveren Werbescreens Pionierarbeit», sagt Marc Steiner. Seine Firma Displayactive betreibt in den Einkaufszentren Rosenberg in Winterthur, Säntispark in Abtwil SG, Rheinpark in St. Margrethen und den anderen Shoppingmalls der Migros Ostschweiz die Werbeflächen und hat sie mit der Sensorentechnologie ausgestattet. So sollen Kundinnen und Kunden in eine auf sie abgestimmte Werbewelt getaucht werden.
Konkrete Beispiele darf Displayactive auf Wunsch der Werbekunden nicht verraten. Denkbar ist, dass Frauenmode beworben wird, wenn sich eine Frau vor dem Bildschirm aufhält – und Herrenmode bei Männern. Oder dass die Farben eines Werbespots je nach Geschlecht und Alter angepasst werden.
«Interesse zieht an»
Die Infrastruktur steht, die Werbeaufträge dafür beginnen. «Das Interesse zieht gerade stark an, noch nutzen aber die meisten Werbetreibenden diese Möglichkeit nicht», sagt Steiner. Er ist überzeugt, dass sich die gezielte Werbung ähnlich wie im Internet auch in der realen Welt durchsetzen wird.
Anfang des Jahres sorgten die SBB für einen Aufschrei wegen Plänen für eine ausgeweitete Videoüberwachung der Bahnhöfe, um dort das Kaufverhalten zu analysieren. Die Bundesbahnen präzisierten dann, dass der Datenschutz dennoch gewährleistet werden solle, denn es gehe nicht um Gesichtserkennung und damit um eine Identifizierung.
Die Werbescreens in den Shoppingcentern identifizieren die Passanten ebenso wenig, der Datenschutz ist damit gegeben. «Die Gesichter werden gar nicht erfasst, die Passanten werden auch nicht in ihren Bewegungen in der Mall verfolgt, keinerlei Personendaten werden gespeichert», sagt Iman Nahvi. Er ist Gründer der Schweizer Firma Advertima, die die 3-D-Sensoren für die digitalen Werbeflächen entwickelt hat.
Was Nahvi auch sagt: In drei bis f¨ünf Jahren würden durch künstliche Intelligenz gestützte Werbebildschirme Standard sein.
Die Migros Ostschweiz ist bislang ein Sonderfall. Bei der Migros ist derzeit auf nationaler Ebene kein solches Projekt geplant, wie ein Sprecher sagt. Denkbar ist aber, dass weitere Regionalgenossenschaften der Migros aufspringen. Bei Coop hingegen ist das kein Thema.
Mit Werbung im Aussenbereich können Massen an Menschen erreicht werden. Darin unterscheidet sie sich von personalisierten Anzeigen im Internet. Je spezifischer sie die Passanten durch das Echtzeit-Scanning ansprechen kann, desto interessanter wird sie für die Werbekunden.
Schon seit einigen Jahren betreiben in der Schweiz die Spar-Filialen und die Toppharm-Apotheken in ihren Läden digitale Werbeflächen mit Advertima-Sensoren. Das heisst, auch dort gibt es je nach Geschlecht und Alter angepasste Werbung. In der Öffentlichkeit wurde das aber bisher nicht wahrgenommen.
Gefragt ist die Sensorentechnologie von Advertima auch im Ausland. In Dubai läuft sie in Shoppingmalls und Metrostationen, in Grossbritannien wird sie bei einem der vier grössten Detailhändler installiert. Den Namen darf Nahvi nicht verraten.
Das Geschäftsmodell dahinter ist einfach: Wenn Männer keine Werbung für Frauen sehen oder Alte keine für Junge, erhöht sich der Werbeeffekt deutlich. Das heisst: Werbekunden zahlen mehr, und Vermarkter wie Displayactive machen mit ihrer begrenzten Werbefläche mehr Profit.
Ein Produkt, verschiedene Sujets
Digitale Aussenwerbung konnte schon bisher gezielt ausgespielt werden. Für verschiedene Orte analysieren Schweizer Werbevermarkter wie APG/SGA, welche Art von Passanten zu welcher Zeit vorbeikommt. «Wir haben dazu Erhebungen», sagt Beat Holenstein von APG/SGA. Dies beruht jedoch auf Wahrscheinlichkeiten; ein Echtzeit-Scanning gibt es bei APG nicht.
Displayactive sieht in der neuen Technologie die Möglichkeit, ein allgemeines Werbeverbot für Tabak zu vermeiden. «Zigarettenwerbung kann so nur an Volljährige ausgespielt werden.»
Für die Macher von Werbeplakaten und -filmen birgt die spezifische Reklame neue Herausforderungen. Sie müssen für ein Produkt verschiedene Sujets herstellen.
Wenn zwei Männer und zwei Frauen an einem Display vorbeilaufen – welche Reklame wird dann ausgespielt?
«Die Werbung wird aus Modulen zum Zeitpunkt der digitalen Auslieferung zusammengesetzt», sagt János Heé, Marketingstratege und Partner der Agentur Wirz. Der Autohersteller BMW spiele im Internet verschiedene Werbemotive aus, je nachdem, ob ein Familienvater oder ein junger Mann sie sich auf dem Handy oder Computer ansehe.
Für Plakatwerbung gibt es laut Heé noch keine Anfragen von Kunden für spezifische Reklame. Es brauche noch etwas Vorlauf für die Werbekunden, sagt Marc Steiner von Displayactive.
Was aber ist, wenn zwei Männer und zwei Frauen an einem Display vorbeilaufen – welche Reklame wird dann ausgespielt? Da könnten viele Faktoren eine Rolle spielen, zum Beispiel, wie viele Werbeeinnahmen die Einspielung einbringe, sagt Iman Nahvi. Zum Teil wird dies auf einer digitalen Echtzeit-Auktion zwischen verschiedenen Werbekunden entschieden. Dies geschieht in Millisekunden – während die Passanten am Werbescreen vorbeilaufen.
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