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TV-Kritik «Tatort»
Eine Louise-ohne-Thelma tröstet sich mit Prügelorgien

Alina (Bineta Hansen) ist die zentrale Figur in «Die Kälte der Erde».
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Die Regisseurin Kerstin Polte nennt es einen «Industriewestern». Sie startet «Die Kälte der Erde» mit einem Showdown zwischen überwucherten Gleisen, auf einer abgelegenen Industriebrache. Zwei Hooligangruppen, Saarbrücken-Fans und Kaiserslautern-Fans, treffen sich zum «Ackermatch» – einer geplanten Prügelei. Ein junger Mann wird es nicht überleben.

Polte mischt zum Auftakt einen klassischen Line Dance mit Splatter-Takes auf: hier die durchchoreografierte Formation; da das spritzende Blut. Hier marschieren brusttrommelnd die Kämpfer auf, schütteln die verfeindeten Leader einander männlich die Hand; da stürmt die Kamera von Fingern, die einen Hals würgen, zum Fuss, der in Weichteile tritt. Wilde Sprünge, fuchtelnde Arme, Sonnenflecken im Gewaltexzess.

Ist das noch kunstvoll, oder kippts doch eher ins Lächerliche? Zeigt das, quasi ungebrochen, Männlichkeitspathos und Gewaltverherrlichung der Hooligans, unter ihnen Einauge und Glatzkopf, oder transportiert es eine klare Kritik? Jedenfalls gibt dieser «Tatort» dem Milieu der Fussballhooligans – auch – eine Funktion als familienähnliches Netzwerk und zeichnet gesellschaftliche Perspektivlosigkeit.

Die gewaltfreien Fussballfans wiederum bauen sich gleichfalls eine Art Zuhause, eine der vier Ermittlerfiguren gehört dazu. Oder besser: gehörte dazu. Seit Esther Baumann (Brigitte Urhausen) sich als Kommissarin outen musste, gilt sie als Gegnerin. Sie ist eine der widerständigen Frauengestalten, die dieser Krimi buchstäblich bis zum K. o. zelebriert.

Waren mal Best Buddies: Kommissar Schürk (Daniel Strässer, links) und Kollege Hölzer (Vladimir Burlakov).

Die andere ist Ackermatch-Schlägerin Alina – die beeindruckende 24-jährige Schauspielerin Bineta Hansen wurde 2013 deutsche Meisterin im Juniorinnenboxen. Alina, eine alleinerziehende Mutter, kämpft als Einzige ohne Hand- und Mundschutz. Auch sonst nimmt diese Louise-ohne-Thelma (eine mit Schmackes, aber freilich ohne rechte Legitimation) kaum Rücksicht, weder auf sich noch auf andere. Dass sie ihre Tochter unbedingt von deren Pflegeeltern – einem schwulen Biracial-Paar – adoptieren lassen will, erstaunt ein bisschen.

Überhaupt hat Drehbuchautorin Melanie Waelde sich nicht bloss an ihrem Spezialthema Ersatzfamilie abgearbeitet («Nackte Tiere», 2020), sondern scheint sämtliche politisch korrekten Must-haves abzuhaken. So rücken die weiblichen Kommissarinnen mehr ins Rampenlicht als in der letzten Folge, neben Baumann Pia Heinrich (Ines Westernströer) – was der Chose freilich nicht mehr Power verschafft.

Die psychologische Misere des Ermittlerquartetts ist Teil von Waeldes Ersatzfamilien-Recherche. Kommissar Schürk (Daniel Strässer) hat die Beute des letzten Überfalls seines (toten) Vaters gefunden, lässt jedoch selbst seinen besten Freund und Kollegen Hölzer (Vladimir Burlakov) darüber im Dunkeln. Die Details des horizontalen Erzählstrangs sind nicht leicht zu entschlüsseln: Wer weiss noch, was im Saarbrücker Team vor einem Jahr geschah? Insgesamt ist es vor allem die Kameraführung, die viel aus dem – überkonstruierten – Industriewestern herausholt.