Longevity-TrendWie ich in den Ferien besser leben lernte
Guter Schlaf, schlanke Linie, weniger Stress: Spezialisierte Resorts versprechen Feriengästen lang anhaltende Vitalität. Funktioniert das wirklich? Ein Selbstversuch in Thailand.
- Ganzheitlich orientierte Hotels wie das Kamalaya auf Ko Samui bieten Wellnessprogramme mit Fokus auf Langlebigkeit und Wohlbefinden.
- Die Gäste durchlaufen eine umfassende Anamnese, bevor sie Behandlungen beginnen.
- Thailand fördert Medical Tourismus; man sieht darin eine willkommene Alternative zu herkömmlichem Partytourismus.
- Besucher erleben schnelle positive Effekte, aber eine nachhaltige Umstellung zu Hause erfordert Disziplin.
Die Frage ist nicht so sehr, wie alt man wird, sondern wie man alt wird. So sagt es Chayanis Pornkeratiwat, Ärztin im Kamalaya-Resort auf Ko Samui, Thailand. Sie hat klassische Medizin studiert, widmet sich nun aber der Verbindung von alternativen Behandlungsmethoden und Schulmedizin im sogenannten Longevity-House der Anlage. «Wir müssen alle irgendwann sterben, aber wir haben Einfluss darauf, wie sehr wir die Zeit bis dahin geniessen können.» Ein Satz, der einige Tage nachhallt.
Das Kamalaya ist ein Luxusresort – wobei Luxus hier nicht als Siebengangmenü mit Weinbegleitung daherkommt, im Gegenteil. Bevor man überhaupt etwas zu beissen bekommt, gehts zur Anamnese. Gemessen werden Gewicht, Grösse, Taillen- und Bauchumfang, Blutdruck, Körperfettanteil, Muskelmasse; ausserdem füllt man einen ellenlangen Fragebogen aus. Was die alles wissen wollen! Wie die Schlafqualität ist, wie oft man aufs WC muss, ob Hitzewallungen quälen, welche Operationen man schon überlebt hat – bis hin zu seelischen Traumata. Die Ferien beginnen also mehr oder minder mit einem Realitycheck.
Andererseits: Wenn 70 das neue 60 ist, dann sollte man sich vielleicht tatsächlich so ab 50 mal Gedanken über diese sogenannte Longevity machen. Also um alles, was Langlebigkeit fördert und mit Gesundheit und Wohlbefinden verbunden ist.
Die Reisebranche hat das erkannt und stellt sich zunehmend auf die sogenannten Best Ager ein. Gin Tonics, bis die Sonne aufgeht? Das ist für Junge, die sich keine Gedanken über den nächsten Morgen machen. Wer aber auch an übermorgen denkt, will vielleicht lieber abnehmen, entgiften, Stress abbauen, fitter werden. All das hat das Kamalaya im Angebot, sogar das Blut wird einem hier mit Sauerstoff angereichert, gegen Aufpreis.
Das abendliche Glas Wein vor dem TV ist hier tabu
Als Karina und John Stewart das Kamalaya vor über 20 Jahren anlegen liessen, war hier nichts. Das heisst, nicht ganz: Die Insel kannte schon Backpacker, die in ein paar Hütten am Strand schliefen. Und das Land im Süden Ko Samuis, das die beiden erwarben, war noch ein Stück unwegsame Wildnis.
Als sich Karina aus Texas und John aus Kanada, der 20 Jahre im Himalaja gelebt hatte, kennen lernten, entstand aus der Seelenverwandtschaft schnell eine Vision: ein ganzheitlich aufgestelltes Refugium für Menschen, die aus dem Hamsterrad des Alltags aus- und körperlich wie seelisch gestärkt wieder in den Fluss des Lebens einsteigen wollen. Inzwischen kümmern sich auch ehemalige tibetische Mönche und Nonnen als «Life Enhancement Mentors», also Mentoren für Lebensverbesserung, um die Seelenbalance.
Besser schlafen ist das Programm, für das ich mich entschieden habe. Zum besseren Schlaf gehört, so erklärt es Rita Casthanhito, die Therapeutin, auch Stressabbau. Ich müsse den rasenden Gedanken Herr werden, die mich nachts wach- und den Cortisolspiegel hochhielten. Wenn das gelinge, würde ich auch leichter abnehmen. Alles hängt mit allem zusammen, das ist die nervige, aber notwendige Erkenntnis.
Rita empfiehlt Meditation, homöopathische Schlafmittel und warme Fussbäder, um nur sehr weniges zu nennen. Dazu antiinflammatorische Ernährung, abends nur leicht und nicht scharf essen, möglichst Gemüse, Hülsenfrüchte und Nüsse, die allerdings viele Kalorien haben. Da gilt es, wie bei allem im Leben, die Balance finden. Und natürlich: keinen Alkohol. Auch nicht das lieb gewonnene Glas Rotwein vor dem Fernseher. «Ab einem gewissen Alter ist die Leber sonst so mit dem Alkoholabbau beschäftigt, dass man nicht mehr ruhig schläft.» Das Alter, selbst wenn es noch nicht so hoch ist, in meinem Fall 54, hält neben Haarausfall und Faltenbildung noch ein paar zusätzliche «Geschenke» parat.
Ganz schön volles Tagesprogramm
Wenn man durch das Resort läuft, fragt man sich automatisch, was sie wohl alle haben, diese nicht mehr ganz jungen, aber offensichtlich fitten und kultivierten Menschen aus aller Welt, die vom Detox-Lunch zur Ayurveda-Massage spazieren, dabei die hauseigene Jutetasche um die Schulter, auf der steht: «Feel life’s potential». Krank sind die wenigsten. «Die meisten sorgen vor, dass es auch so bleibt», erklärt Pornkeratiwat, die Ärztin. Sie glauben, dass sie in Zukunft besser leben könnten, wenn sie nur mal dazu kommen würden, ihre Gewohnheiten umzustellen.
Das Gute an dem vollen Programm, das einem verordnet wird: Man hat kaum Zeit sich zu fragen, ob einem etwas fehlt. Es geht vom Atemtraining in die Infrarotsauna und weiter zur Akupunktur. Man muss die Broschüren der Nahrungsergänzungsmittel lesen und zwischendurch kurz aufs Zimmer, weil man sich Schweiss oder Öl abduschen will.
Doch auch wenn man wenig und erst noch vegan isst und keinen Alkohol trinkt, fühlt es sich nicht wie Verzicht an. Dabei hilft natürlich, dass es hier wahnsinnig schön ist und man eigentlich permanent in üppiges Grün und aufs Meer blickt. Die Kulisse macht einiges wett.
Die thailändische Regierung hat nach der Pandemie eine Offensive gestartet, den Medical Tourismus zu fördern, besonders auf Ko Samui. Man wünscht sich mehr Gesundheitsfreunde als Rotlicht- und Partytouristen. Ausserdem erwartet man einen Anstieg der weltweiten Budgets für Medical Tourism mit Detox- und Longevity-Programmen auf mehr als 24 Milliarden US-Dollar jährlich bis 2027. Thailand könnte besonders stark profitieren, weil man ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis im Medizinbereich anbieten kann.
Lässt sich das alles zu Hause aufrechterhalten?
Abends kommt einer der freundlichen Mitarbeiter und installiert eine Stereoanlage auf dem Nachttisch, mit der man dann vor dem Einschlafen dem Klang von «warmem Regen» lauschen soll. Und noch bevor man sich darüber lustig machen kann, ist man auch schon eingeschlafen.
Es geht erstaunlich schnell, die Vorteile einer veränderten Lebensweise zu spüren. Dreimal am Tag leicht und gut essen, kein Problem – wenn einem gekocht wird. Yoga ist auch mal eine gute Abwechslung zu Krafttraining, Boxen oder Tennis, wo man sich ja doch immer etwas beweisen muss. «Du bist nicht der Boss, dein Körper ist der Boss», sagt der Yogi beim Atem-Workshop. «Dein Herz schlägt, ohne dass du überhaupt weisst, wie es funktioniert.» Wo er recht hat, hat er recht.
Selbst morgens um halb sechs der Sonne beim Aufgehen zusehen, bei einer Tasse Tee, ist gar nicht übel. Bloss: Lässt sich das alles zu Hause aufrechterhalten? Macht die Partnerin da mit, lässt der Job es zu? Manchmal ist man nicht selbst das Problem, sondern die Welt um einen herum. Andererseits, denke ich plötzlich, bestimmen wir sehr wohl mit, ob Stress und Sorgen unser Denken bestimmen.
Das Anti-Stress- und Schlafprogramm sieht vor, dass man sich angewöhnt, ein «Sorgentagebuch» zu schreiben. So empfiehlt es die Therapeutin und lacht wieder schallend, als sie meinen skeptischen Gesichtsausdruck sieht. Ich soll einmal am Tag aufschreiben, was mich stresst, und es dann für den Rest des Tages ruhen lassen.
Man wird in einer Woche mit einer Fülle von Ideen und Beispielen überflutet, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass man alles im Alltag auf die Probe stellen muss. Das ist einer der Schlagsätze, die ich mit nach Hause nehme, neben der Frage, wie ich älter werden möchte.
Drei Wochen später ist das Stresslevel immer noch niedrig, der Schlaf deutlich besser, auch ohne Akupunktur, Stirnguss und Co. Das Smartphone darf nicht mehr mit ans Bett. Ausserdem: nur leichtes Abendessen ohne Rotwein. Fast immer, jedenfalls. Das Sorgentagebuch hingegen: Es hat nicht lange überlebt.
Die Recherchereise für diesen Artikel wurde zum Teil unterstützt von den erwähnten Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismusagenturen.
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