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Mamablog: Im EM-Fieber
Alle zwei Jahre kriegt mein Partner ein Kind

Omnipräsenter Fussball: Die Europameisterschaft spielt sich bei Eltern mit Kleinkindern vielfach im Verborgenen ab. 
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Sein Glück sei perfekt, das hat er oft gesagt nach der Geburt. Spürbar bemüht, die Dinge in die adäquate Reihenfolge zu setzen: die kleine Tochter, der es gut geht, und den Umstand, dass sein Vaterschaftsurlaub just mit der Europameisterschaft zusammenfällt.

Auf die Idee, man könne ein Neugeborenes und einen bald Zweijährigen, der gerade seinen Exklusivstatus eingebüsst hat, betreuen und dabei eine Fussball-EM verfolgen, kann auch im Jahr 2021 nur ein Mann kommen.

Das hat er unterdessen, nach einigem Chaos, selbst festgestellt. Läuft bei uns ein Bildschirm, hat unser Kleiner längst eigene Vorstellungen, was da gezeigt werden müsste – und das ist bestimmt kein Fussball. Also finden die Spiele gar nicht oder im Verborgenen statt: Als Live-Ticker auf dem unter dem Tisch gezückten Handy oder tonloser Stream auf dem Tablet neben dem Herd.

Und doch ist der Fussball omnipräsent, als hätten wir ein weiteres Kind, um das nur er sich kümmert. Ein Kind, das sich vor allem als Aufmerksamkeitslücke bemerkbar macht. Unsere Gespräche nehmen bisweilen fast beckettsche Züge an. Er redet kurz, Stichwort gesteuert. Ganze Sätze dringen selten zu ihm durch. Er sagt dann, es liege an der Badezimmerlüftung, am Kinderlärm, der verwinkelten Wohnung. Ich schliesse etwas anderes: Es ist ein Tag, an dem Italien spielt.

Wie gemacht für die Endlosschlaufe

Nun ist es nicht so, dass er sonst keine zerstreuten Momente hätte. Es ist vorgekommen, dass die Post im Kühlschrank lag. Und das Regime mit einem Geschirr- und einem Handtuch funktioniert nach wie vor nicht zuverlässig. Jetzt aber bitte ich ihn, mir das Stillkissen zu holen, das noch auf dem Sofa liegt. Er aber läuft in die Küche, es rumpelt, dann kommt er mit fragendem Blick zurück: Was war nochmals dein Wunsch? Und dann sind da diese erratischen Informationshappen, die er an mich heranträgt. Fragmente seiner Gedanken, die nach aussen dringen. Etwas, das er über einen deutschen Aussenverteidiger gelesen hat, statistische Daten, Tore, die Italien hätte schiessen müssen – und nicht geschossen hat. Mir scheint, im Fussball ist alles auf Endlosschlaufe angelegt, die Zeitlupen nehmen den Prozess im Kopf vorweg: Das Resultat bleibt immer dasselbe, aber im Fan-Gehirn schaut jedes Neuron jede Szene einzeln an.

Im Vergleich dazu fühle ich mich nach der Geburt recht präsent. Zwar vergesse ich mal, einen Nuggi einzupacken, wenn ich mit der Kleinen einen Ausflug mache, lasse etwas bei den Grosseltern liegen. Auch dass der Schlüssel noch aussen in der Wohnungstür steckt, kommt vor. Eine Stilldemenz oder mütterliche Amnesie, wie es medizinisch korrekt heissen müsste, hat mich aber nicht befallen.

Sie gehört, so legen jüngere Studien nahe, sowieso eher ins Reich der Mythen, wie es viele gibt rund um Geburt und Schwangerschaft (obwohl dies meine Kollegin Joëlle Weil anders erlebt). Bei Gedächtnistests im Labor schneiden Mütter von Neugeborenen jedenfalls nicht schlechter ab als Kontrollgruppen, und das unabhängig davon, ob sie stillen oder dem Kind die Flasche geben. Die objektiven Daten widersprechen damit der subjektiven Wahrnehmung vieler Mütter, die sich als besonders vergesslich wahrnehmen und in dieser Auffassung bestärkt werden.

Es wirken Schlafentzug und Stress

Kommt es tatsächlich zu einer Konzentrationsschwäche oder Gedächtnislücken nach der Geburt, wird das heute von vielen Forschern nicht mit hormonellen Prozessen, sondern mit Schlafentzug und Stress erklärt, zwei typischen Begleiterscheinungen des familiären Zusammenlebens mit kleinen Kindern.

Auch bewährte Haushaltsroutinen greifen plötzlich nicht mehr, wenn ein Kind mehr da ist, möchte man noch ergänzen. Nach der Geburt richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Neugeborene, das versorgt werden muss, das Nähe und Geborgenheit braucht. Dazu kommt eine Summe kleiner Erledigungen, vom Auswaschen der Bodys bis zur Anmeldung bei der Krankenkasse. Und in fast allem, was man vorhat, wird man unterbrochen. Da kann schon mal etwas vergessen gehen – sagt der gesunde Menschenverstand. Und doch gibt es nach wie vor die Tendenz, das Verhalten von Frauen als hormonell determiniert zu begreifen, während es tatsächlich vor allem umweltbezogen ist – wie die alle zwei Jahre wiederkehrende Fussball-Derangement meines Partners.

Ich schliesse also: Bin ich im Moment daheim etwas besser sortiert als er? Vermutlich schon. Aber ich bin es vor allem auch seinetwegen. Weil er da ist für viele Wochen und wir so gut es geht die Familienarbeit teilen.