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Angela Merkel und Covid-19
Krise kann sie

Sie wägt ab, sie vermittelt, sie entscheidet: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.
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In den angelsächsischen Medien werden Angela Merkel wieder Girlanden geflochten. Keine Erklärung, warum Deutschland in der Corona-Krise von Tragödien wie in Amerika, Italien, Spanien oder Frankreich bisher verschont geblieben ist, kommt ohne den Hinweis auf die angeblich überlegene Führerschaft der deutschen Kanzlerin aus.

Ihre Rationalität, Ruhe und Bescheidenheit werden in einem Masse gelobt, wie wenn alle anderen Verantwortlichen – die Schweizer Bundespräsidentin, der österreichische Kanzler oder die dänische Premierministerin etwa – Hallodris wären. Das US-Magazin «The Atlantic» hat Merkel gerade zum «Scientist-in-Chief» ausgerufen – zur oberkommandierenden Wissenschaftlerin der Epidemie. Das erinnert stark an frühere Zuschreibungen, etwa die Behauptung, seit im Weissen Haus ein Unzurechnungsfähiger sitze, führe die Kanzlerin die «freie Welt» an.

Nicht wie Trump halt

Merkel selbst hat solche Übertreibungen stets zurückgewiesen. Sie könne und wolle diese Rolle nicht spielen. Zu offenkundig war ihr auch, dass gerade angelsächsische Kommentatoren sie gerne loben, um die Verzweiflung über ihre eigenen Mächtigen – mögen sie Donald Trump oder Boris Johnson heissen – in konstruktive Worte zu kleiden.

Merkels Krisenmanagement wird derzeit freilich auch in Europa vielerorts freundlich bis hymnisch beurteilt. Gewiss nicht im besonders gebeutelten Süden allerdings, dort lebt ihr Feindbild aus der Schuldenkrise wieder auf: Die mächtigste Politikerin des Kontinents gilt in Italien oder Spanien wieder als wichtigstes Hindernis für finanzielle Solidarität in Europa. Wieder wird sie als «schwäbische Hausfrau» karikiert, die ihren Geldbeutel verschlossen hält – wenn nicht gar als Totengräberin der EU oder Enkelin Hitlers.

In Frankreich wiederum verzweifelt man daran, dass Merkel nicht mal jetzt Emmanuel Macrons hochfliegenden Visionen für die EU beipflichtet – aber ebenso wenig eigene entwickelt. Im Norden Europas und in Deutschland selbst hat gerade diese störrische Nüchternheit Merkels guten Ruf einmal mehr gestärkt. In den Umfragen steht ihre Gunst wieder so hoch wie zuletzt 2017.

Noch vor zwei Monaten galt sie als Hindernis

Ihre Wiederauferstehung kam überraschend. Noch vor zwei Monaten erschien sie vielen als einziges Hindernis: Bei der Suche nach ihrem Nachfolger bei den Christdemokraten störte sie. Und den Neuanfang ihrer Partei und Deutschlands blockierte sie, indem sie sich weigerte, vor dem Ende ihrer Amtszeit 2021 das Feld zu räumen. Nun steht die 65-Jährige wieder unbestritten im Zentrum des politischen Geschehens.

Im politischen Alltag wirkt Merkel oft blass, fast lustlos. Aber Krise, das kann sie. Auf Sicht zu regieren, Problemgebirge Schritt für Schritt zu zerkleinern, bis sie sich bröckchenweise abtragen lassen, darin kommen ihr nicht viele gleich. Mit globalen Krisen hat sie in 15 Jahren sowieso mehr Erfahrung gesammelt als Trump, Macron und Johnson zusammen. Ihre ruhige Hand leite sicher durch Zeiten der Angst, glauben viele.

Ideologie ist ihr nicht so wichtig

Im Kampf gegen das unberechenbare Virus gelten ihre charakteristische Vorsicht und analytische Herangehensweise als besonders wertvoll. Ihr Radikalpragmatismus wird nicht mehr als Standpunktlosigkeit kritisiert, sondern wieder als Lösungskompetenz geschätzt. Anders als Trump hört die studierte Physikerin jetzt auf die Wissenschaft. Und anders als andere Politiker sagt Merkel den Bürgern ehrlich, wie viel man über die Seuche noch nicht weiss. Gerade darum sei Vorsicht angezeigt, nicht Übermut.

Auch dass Merkel nicht eigenmächtig handelt, sondern stets nach Konsens strebt, erweist sich als Stärke. Selbst Gegner räumen ein, dass es ihr wie kaum jemandem sonst gelingt, konträre Positionen zu vereinen und in unübersichtlichen Interessenlagen tragbare Kompromisse zu finden. Diese Fähigkeit tut derzeit nicht nur in den Verhandlungen mit den Bundesländern Not, sondern auch in der Koalition mit den Sozialdemokraten und in Europa.

Sie ist präsent wie nie

Im März hat die Kanzlerin zudem einen Fehler aus der Flüchtlingskrise 2015 vermieden: Diesmal redete sie rechtzeitig zum Volk, in einer seltenen Fernsehansprache. Sie klang dabei persönlicher und emotionaler als jemals zuvor. Sie warnte vor den Gefahren des Lockdowns für die Demokratie und bat eindringlich um die Unterstützung jedes Einzelnen.

Dafür trat zuletzt eine alte Schwäche wieder zutage: Merkel, die beim Warten keiner so leicht übertrifft, reagiert höchst ungnädig, wenn andere nicht ihre Geduld aufbringen. Wenn sie sich für einen Weg entschieden hat, den sie rational für überzeugend hält, meint sie zudem oft, gar nicht mehr dafür werben zu müssen. Er verstehe sich doch quasi von selbst.

Die fast unendliche Kanzlerschaft

In diesem Kontext ist auch ihr Ausbruch in einer vertraulichen Parteirunde am Montag zu verstehen. Über «Öffnungsdiskussionsorgien» schimpfte sie da. Dabei wollte sie im Grunde nur davor warnen, aus Übermut das öffentliche Leben schneller wieder zu befreien, als es der von ihr und den Bundesländern beschlossene Fahrplan vorsieht. Ihre Kritiker wendeten das Wort natürlich sogleich gegen sie, um den Eindruck zu erwecken, sie wolle die Diskussion über die weiteren Schritte quasi von oben verbieten. Einmal mehr halte sie ihren Weg wohl für «alternativlos», schallte es ihr entgegen – ein Schimpfwort aus alten Merkel-Zeiten.

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Wie immer der Kampf gegen das Virus ausgeht, er wird das Ende von Merkels fast unendlicher Kanzlerschaft prägen. Darüber dürfte sie womöglich nicht unglücklich sein. Immerhin hat ihre Politik in der Flüchtlingskrise das Land und ihre eigene Partei in einer Weise gespalten, wie es die Epidemie schwerlich tun wird. Von einem vorzeitigen Abgang spricht niemand mehr. Wenn Merkel im Herbst 2021 abtritt, wird damit das erste Mal in der deutschen Geschichte jemand das Kanzleramt aus freien Stücken abgeben.