Mamablog: Familie im FussballfieberNie ohne Ball
Schal am Hals, Fangesänge grölen, Stadion-Pommes essen, schimpfen und jubeln. Unsere Autorin lebt Fan-Kultur – auch um ihrer Kinder willen.
Das Hells-Bells-Intro ertönt, die Spieler laufen ein. Der Duft von Momos und Wurst hängt mir in der kalten Nase, ebenso der gigantische Joint des Typen schräg vor mir. Ein paar verbotene Pyros werden gezündet, und der Vorsänger hat bereits das T-Shirt ausgezogen. Schal am Hals, Bier in der Hand – für die nächsten zwei Stunden bin ich einfach hier, und alles andere ist egal.
Vom Dorfverein zum Familienspiel
Ich habe einen fussballverliebten Menschen geheiratet und seinen Lieblingsclub gleich mit. Unser Familienherz schlägt rot-weiss. Vor den Kindern ging ich ab und zu mit ins Stadion. Dann öfter mit Baby und Pamir im Tragetuch, später habe ich bei Nachmittagsspielen Blévita und Wasserflaschen reingeschmuggelt. Heute bin ich Besitzerin einer Saisonkarte, und so langsam kann ich mir auch die Namen der Spieler und ihre Positionen merken.
Tatsächlich war ich ein Fussballmeitli und hege eine eigene unaufgeregte Liebe für diesen Sport. Ich habe mit meinen Brüdern im Dorfverein gespielt – zwar mittelmässig, aber mit viel Inbrunst – und war (niemand weiss, wieso) Fan vom VfB Stuttgart. Mit meinen kleinen Jungs habe ich stundenlang im Park gekickt. Hauptsächlich, weil ich nichts anderes wusste und alle Spass daran hatten. Da konnte ich noch mit meinen vermeintlichen Skills brillieren. Wenn ich jetzt mitspiele, werde ich herumkommandiert und belehrt, ausgedribbelt, getunnelt, ausgelacht und für Glückstreffer überschwänglich gelobt wie ein Kind, das zum ersten Mal ein paar Meter auf dem Velo zurücklegt. Seit der Erste laufen kann, gehe ich nie ohne Ball aus dem Haus. So gesehen, habe ich das süsse Fussballmonster aktiv mit herangezüchtet. Ich ahnte ja nicht, wie gross so etwas werden kann.
Fussballfreie Zone am Tisch
Mein Plan war eigentlich die Bohemian-Family – verträumtes Künstlerleben in Cordhosen und Wollpullover, gemeinsame Jams am Freitagabend, Gitarrengurte zum Geburtstag, Konzertbesuche und Fachsimpeln über Sounds und Songwriting. Daraus wird vorerst wohl nichts. Mein Alltag riecht nach feuchtem Gras, und in meiner Agenda dominieren Fussballtermine. Montag bis Donnerstag Juniorentrainings, Freitagabend die Männer, am Wochenende eigene Spiele oder dann Heimspiel. Die Kinder leben praktisch auf dem Fussballplatz. Die Winterthurer Sirupkurve ist der Stammtisch, an dem sie ihre Kumpels treffen.
Wir mussten fussballfreie Zone am Tisch einführen, damit auch noch über anderes geredet wird als über Goalieparaden. Fürs Fluchen und Beleidigen gibt es Rote und Gelbe Karten. Bildschirmzeit wird genutzt, um alte Spielzusammenfassungen zu schauen, und wir gamen nicht, wir «zocken ein Fifa». Bei diesem Spektakel flüchte ich. Da wird geschrien, gejubelt und geweint, dass die Wände wackeln. Sie futtern über den programmierten Schiri und das «scheiss Grätli», welches schuld sein soll am schlechten Schuss. Vielleicht ist es auch der Rasen. Die Emotionen müssen sich noch etwas einpendeln.
Wenn es mir zu viel wird, seile ich mich ab. Für eine Intervention ist es etwas spät. Und die ewig angesäuerte Aussenseiterin sein macht sowieso keinen Spass. Also bin ich vorerst all-in gegangen. Nicht zuletzt, weil es einfach schön ist, meine Lieblingsmenschen zu beobachten, wenn sie leidenschaftlich bei der Sache sind. Darum stehe ich jetzt hier auf der Schützenwiese, singe «Fuscht id Luft» und Liebeslieder an die Eulachstadt. Ich muss ehrlich sagen, das hat schon was. Für zwei Stunden einfach den Planeten wechseln. Fangesänge grölen, Stadion-Pommes essen, bisschen schwatzen, bisschen schimpfen, bisschen jubeln und an nichts anderes denken.
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