Kolumne von Laura de WeckMehr Schweizer Serien – auch auf Netflix
Wirtschaftsfreiheit? Wahlfreiheit? Von wegen: Die Gegner bekämpfen die Lex Netflix, weil sie kritische Filme fürchten.
Ein junges Paar sitzt abends vor Netflix.
Er: Also, was wollen wir schauen?
Sie: Diese neue Fantasy-Serie aus Norwegen?
Er: Nein, lieber die Wikinger-Serie aus Irland.
Sie: Oder die voll schlimme koreanische Serie?
Er: Was ist mit dieser anderen megaerfolgreichen Serie …
Sie: Der polnische Softporno?
Er: Nein, das Historiendrama aus England.
Sie: Gibts nicht was aus der Schweiz?
Er: Nur zwei Serien, und die haben wir schon auf SRF gesehen.
Sie: Na ja, wenn wir das Filmgesetz annehmen und Netflix 4 Prozent der Schweizer Einnahmen in den Schweizer Film investieren muss, dann gibts mehr. Stell dir vor, die halbe Welt würde über eine Netflix-Serie aus der Schweiz diskutieren!
Er: Was? Du willst Ja stimmen zum Filmgesetz?
Sie: Klar.
Er: Aber dann erhöht Netflix das Abo.
Sie: Eben nicht. Nix wird teurer.
Er: Trotzdem.
Sie: Was trotzdem?
Er: Ob wir Schweizer überhaupt fähig sind, so einen internationalen Megaerfolg zu drehen?
Sie: Die Schweiz hat gerade an der Berlinale voll abgesahnt.
Er: Aber es geht doch auch um Wirtschaftsfreiheit. Ich finde, der Staat darf den Streamingkonzernen nicht einfach vorschreiben, in Schweizer Produktionen zu investieren.
Sie: Du glaubst, es geht bei der Abstimmung um Wirtschaftsfreiheit?
Er: Ja.
Sie: Es geht nicht um Wirtschaftsfreiheit!
Er: Um was dann? Um ein paar Schweizer Serien mehr auf Netflix?
Sie: Um viel mehr.
Er: Um was?
Sie: Es geht darum, dass die Rechtsbürgerlichen ums Verrecken verhindern wollen, dass Schweizer Kreative Geld bekommen.
Er: Wieso sollten sie das tun?
Sie: Weil Konservative es generell nicht mögen, dass man sich kritisch mit der Schweiz auseinandersetzt. Aber Filmemacher zeigen nun mal menschliche Tragödien, Missstände in der Gesellschaft, sie filmen die Lügen, Intrigen, den Schmerz, den Witz und die Traurigkeit unserer Heimat. Die Konservativen wollen aber möglichst wenig Filme wie «Die göttliche Ordnung» über den Kampf gegen die rechtsbürgerlichen Gegner des Frauenstimmrechts, oder über das Versagen des Establishments in «Grounding». Es wird ihnen unwohl, wenn der Film «Die Schweizermacher» die Absurdität des Einbürgerungsrechts auf den Punkt bringt. Oder wenn «Achtung, fertig, Charlie!» illustriert, wie verkifft die RS ist. Es ärgert sie, wenn der Zuschauer sieht, was im eigenen Land alles schiefläuft. Dabei schadet das der Schweiz gar nicht, es macht sie attraktiv, dass sie in ihren Filmen Emotionen zeigt. Aber den jungen Herren und Damen, die das Referendum gegen das Filmgesetz ergriffen haben, ist es lieber, wenn uns Netflix immer nur auf die Missstände anderer Länder aufmerksam macht, und die Schweiz ihre weisse Weste behält. Künstler waren schon immer die Ersten, die sich getraut haben, Ungerechtigkeiten aufzuzeigen. Jungkonservative mögen das vielleicht nicht, aber ich würde zu gern so was wie «House of Swatch» oder «Game of Swiss Banks», «The Swiss Oligarchs» oder «Tell Reloaded» sehen. Und apropos Wirtschaftsfreiheit: Wenns den Jungrechtsbürgerlichen echt darum ginge, dass der Staat sich aus Unternehmen heraushält, dann könnten sie dafür kämpfen, dass Bauernhöfe keine Subventionen, Konzerne keine Steuerprivilegien, KMU keine Standorthilfen bekommen. Aber ihnen ist die Wirtschaftsfreiheit von Netflix völlig egal. Sie wollen in Wahrheit nur den Radius von Schweizer Künstlern klein halten. Wie alle Reaktionäre auf der Welt, haben sie Angst vor den Recherchen, dem Spass und den Storys der Kreativen.
Er: Okay, okay, habs verstanden. Aber was schauen wir jetzt?
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