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Neues Phänomen am Arbeitsmarkt
Unzufrieden im Job – aber deshalb gleich laut werden?

Lauthals drohen, das Unternehmen zu verlassen, um Lohnerhöhungen durchzusetzen: Auf Youtube und Tiktok trendet das sogenannte «Loud quitting».
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Videoplattformen wie Youtube und Tiktok feuern eine neue Modeerscheinung in der Arbeitswelt an: das sogenannte «loud quitting», zu Deutsch laute Kündigung. Nutzerinnen und Nutzer diskutieren, wie diese Taktik am erfolgreichsten angewendet wird, um Lohnerhöhungen oder Beförderungen durchzusetzen.

Beim «loud quitting» geht es also nicht darum, die Arbeitsstelle wirklich aufzugeben. Vielmehr sollen unverhohlene und lautstarke Ankündigungen, das Unternehmen verlassen zu wollen, den Arbeitgeber zum Verhandeln zwingen. Der Hintergedanke: Mit Blick auf den Fachkräftemangel kann es sich die Firma nicht leisten, mich als Arbeitskraft zu verlieren.

Auf Tiktok geben Einflussnehmerinnen Tipps für «loud quitting».

Arbeitsmarktexperten wie Matthias Mölleney stufen dieses Vorgehen indes als riskant ein. «In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit können sich das nur wenige leisten», sagt der Leiter des Centers für Personalwesen und Führung an der Hochschule für Wirtschaft Zürich. «Von diesem Mittel machen in der Regel nur die Arbeitnehmer Gebrauch, die sehr gesucht sind auf dem Arbeitsmarkt und sofort eine andere Stelle finden würden.»

Die Reaktion des Arbeitgebers kann nämlich anders ausfallen als erhofft: Er könnte das auffällige Auftreten als Verstoss gegen die Treuepflicht deuten und eine Warnung oder sogar Kündigung aussprechen.

Die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt begünstige aber das Phänomen, sagt Mölleney: «In Zeiten eines gravierenden Fachkräftemangels haben die Arbeitnehmer generell mehr Macht, und deswegen ist die Gruppe, die sich ein ‹loud quitting› leisten kann, ungewöhnlich gross.»

Trend kommt aus den USA

Als Auslöser des Trends gelten die Ankündigungen von bislang erfolgsverwöhnten US-Techfirmen wie Facebook, Twitter, Google und Amazon im vergangenen Herbst, aus Spargründen Personal abzubauen. Hochqualifizierte Programmierer und Ingenieure sahen ihre Chancen gekommen, um ihren Arbeitgebern lauthals klarzumachen, dass es ohne ihr Fachwissen nicht geht.

Auftrieb erhielten sie dabei durch Vorfälle beim Kurznachrichtendienst Twitter. Dessen neuer Besitzer Elon Musk hatte im Rahmen einer Sparrunde Spitzenleute entlassen und musste diesen reumütig wieder ein Jobangebot machen.

Darüber hinaus entwickelt sich die laute Kündigung als Gegenbewegung zum sogenannten «quiet quitting», der leisen Kündigung. Dabei handelt es sich um eine Variante des Dienstes nach Vorschrift: Mitarbeiter leisten nur etwas mehr als das geforderte Minimum. Damit wollen sie ihr Privatleben aufwerten, ohne sich jedoch dem Verdacht der Arbeitsverweigerung auszusetzen. Unnötige Überzeit, aktive Beteiligung an Sitzungen oder Erreichbarkeit ausserhalb der Arbeitszeiten in Notfällen meiden sie.

«Wenn man wegen jeder Kleinigkeit Lärm macht, stumpft dieses Instrument ab.»

Matthias Mölleney, Arbeitsmarktexperte

Eine solche Denkweise entstand während der Corona-Krise, als viele Angestellte die Zeit während der Lockdowns nutzten, um über ihr Leben nachzudenken. Diesem Konzept stellen gut qualifizierte Arbeitskräfte nun das «loud quitting» gegenüber. Sie übernehmen darin eine aktive, wenn auch auffällige Rolle.

Umfragen in den USA zeigen, dass sich vor allem junge Millennials und die Generation Z zu beiden Trends hingezogen fühlen. Diese Menschen sind Anfang 40 und jünger. Ihnen geht es bei der Arbeit in erster Linie um Sinn und Erfüllung. Ihre Wechselbereitschaft ist höher. Und sie sind dabei, auf dem Schweizer Arbeitsmarkt die Babyboomer (Jahrgänge 1946 bis 1964) abzulösen.

«Wenn die Arbeitgeber partout nicht zuhören wollen, kann man seinen berechtigten Forderungen etwas mehr Gewicht geben», sagt Experte Mölleney. «Wenn man aber wegen jeder Kleinigkeit Lärm macht, stumpft dieses Instrument irgendwann ab und bewirkt nicht mehr viel.»

Tipps für unzufriedene Arbeitnehmer

Unzufriedenen Arbeitnehmern empfiehlt Mölleney grundsätzlich, das Gespräch mit den Vorgesetzten zu suchen und nicht auf Krawall zu setzen. Ist der Lohn das Thema, müsse ein Mitarbeiter überzeugend für eine Erhöhung argumentieren können: «Bei bilateralen Lohnverhandlungen kommt es darauf an, dass ich sehr klar erklären und begründen kann, welchen Mehrwert ich für das Unternehmen bringe und warum ich einen höheren Lohn verdient habe», so Mölleney.

Und was bedeutet «loud quitting» für die Arbeitgeber? Ein Schrei von Angestellten nach Aufmerksamkeit kann ein Hinweis darauf sein, dass sie innerlich noch nicht gekündigt haben – sonst würden sie nicht so handeln. Damit es aber gar nicht so weit kommt, rät Mölleney Vorgesetzten zu aktiver, interner Kommunikation. «Viele Arbeitnehmer wissen gar nicht genau, was ihre Arbeitgeber neben dem reinen Lohn sonst noch alles tun für ihre Mitarbeitenden.» Gemeint sind etwa freiwillige betriebliche Zusatzleistungen wie vergünstigte Angebote.

Wenn es ums Geld geht

Lohntransparenz gilt ebenfalls als mögliches Mittel, um Neid und Frust unter Mitarbeitern zu verkleinern. Die Jungunternehmerin Patrizia Laeri lancierte diesen Monat die Debatte neu, indem sie auf dem Online-Berufsnetzwerk ihr Salär öffentlich machte. Die Chefin der auf Frauen ausgerichteten Finanzplattform ElleXX zahlt sich 8000 Franken pro Monat aus.

Die Restaurantkette Familie Wiesner Gastronomie aus Dübendorf ZH bietet auf ihrer Website einen Lohnrechner an. Damit können Bewerbende ihren zukünftigen Lohn errechnen. Dafür müssen sie nur die gewünschte Funktion, ihre Berufsbildung und Arbeitserfahrung angeben. Angestellte der Firma wiederum können bei der Personalabteilung sämtliche Löhne einsehen.

Ein solches Modell geht Experte Mölleney zu weit. Er plädiert vielmehr für ein «ein klares, nachvollziehbares und faires System, um Löhne festzulegen». Unternehmen sollten dieses «transparent machen, damit alle wissen, wie Löhne zustande kommen» und dass dabei Fairness für jede und jeden gelte. Erfahrungsgemäss sei dies «so gut wie immer ausreichend, um eine steigende Fluktuation zu verhindern».