TV-Kritik «Tatort»Wenn es Nacht wird im Dorf und der Wolf umgeht
«Unten im Tal» führt in ein Kaff unter hohem Himmel: Dort brodelt es, und die Vergangenheit ist gegenwärtiger als gedacht.
Schwarz bewaldete Hänge und ein kleines, grünes Tal, darüber zarte Nebelschwaden, in der Ferne besonnte Hügelkuppen: Mit diesem Take startet «Unten im Tal». Ein ästhetisches Statement von Regisseurin Julia Langhof: Der neue «Tatort» aus Freiburg wird auf jeden Fall schön.
Die Kamera zieht also weiter über die Wiesen, eine Ziege meckert, Holzbeigen stehen im Dunst, ein Wassertropfen gleitet an einem Eiszapfen herunter. Dann aber wirds nachtschwarz, und im Taschenlampenlicht eines Hirten sehen wir gerissene Schafe, blutüberströmte Kadaver. Ein Wolf geht um im Tal.
Folgt nach diesem symbolschwangeren Auftakt Gefühlsbombastik, bildliche Überwältigungsrhetorik? Weit gefehlt! Langhof fängt zwar wie zufällig immer wieder die landschaftlichen Schönheiten ein und schneidet sie gegen die düstere, oft nächtliche Stimmung im Dorf. Aber stets hält die Regisseurin das richtige Mass – geradeso, als habe sie sich an den Protagonisten ein Vorbild genommen: Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau) sind die wohl unspektakulärsten Ermittlerfiguren im gesamten «Tatort»-Kosmos.
Diese «grauen Mäuse» werden zu einem Cold Case gerufen; was sonst. Die Leiche einer vor rund 15 Jahren aus dem Dorf verschwundenen Jugendlichen ist aufgetaucht. Berg und Tobler kurbeln die Recherchen wieder an, die sie damals frustriert hatten ad acta legen müssen. Die junge Frau hatte minderjährig ein Kind geboren, das bei der Tante in Berlin platziert worden war. In der Nacht ihres Verschwindens hatte sie zum Baby fahren wollen. Nun steht fest: Sie hat das Dorf nie verlassen.
Die Spannung pulsiert im Unausgesprochenen
Mordverdächtig ist allen voran der Cousin ihres Vaters, ein zu Gewalt neigender Ex-Alkoholiker (ein starker Aurel Manthei), der damals mit ihr gesehen worden war – und der jüngst, nach einer anderen Haftstrafe, ins Dorf zurückgekehrt ist. Dort mobbt man ihn, hasst ihn wie den Wolf.
Aber auch andere scheinen etwas zu verbergen: der mutmassliche Kindsvater, ein Schwächling, der bis heute in der elterlichen Kneipe ackert; die einstige Busenfreundin, die die Ermittlungen nicht überleben wird. Selbst die alten Eltern scheinen nicht alles zu erzählen, nicht einmal ihrer mutterlosen Enkelin, die längst bei ihnen lebt.
Grossartig, wie Nicole Armbrusters Drehbuch sich in knappen Dialogen ins Atmosphärische einfühlt, in die Kälte hinter der warmen Schwarzwaldfassade. Ohne Schnickschnack erzählt Armbruster von gebrochenen kleinen Leben, erstickten Träumen im engen Tal. Selbst der blutrünstige Wolf ist eigentlich ein irgendwie schöner, irgendwie tragischer Einzelgänger.
Die Spannung pulsiert im Unausgesprochenen; in den wortkargen Dorfbewohnern brodelt es. Die Kamera zoomt dazu, unaufgeregt und kurz, mal auf ein Gesicht, mal in einen Hohlweg ohne Ausgang. So entsteht ein plastisches Psychogramm des Kaffs und seiner Menschen – fast wie von Edward Hopper gemalt.
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