Mamablog: Hässiges Kind, hässige MutterWas ich am Elternsein unterschätzt habe
Früher gab es Muki-Turnen, heute Babymassage, PEKiP und Frühförderung. Unsere Autorin gibt zu: Sie hat sich das Erziehen irgendwie leichter vorgestellt.
«Ich bin hässig», diesen Satz höre ich derzeit von meinem dreijährigen Sohn oft. Natürlich ist es lobenswert, wenn Kleinkinder ihre Gefühle artikulieren können. Bravo! Doch in aller Regel folgen auf Worte Taten. Bei uns im Trend liegen dabei das Stampfen, das Spielzeug-durch-die-Gegend-Werfen oder im schlimmsten Fall ein ohrenbetäubender Trotz-Heul-Anfall. Die Devise lautet: Ruhe bewahren, tief durchatmen und notfalls Kopfhörer mit «Ohm Shanti» ins Ohr stecken.
Leichter gesagt als getan. Besonders herausfordernd wird das Ganze, wenn das vermeintliche Unrecht den Süssigkeitenkonsum betrifft. Zum Beispiel ein Nein zum vierten Glacé. Leider vergesse ich immer wieder, den Süssigkeitenkonsum meines Sohnes fotografisch festzuhalten, um im entscheidenden Moment ein überzeugendes Argument gegen seine angebliche Amnesie parat zu haben.
Ja, auch ich bin wütend
Apropos Zaubern: Es ist schön, dass Kinder uns Eltern als alleskönnende Mittelpunkte ihres Universums betrachten. Logischerweise würde auch ich mich über Superkräfte freuen. Dann könnte ich nicht nur für eine immer saubere Wohnung sorgen, sondern auch dafür, dass es niemals dunkel wird. Oder niemals hell. Dass es regnet oder nicht regnet. Einfach «Simsalabim» und plötzlich hätte der Kinderrucksack Platz für drei weitere Kuscheltiere. Es ist wirklich eine Frechheit, wie winzig dieser Rucksack ist!
Weil es nicht nur für Dreijährige wichtig ist, ihrem Ärger Luft zu verschaffen, sondern auch für die Eltern, tue ich es ihm an dieser Stelle gleich: Ich bin im Fall auch hässig. Nicht etwa auf meinen Sohn. Im Gegenteil: Bei gewissen ihm das Leben erschwerenden Ärgernissen kann ich mir ein Lachen kaum verkneifen. Etwa, wenn es ein Auto wagt, irgendwo weit entfernt zu hupen und damit die Ruhephase der kleinen Diva zu stören. Ich bin vielmehr wütend auf unsere Gesellschaft und mich selbst. Denn ich muss gestehen, dass ich die Anforderungen ans Elternsein in der heutigen Zeit vollkommen unterschätzt hatte.
Andere schaffen es ja auch
Naiv wie ich war, ging ich davon aus, dass ich das, was so viele andere da draussen schaffen, sicher auch hinbekommen würde. Schliesslich bin auch ich gross geworden. Aber genau hier liegt der Denkfehler. Denn die Bedingungen, unter denen wir heute Kinder grossziehen, sind nicht annähernd vergleichbar mit denen vor 40 Jahren.
Frühförderung hatte damals noch ihre Grenzen. Und damit auch der Termindruck und der elterliche Stress.
Soweit ich mich erinnere, blieben unsere Eltern von dem heutigen Überangebot an Freizeitmöglichkeiten in Form von Kursen aller Art verschont: Babymassage, Stillkurse oder PEKiP (das Prager-Eltern-Kind-Programm, ich muss auch immer wieder nachlesen, was das eigentlich bedeutet), und dazu die auf Kleinkinder zugeschnittenen Lektionen in Schwimmen, Fussball, Tanzen, Musizieren, Malen oder das Erlernen diverser Fremdsprachen. Frühförderung hatte damals noch ihre Grenzen. Und damit auch der Termindruck und der elterliche Stress. Es gab höchstens Muki-Turnen!
Warum schiebe ich eigentlich mein Kind ab?
Zudem gab es damals auf dem Spielplatz keinen Wettbewerb, wer die nährstoffreichsten gefüllten Tupperware-Behälter für die Kinder mitbringt. Spielplatz?! Gespielt wurde rund ums Haus, wo sich die Balance zwischen dem Setzen von Grenzen, was für die Entwicklung des Kindes wichtig ist, und dem «Laissez-faire-Prinzip» von selbst ergab, ohne 35 Ratgeber. Ausserdem konnten die damaligen Fernseher nicht mit einer Zeitschaltuhr versehen oder das Festnetz abgeschaltet werden. Irgendwann war einfach Schluss, ohne dass lange nach den pädagogisch richtigen Worten gesucht wurde. Ach, wie es mich nervt, dass heute jedes «Nein» zuerst auf die Goldwaage gelegt werden muss.
Unterschätzt habe ich auch die Fremdbetreuung meines Sohnes. Während es lange Zeit reibungslos verlief, weigerte er sich mit zweieinhalb Jahren plötzlich, in die Kita zu gehen. Ein Umzug half zwar, aber die morgendlichen Tränen blieben, was mein Herz täglich bricht und mich verärgert. Schiebe ich tatsächlich mein Kind ab, um einem Teilzeitjob nachzugehen und den Anschluss an die Berufswelt nicht zu verlieren? Finanziell lohnt es sich zumindest kaum, daher frage ich mich regelmässig: Ist es das wert?
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