Cenk testet LebensweisenMein Monat als Selbstversorger
Wenn die Hektik des Alltags und die ständige Verbindung zur Aussenwelt überwältigend werden, hilft ein uralter Cocktail, der Wunder bewirkt. Aus Natur, Stille und Stillstand.
Still·stand
Substantiv, maskulin [der]
1. [ohne Plural] Zustand, in dem etwas stillsteht, nicht [mehr] läuft, nicht [mehr] in Betrieb ist
2. das Aufhören einer Tätigkeit; Zustand, in dem eine Tätigkeit unterbrochen, eingestellt ist
Der Juli führte mich in die malerischen Berge von Arosa, wo ich für einen ganzen Monat in einem Zelt auf der Terrasse der Sattelhütte lebte. Ohne Ablenkungen, ohne den Druck der Verantwortlichkeiten wollte ich erfahren, wie es ist, mich selbst zu versorgen und dem Rhythmus der Natur zu folgen.
Ganz ohne Unterstützung ging das natürlich nicht. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Frank Baumann und die wundervollen Menschen bei Arosa Tourismus.
Die Ankunft auf 2401 Metern war eine Mischung aus Euphorie und Unsicherheit. Die majestätischen Gipfel umgaben mich, und die frische Bergluft erfüllte meine Lungen. Mein Zelt, gute 300 Meter über der Baumgrenze, sang sein Lied der Einsamkeit.
Die ersten Tage vergingen, während ich mich daran gewöhnte, die einfachen Aufgaben des täglichen Lebens zu meistern. Wasser holen, Feuer machen, Mahlzeiten zubereiten – alles wurde zu einem bewussten Ritual. Ohne die Ablenkungen der Moderne lernte ich, die kleinen Dinge neu zu schätzen. Der Klang der Vögel, die surrenden Insekten, die Pfiffe der Murmeltiere und weit und breit keine Menschen. Nur die Natur und ich. Jeder Morgen entlockte mir ein Schmunzeln.
Wenn man lange genug isoliert ist, beginnt man automatisch, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Ohne die üblichen Ablenkungen gab es plötzlich Platz für Gedanken und Gefühle, die sonst tief im Inneren verborgen bleiben. In dieser Reflexion fand ich sowohl Licht als auch Schatten. Eigenschaften, die ich schätze, aber auch solche, die ich noch entwickeln möchte.
Auch die Aussenwelt bekam eine völlig neue Bedeutung. Ich begann, die Pflanzen und Tiere um mich herum genauer zu beobachten. Surrende Insekten wurden von lästigen Plagen, wie ich sie sonst immer wahrnahm, zu interessanten Wesen, die mir eine Existenz im Einklang mit der Natur vorlebten. Selbst die flatternden Viecher, die scheinbar ziellos umherirren und der Willkür des Windes ausgeliefert sind, schienen mich zu ermutigen, die Schwere des Lebens loszulassen und mich dem Fluss hinzugeben.
In der Stille der Berge hörte ich meine eigenen Gedanken lauter als je zuvor. Ich erkannte, welche stürmische Gedankenwelt sonst in mir herrscht. Und wie befreiend es sein kann, den Geist zu beruhigen und die stürmische See zu einem sanften Teich abklingen zu lassen. Den Moment zu spüren.
Die Selbstversorgung wurde überraschenderweise zu einer Quelle des Stolzes. Jede Mahlzeit, die ich auf meinem einfachen Lagerfeuer zubereitete, fühlte sich wie ein kleiner Triumph an. Ich fühlte mich wie Tom Hanks in «Cast Away». Die Früchte meiner Arbeit waren für einmal nicht digital. Sie waren greifbar. Das Zelt tagsüber geschlossen zu halten, damit es von der Sonne aufgewärmt wurde und in der Nacht nicht zu kalt war, gab mir das Gefühl, Teil eines Kreislaufs zu sein, und schenkte mir ein tieferes Verständnis für die Bedeutung von Nachhaltigkeit.
Selbst die stürmischen Tage und Nächte, an denen der ganze Berg in dicken Gewitterwolken verschwand, als in meiner unmittelbaren Umgebung Blitze einschlugen und das ohrenbetäubende Grollen des Donners mich das Fürchten lehrte. Selbst das liess mich lebendiger fühlen denn je. Dass meine Inneneinrichtung zweimal völlig zerstört wurde, hätte mich zu Hause in den Wahnsinn getrieben. Hier oben machte es mir nichts aus. Ich hob die Scherben auf, fegte von Rotwein getränkte Salzberge zusammen und baute geduldig alles wieder auf.
Der Abschied nach einem Monat war schwerer als erwartet. Eine Mischung aus Wehmut und Dankbarkeit. Diese Erfahrung lehrte mich, wie wichtig es ist, innezuhalten, sich eine Auszeit zu nehmen und sich an den einfachen Freuden des Daseins zu erfreuen. Denn wahre Lebensfreude besteht nicht darin, die Welt zu beherrschen und sie zu kontrollieren, sondern in der Fähigkeit, loszulassen und mit ihr im Einklang zu sein.
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