Papablog: Künstlerische FaulheitMalen, Basteln, Werken – ohne mich!
Während andere Kinder ein Meisterwerk nach dem anderen produzieren, langweilen solche Tätigkeiten den Sohn unseres Autors. Ein Grund zur Sorge?
«Das war jetzt aber nicht berühmt», hat die Kinderärztin letztes Jahr im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung zu mir gesagt. Gemeint waren damit die Malkünste meines Sohnes. Wenige Minuten zuvor hatte er mit augenscheinlichem Desinteresse ein paar krumme Linien und vieleckige Kreise zu Papier gebracht, sich nicht auf eine stärkere Hand festlegen wollen und noch dazu den Stift umklammert, als hielte er ihn für einen Pürierstab.
Ich fühlte mich in diesem Moment ebenso ertappt wie schuldig. Auch mir war längst aufgefallen, dass mein Sohn kein besonderes Interesse für Bastel-, Mal- und Werkarbeiten zu hegen schien. Ich hatte allerdings auch kaum versucht, ihn dafür zu begeistern.
Was für eine Materialverschwendung
Die Wahrheit ist: Ich hasse es, zu malen und zu basteln. Ich hasse die Klebstoffreste auf unserem Esstisch, ich hasse, dass überall Papierschnipsel herumfliegen, ich hasse kitschige Ausmalbücher und Origamianleitungen, die mich an meine mündliche Mathe-Abiprüfung erinnern (Schwerpunkt Geometrie, Note 5+ – in der Schweiz entspricht das einer 2).
Es war also nicht zuletzt praktisch, dass es meinem Sohn ähnlich zu gehen schien. Denn natürlich hasse ich auch die allermeisten der Kritzeleien, die in den Wohnungen befreundeter Eltern an Kühlschränken und Kinderzimmerwänden hängen. Was für eine Zeit- und Materialverschwendung. Was für eine Selbstgeisselung, den Kram auch noch die ganze Zeit über anzustarren.
Ich bin offensichtlich ein schlechter Mensch, aber ich bin niemand, der dazu neigt, ärztliche Diagnosen anzuzweifeln oder immer davon auszugehen, dass er selbst am besten wisse, was die eigenen Kindern brauchen. Auch weil die Ärztin hinzufügte, dass man die ungeklärten Links-/Rechtshänder-Tendenzen meines Sohns ergotherapeutisch überprüfen lassen könnte, beschäftigte ich mich noch einige Wochen nach der ansonsten reibungslosen U-Untersuchung mit ihren Aussagen. Ich holte Buntstifte aus dem Schrank und liess sie in greifbarer Nähe herumliegen. Ich guckte Youtube-Tutorials darüber, wie man Hubschrauber malt und Feuerwehrautos bastelt. Ich spielte mit dem Gedanken, eine Heissleimpistole zu kaufen.
Plötzlich verglich ich meinen Sohn mit anderen
Gleichzeitig entwickelte ich eine weitere Verhaltensweise, die ich nie entwickeln wollte: Ich verglich meinen Sohn mit gleichaltrigen Kindern. Beäugte seine und deren Bastelarbeiten sowie die Bilder, die in der Kita-Garderobe an den jeweiligen Plätzen hingen. In der familieneigenen Whatsapp-Gruppe konnte ich ausserdem beobachten, welche Meisterwerke die Kinder meiner Geschwister beinahe täglich produzierten. Während sie die Corona-bedingten Schliesszeiten ihrer Kindergärten nutzten, um den eigenen Nachwuchs zu kleinen Künstlern heranzuzüchten, sassen wir zu Hause vor dem Fernseher und verblödeten. So konnte es doch nicht weitergehen.
Denn die Wahrheit ist natürlich auch: Malen und Basteln fördern die Entwicklung und Verwirklichung kreativer Ideen. Kinder verbessern dadurch ihr Vorstellungsvermögen, ihre Ausdauer und Konzentration. Auch in der Ergotherapie wird nicht nur darauf hingearbeitet, dass Kinder die Hand-Hand- und die Hand-Auge-Koordination entwickeln, die zum Malen, Basteln und später auch zum Schreiben notwendig sind. Die spielerische Arbeit mit Stiften, Scheren und ähnlichen Werkzeugen kann auch selbst therapeutisch zum Einsatz kommen.
Es ist okay, wenn Kinder nicht alles können
Machte ich es mir also zu einfach, indem ich die Bastelfaulheit meines Sohns als praktische Gemeinsamkeit zwischen uns beiden begriff? Müsste ich mir mehr Mühe geben, damit auch er sich mehr Mühe geben würde? Alles halb so wild, versicherte mir eine befreundete Ergotherapeutin schliesslich im Gespräch. Bei den meisten Kindern komme der Basteltrieb irgendwann von allein, und selbst wenn er nicht kommt, müsse das noch lange kein Problem sein. Kreativität könne sich auch beim Hören und Weiterspinnen von Geschichten entwickeln, Feinmotorik auch im Spiel mit Bauklötzen. Oder auf unzählige andere Arten.
Es ist okay, wenn Kinder nicht alles können. Es ist auch okay, sie nicht krampfhaft zu Dingen zu ermutigen, für die ihnen augenscheinlich Interesse, Begabung oder beides fehlt. Beides sollte sich natürlich von selbst verstehen. Aber häufig sind es eben gerade die Selbstverständlichkeiten, die man im Alltag mit Kindern als erstes aus den Augen verliert. In ein paar Wochen steht dann wieder eine ärztliche Untersuchung für meinen Sohn an. Berühmt sind seine Malkünste immer noch nicht. Seit ich ihn nicht mehr damit nerve, holt er die Buntstifte aber manchmal sogar selbst aus dem Schrank.
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