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Migration auf dem Mittelmeer
Doppelt so viele Bootsflüchtlinge wie vor einem Jahr

Überfahrt unter Lebensgefahr: Menschen aus Afrika auf dem Weg nach Europa.

Millionen Feriengäste erholen sich in diesen Wochen an den Stränden Italiens, was sich weiter draussen auf dem Mittelmeer abspielt, bekommen die meisten nicht mit: Tag und Nacht werden Migranten aus Seenot gerettet. Es sind in diesem Sommer wesentlich mehr als in den vergangenen Jahren. 103’000 Menschen kamen laut dem italienischen Innenministerium (Stand 18. August) bisher übers Meer, mehr als doppelt so viele wie zur selben Zeit vor einem Jahr.

In oft seeuntaugliche Schleuserboote gepfercht, brechen sie zumeist in Tunesien auf. Etwa 40 Prozent starten in Libyen. Ein Teil erreicht aus eigener Kraft italienische Küsten, die allermeisten indes rettet Italiens Küstenwache oder die Finanzpolizei. In die Tausende dürfte auch die Zahl derer reichen, die private Seenotretter in Sicherheit bringen.

Überfülltes Aufnahmezentrum

An Land ist das Aufnahmesystem dem Zusammenbruch nahe. Es gab Tage, da kamen allein auf der Sizilien vorgelagerten Insel Lampedusa 1600 Menschen an. Sie ist Hauptschauplatz des Geschehens, vom tunesischen Sfax sind es nur rund 150 Kilometer übers Meer. Das Erstaufnahmezentrum der kleinen Insel ist vielfach überfüllt, obwohl die Migranten regelmässig auf die Hauptinsel Sizilien verlegt werden. 

Von der rechten Regierung Giorgia Melonis ist zu all dem wenig bis nichts zu hören. Dabei war das Eindämmen der «illegalen Migration» eines der Hauptthemen, mit denen Melonis Fratelli d’Italia und die Lega von Matteo Salvini bei der Wahl vor knapp einem Jahr punkteten. Die NGOs, die mit Schiffen Seenotrettung leisten, hatten die Rechtsparteien besonders im Visier.

Obwohl längst bekannt war, dass sie nur etwa 12 Prozent der Bootsflüchtlinge bringen, wurden sie angeprangert als Hauptverursacher der Ankünfte von Flüchtlingen und Migranten. Im Februar, nachdem beim Untergang eines Flüchtlingsboots nahe dem kalabrischen Ort Cutro
91 Menschen ums Leben gekommen waren, erliess die Regierung Gesetze, die die Arbeit der NGOs einschränken. Den Hilfsschiffen werden Häfen zugewiesen, die weit entfernt vom Einsatzgebiet liegen. 

Die Küstenwache darf die privaten Seenotretter nicht um Hilfe bitten. Sie tat es trotzdem. 

Die Leute der Küstenwache sind mit allen Kräften im Einsatz, aber das reicht oft nicht mehr. So wurden in den vergangenen Wochen mehr als 100-mal private Seenotretter beauftragt, einzugreifen. Das gab es immer schon, die Küstenwache ist nicht der Feind der NGOs. Doch jetzt durften diese, was die gegen sie gerichteten Gesetze verbieten: mehrere Rettungsaktionen unternehmen, ohne dazwischen einen Hafen anzulaufen. So leistete die Ocean Viking von SOS Méditerranée nach eigenen Angaben Mitte August innerhalb von 48 Stunden 15 Einsätze und konnte 623 Gerettete in den Ort Porto Empedocle bringen. Alles in Absprache mit den Behörden.

Die Regierung, eingeholt von der Realität, schweigt erst mal. Doppelt so viele Bootsmigranten und die Unverzichtbarkeit privater Seenotretter widerlegen, was Premierministerin Meloni und andere Regierungsmitglieder versprochen hatten: dafür zu sorgen, dass weniger Migranten kommen. Über Jahre taten die Rechtsparteien, als gäbe es einfache Lösungen für die komplexen Gründe, aus denen Menschen um jeden Preis nach Europa wollen.

Erfolglose Gespräche in Tunesien 

Meloni hat durchaus auch versucht, politisch zu handeln. Sie war mehrmals in Tunesien, um das Land zu einer besseren Zusammenarbeit zu bewegen, damit die Migration eingedämmt werden kann. Absichtserklärungen wurden im Juli unterzeichnet, finanzielle Hilfe und eine strategische EU-Partnerschaft angekündigt. Gebracht hat es nichts, was an Tunesiens Präsident Kaïs Saïed liegt. Gespräche Melonis in Libyen führten ebenfalls zu nichts.

In Italiens Städten und Gemeinden, in die die Migranten nach der Erstaufnahme weitergeleitet werden, rumort es zunehmend. Dort weiss man nicht mehr, wohin mit den Menschen. Die Regierung in Rom hat keinen Plan, obwohl seit Monaten absehbar war, dass die Zahl der Migranten in diesem Jahr sehr hoch werden würde. Nach der Sommerpause wird sich die Regierung wohl äussern müssen. Man geht davon aus, dass am Jahresende 150’000 Migranten an Italiens Küsten angekommen sein werden. Ungefähr 2000 Menschen haben das nach Angaben der Internationalen Migrationsorganisation nicht geschafft – so viele sind im zentralen Mittelmeer ertrunken oder werden vermisst.