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TV-Kritik «Tatort»
Lützerath revisited, mit Schauspielstar

Barbara Nüsse hat als kauzige Pensionswirtin eine sehr eigene Vorstellung von richtig und falsch.
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Der Ort heisst Bützenich, und man darf dabei durchaus an Lützerath denken. Einst hatten für das Dorf in der Nähe Kölns viele demonstriert, jetzt stehen die Häuser leer, die Fenster sind verrammelt. Der Weg dorthin führt vorbei an einem «gigantischen Klimakillerloch», wie Kommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär) feststellt, als sich Kollege Max Ballauf (Klaus Behrendt), auf dem Beifahrersitz, über den Dreck schleudernden Oldtimer nervt, in dem die beiden zum toten Weiler kurven.

Wie ein gefledderter Leichnam wirkt auch die Landschaft, aufgerissen für den Braunkohleabbau. Mittendurch geht die monströse Abbruchkante, die dem neuen «Tatort» den Titel gab. Regisseur Torsten Fischer, ein alter «Tatort»-Hase, hat das Braunkohlerevier grossartig grausam in Szene gesetzt; und während die Kommissare im altersschwachen Auto unterwegs sind, lässt er «Sleep Walk» laufen, die erinnerungsschwangere, jammernde Hawaiigitarrenhymne auf eine bessere Zeit.

Bittere Ironie: Das Geisterdorf könnte weiterhin eine funktionierende Gemeinde sein. Denn so, wie die aktuelle Regierung in Berlin fünf Nachbardörfer von Lützerath vor den Baggern gerettet hat, wurde auch (Alt-)Bützenich am Ende aus dem Abbauprojekt entfernt. Doch zu spät, zu spät: Diese zwei Wörter, nie ausgesprochen, scheinen durch die leeren Strassen, die überwucherten Gärten zu hallen. Nun liegt der Dorfarzt ermordet in seinem Blut in einer der Hausleichen, die er seinen Nachbarn abgekauft hatte, als diese sich im sterilen Neu-Bützenich eine neue Heimat zu schaffen versuchten.

Die Dreckschleuder unterwegs im Geisterdorf: Die beiden Kommissare Ballauf und Schenk ermitteln für einmal nicht in Köln selbst.

Aber keiner scheint richtig traurig über den Tod des Arztes. Weder seine Frau, die ihren Alkoholkonsum nicht im Griff hat (Lou Strenger), noch seine Patienten. Zu ihnen zählt auch der Ex-Besitzer des Mordhauses, Schnitzler (ein starker Peter Franke), den der Arzt jüngst ins Leben zurückgeholt hat: Schnitzler und seine Frau hatten sich zum gemeinsamen Suizid entschlossen; die Frau überlebte nicht.

Stück für Stück entfalten sich die Zusammenhänge, begreifen wir die Spannungen, Hoffnungen und Verzweiflungen der Dorfbewohner. So starb einst bei einem Unfall im Lauf der Bützenich-Proteste eine engagierte junge Frau; ihr Vater wurde depressiv. Der Arzt wiederum, der als scheinbarer Wohltäter die Häuser aufkaufte, verhielt sich zunehmend erratisch.

Regie und Kamera (Theo Bierkens) bauen für diese Geschichte über die Zwielichtigkeiten der Seele ein somnambules Zwischenreich: die Nichtwelt Bützenichs. Das Ineinanderfliessen von Gegenwart und Vergangenheit kulminiert im finalen Rückblick, der den Mord rekonstruiert. In diese Stimmung hoben die Drehbuchschreibenden Eva und Volker Zahn die Story rund um Kommissar Ballaufs Einsamkeit: ein perfektes Match. Dass – und wie – die umwerfende, heute 80-jährige Bühnengrösse Barbara Nüsse hier die kauzige, widerständige Pensionswirtin gibt, die Ballauf an seinen wunden Punkten packt: ein Coup! Das allein ist schon ein Grund, diesem «Tatort» das Prädikat «sehenswert» zu verpassen.