Ukraine-Debatte im NationalratKeller-Sutter erwartet bis zu 50'000 Flüchtlinge
Nach dem Ständerat debattierte heute die grosse Kammer über den Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen auf die Schweiz. Wir berichteten live.
Sanktionen «nicht blind übernehmen»
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi hält ein flammendes Plädoyer für die Neutralität. Er fordert Bundespräsident Cassis dazu auf, «neue Sanktionen der EU gegen Russland nicht einfach blind zu übernehmen». Sollte die EU zusätzliche Sanktionen ergreifen, brauche es seitens der Schweiz in jedem Fall eine «Einzelfallprüfung».
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Sicherheit der Schweiz gestiegen?
Kampfflieger würden im Ukraine-Krieg kaum eine Rolle spielen, sagt Pierre-Alain Fridez (SP). Er wendet sich damit gegen die Aufrüstungsrhetorik der Bürgerlichen – und verteidigt den Kampf gegen die F-35. Die Sicherheit der Schweiz sei durch den Krieg gestiegen, weil die Nato nun wachsamer sei, so Fridez.
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Grosszügig sein auch bei Afghanen
Ada Marra (SP) fordert, dass sich die Schweiz gegenüber den Ukraine-Flüchtlingen grosszügig zeige – aber nicht nur ihnen gegenüber. Flüchtende aus anderen Weltregionen, etwa aus Afghanistan, dürften nicht schlechter gestellt werden.
Im Weiteren kritisiert Marra, dass «gewisse Parteien» – und auch Bundesrätin Amherd – «diesen Krieg schamlos ausnutzen, um alte Kriegsschemata aufzuwärmen».
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Sicherheit und Armee im Mittelpunkt
Im bisherigen Verlauf der Ukraine-Sonderdebatte nehmen die Themen Armee und Sicherheit am meisten Raum ein und werden am kontroversesten diskutiert. Auch Corina Gredig (GLP) setzt hier einen Schwerpunkt.
Die Schweiz könne sich im Ernstfall nicht autonom verteidigen, sagt Gredig. «Demokratie und Freiheit schützen wir mehr denn je mit Gleichgesinnten.» Sie widerspricht damit insbesondere der SVP und Teilen der FDP, die auf eine Stärkung der «eigenständigen» Verteidigungsfähigkeit pochen.
«Wer Frieden will, muss bereit sein für den Krieg»
Damien Cottier, der eher linksliberale Fraktionschef der FDP, schlägt etwas andere Töne an als seine Parteifreunde, die bisher sprachen: Er spricht sich für ein starkes internationales Engagement der Schweiz gegen den Ukraine-Krieg aus. «Es braucht mehr Diplomatie und weniger Konflikt.»
Aber auch Cottier sagt an die Adresse der Linken: «Wer Frieden will, muss bereit sein für den Krieg.»
Armeefreundliche FDP
Die FDP wird wiederum sehr grundsätzlich: Die Gewährleistung von Sicherheit sei die «Hauptaufgabe, die ein Staat zu leisten hat», betont der Tessiner Rocco Cattaneo. Er bekräftigt die FDP-Forderung nach mehr Mitteln für die Armee und einem schnelleren Ausbau der Verteidigungsfähigkeit.
Die FDP schlägt seit Kriegsausbruch dezidiert militärfreundliche Töne an. Bereits am Dienstag plädierte Parteipräsident Thierry Burkart im Ständerat für einen Armeeausbau.
Lob für die Schweizer Bevölkerung
Es sei «grossartig», wie sich die Schweizer Bevölkerung für die Flüchtlinge aus der Ukraine engagiere, lobt Marco Romano (Mitte). «Wir möchten uns dafür bei den Menschen im Land bedanken.» Er fordert ausserdem intensive Anstrengungen, um die Ankömmlinge gut zu integrieren.
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Ist der Bundesrat auf den Sicherheitsrat vorbereitet?
Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte) verlangt, dass der Bundesrat sich besser auf die Mitgliedschaft im Uno-Sicherheitsrat vorbereitet. «Der Bundesrat muss seine Hausaufgaben jetzt machen und nicht erst nach der Wahl im Juni.» Die Mitgliedschaft sei eine Chance für die Schweiz – aber falls sie sich nicht gut vorbereite, drohe ein Imageschaden.
Die Mitte-Partei hatte unlängst in einem ungewöhnlichen Communiqué Zweifel geäussert, ob FDP-Aussenminister Ignazio Cassis seiner Aufgabe im Sicherheitsrat gewachsen wäre.
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190 000 Heizungen ersetzen
«Wenn wir uns von russischem Gas lösen wollen, müssen wir 190 000 Heizungen ersetzen», sagt Aline Trede, Fraktionschefin der Grünen. In drei bis fünf Jahren sei das machbar. Trede hält es für zentral, dass die Schweiz ihre energiepolitische Abhängigkeit von Russland reduziert.
Im Weiteren fordert sie den Bundesrat dringend auf, den Vertrag zum Kernwaffenverbot zu unterzeichnen. Sie hat kein Verständnis für Verzögerungen: «Es braucht da keine Neubeurteilung.»
Mitte kritisiert Bundesrat
Auch Ida Glanzmann (Mitte) greift die Kampfjet-Gegner an: Diese würden den Volkswillen nicht respektieren, zumal unlängst bereits eine Kampfjet-Abstimmung stattgefunden habe.
Unzufrieden zeigt sich Glanzmann auch mit den Leistungen des Bundesrats. Einzig das Verteidigungsdepartement – das von Glanzmanns Parteikollegin Viola Amherd geführt wird – sei auf die Krise vorbereitet gewesen, nicht aber die übrigen Departemente. «Wartet man im Bundesrat einfach ab, bis eine Situation eskaliert?»
FDP gegen Kampfjet-Gegner
Maja Riniker (FDP) fordert die Kampfjet-Gegner auf, ihr Engagement zur «Schwächung unserer Armee» aufzugeben. Angesichts des Kriegs gelte es die Armee zu stärken und den Armeebestand auf 120'000 Mann aufzustocken.
Riniker knüpft damit an eine Forderung an, die bereits Verteidigungsministerin Viola Amherd erhoben hatte: Die Kampfjet-Gegner sollten ihre Initiative gegen die Beschaffung der F35-Flotte zurückziehen, erklärte Amherd unlängst in einem Interview.
SVP fürchtet um das Militär
«Im Ernstfall ist kein Verlass auf Verbündete und andere Staaten», sagt David Zuberbühler (SVP).
Er übt heftige Kritik am Verkauf der Munitionsfabrik Ammotech durch den Bund. Der Krieg habe die «existenzielle Bedeutung» einer schlagkräftigen, eigenständigen Armee gezeigt.
Schweiz soll mehr für Europa tun
Die Grünliberalen verlangen mehr Engagement für die EU und für die Nato. Es sei Zeit, dass die Schweiz einen «deutlichen stärkeren Beitrag zur europäischen Integration» leiste als bisher, erklärt Fraktionssprecher Roland Fischer. Auch die Zusammenarbeit mit der Nato sei auszubauen. «Dieser Krieg hat klargemacht, dass die Schweiz zu Europa gehört – ohne Wenn und Aber», so Fischer.
Präsidentin mahnt den Rat
Nationalratspräsidentin Irène Kälin (Grüne) eröffnet die Ukraine-Debatte mit einer Mahnung an die Ratsmitglieder: Das Thema der Debatte sei eine «tragische und besorgniserregende Realität». Sie bittet die nachfolgenden Votantinnen und Votanten, bei ihren Reden auf diesen Umstand Rücksicht zu nehmen.
Worum es im Nationalrat geht
Wie soll die Schweiz auf den Ukraine-Krieg reagieren? Das ist die Leitfrage, die über der grossen Sonderdebatte im Nationalrat heute Mittwochmorgen steht. Über 60 Einzelfragen und Forderungen haben die Fraktionen dem Bundesrat eingereicht. In der Bedeutung des Themas sind sich von links bis rechts alle einig. Von der Stossrichtung her unterscheiden sich die Interpellationen allerdings deutlich:
Die SP drängt den Bundesrat vor allem zu mehr Engagement bei den Sanktionen gegen das Putin-Regime, auch auf internationaler Ebene. Ausserdem fordert die Partei mehr humanitäre Hilfe und Massnahmen gegen russische Cyber-Angriffe - und sie möchte die «mangelnde Vorbereitung» des Bundesrats bei Kriegsausbruch aufarbeiten.
Die SVP legt den Fokus dagegen auf eine eigenständige Sicherheitspolitik: Sie will vom Bundesrat wissen, wie er die militärische Schlagkraft der Schweiz erhöht. Ausserdem verlangt sie Massnahmen gegen die steigenden Energiepreise.
Die Mitte-Partei möchte Auskunft darüber, wie der Bundesrat das heikle Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat handhaben wird. Sie liess bereits früher durchblicken, dass sie FDP-Aussenminister Ignazio Cassis diesbezüglich nicht über den Weg traut. Ausserdem fordert sie angesichts des Flüchtlingselends verstärktes humanitäres Engagement.
Die Grünen nehmen den Rohstoffhandel und den Finanzplatz ins Visier: Der Bundesrat soll hier stärker durchgreifen, um sich von Verflechtungen mit Russland und seinen Oligarchen zu lösen. Im Energiebereich sollen «Sofortmassnahmen» die Abhängigkeit der Schweiz von russischem Erdgas vermindern etwa durch den Verzicht auf russisches Gas.
Die Grünliberalen fokussieren auf die Rolle der Schwiez im internationalen Umfeld. Sie fordern vom Bundesrat die «Verteidigung der liberalen Weltordnung» und wünschen sich «Leadership der Schweiz bei der Verteidigung der völkerrechtlichen Verträge».
Die FDP will, wie die SVP, schwergewichtig Auskunft zu sicherheitspolitischen Fragen. Sie fordert unter anderem substanzielle Erhöhungen des Verteidigungsbudgets.
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