Corona-Krise DeutschlandMerkels Einheit ist bereits zerbrochen
Einen Tag vor neuen Gesprächen zwischen Regierung und Bundesländern ist die gewünschte Verständigung über den gemeinsamen Öffnungskurs bereits gescheitert.
Anders als in der Schweiz, wo der Bundesrat in der Pandemie weitgehend mit Notrecht regiert und den Kantonen Ansagen macht, ist die deutsche Kanzlerin in wesentlichen Teilen auf eine koordinierende Rolle beschränkt. Angela Merkel versucht zwar regelmässig, die Bundesländer auf gemeinsame Schutzmassnahmen und Öffnungsschritte zu verpflichten – die neusten derartigen Verhandlungen finden diesen Mittwochnachmittag statt. Die rechtliche Kompetenz für die Massnahmen zum Schutz der Gesundheit liegen aber nach wie vor bei den sechzehn Ländern zwischen Boden- und Ostsee.
Jedes Bundesland macht, was es will
Aus «übergeordneter Verantwortung», wie Merkel es einmal nannte, nahm die Regierung in Berlin im Krisenmanagement der vergangenen Wochen gleichwohl eine zentrale Rolle ein. Unermüdlich bemühte sich die Kanzlerin um eine gewisse Einheit im föderalen System, auch weil viele Bürger und Landesregierungen dies erwarteten. Doch was in der Phase des Shutdown trotz Alleingängen einzelner Bundesländer noch halbwegs gelang, ist nun bei der anstehenden Lockerung bereits vor den jüngsten Gesprächen krachend gescheitert.
Jedes Bundesland macht, was es will und wann es will – egal, was Bund und Länder zuvor miteinander vereinbart haben. Sachsen-Anhalt etwa erlaubt bald wieder ausserfamiliäre Treffen von bis zu fünf Menschen. Es setzt damit die zentrale Kontaktsperre ausser Kraft, die Bund und Länder letzte Woche gerade noch einmal bekräftigt hatten.
Nordrhein-Westfalens liberaler Familienminister hat bereits die Öffnung der Kitas angekündigt, obwohl Bund und Länder übereingekommen waren, am Mittwoch erst die Konzepte für eine Wiedereröffnung von Schulen und Kitas zu evaluieren. Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gaben bekannt, Restaurants, Hotels und Ferienanlagen könnten demnächst wieder öffnen. Obwohl Bund und Länder zuletzt vereinbart hatten, dass man darüber erst Mitte Mai erstmals sprechen wolle.
Vielen geht die Öffnung zu langsam
Die Neuinfektionen sind auch in Deutschland zuletzt stark gesunken. Einigen Landesregierungen und den meisten Unternehmen geht die Öffnung des Landes deshalb nun viel zu langsam voran. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der mit Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn zusammen die Riege der «Vorsichtigen» anführt, was Lockerungen angeht, nannte die jüngste Entwicklung hingegen «etwas unglücklich». Allerdings hat sich der CSU-Chef in der ersten Phase selbst oft nicht an Abmachungen gehalten, weil er sein früh und stark betroffenes Bayern möglichst schnell «herunterfahren» wollte.
Grosse regionale Unterschiede
Abgesehen davon, dass die Länder jetzt nur ihr Recht wahrnehmen, müssen auch Befürworter einer grösseren Einheitlichkeit zugeben, dass sich die Lage teilweise stark unterscheidet. Der deutsche Osten und der Norden sind von der Pandemie viel weniger stark betroffen als der Süden und der Westen. Diese Länder sehen nicht ein, warum sie ihren Bürgern und regional wichtigen Industrien – dem Tourismus etwa – nicht schneller wieder mehr Freiheiten einräumen sollten als Bayern oder Baden-Württemberg. Teilweise sind einheitliche Regeln zuletzt auch von Landesverwaltungsgerichten gekippt worden, etwa die 800-Quadratmeter-Lösung bei der Öffnung von Läden und Geschäften.
«Ich gehe davon aus, dass es eine zweite und eine dritte Infektionswelle geben wird.»
Merkel fürchtet nicht nur, dass in der aktuellen Phase nun ein unüberschaubarer Flickenteppich von sich widersprechenden Regeln entsteht, der die Bürger verwirrt, sondern auch, dass die Summe der Lockerungen die Schwelle des Verantwortbaren überschreitet. Epidemiologen warnen jedenfalls davor, das gesellschaftliche Leben schneller wieder zu öffnen, als man die Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen überhaupt abschätzen könne. Lothar Wieler, Chef des leitenden Robert-Koch-Instituts, sagte am Dienstag, er erwarte auf jeden Fall eine «zweite und eine dritte Infektionswelle». Trotz derzeit hoffnungsvollen Zahlen.
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