Trend Trip-TourismusHigh werden unter professioneller Anleitung
In Holland etabliert sich ganz legal ein neuer Reisetrend: der Trip-Tourismus. In speziellen Retreats reisen die Gäste mittels halluzinogener Substanzen in ihr tiefstes Unterbewusstsein. Unsere Autorin hats ausprobiert.
Achtzig Jahre nachdem Albert Hofmann seinen berühmten Bicycle-Day hatte, erlebe ich meinen Nasenloch-Tag. 1943 ereilte den Chemiker die Wirkung seiner Entdeckung Lysergsäurediethylamid auf dem Velo vom Sandoz-Labor heim nach Bottmingen (BL). Die plastischen Beschreibungen seiner Halluzinationen sind als erster LSD-Trip in die Geschichte eingegangen. 2023 liege ich mit geschlossenen Augen in einer Jurte hinter einem Deich bei Utrecht und sehe mich aus der Perspektive eines Fötus durch das Innere meines Körpers tauchen: Durch meine Haut strahlt das Sonnenlicht, das durch das Oberlicht der Jurte scheint. Ich beobachte von innen, wie sich meine Brust beim Atmen hebt und senkt – und das verrückteste Bild: Irgendwann schaue ich aus meinen Nasenlöchern hinaus in die Welt!
Wenn Steve Jobs seine erste Vision von Apple tatsächlich unter LSD-Einfluss auf einer Apfelfarm in Oregon hatte, wie er das mal behauptet hat, dann ist The Matter in Holland ein passendes Setting für welt- oder zumindest bewusstseinsverändernde Erlebnisse: Auf der ehemaligen Apfel- und Birnbaumplantage seiner Eltern führen Eric und Marieke seit knapp einem Jahr das sogenannte Trip-Retreat. Ich habe bei ihnen ein viertägiges Gruppen-Retreat gebucht, mit zwei Trüffel-Trips, Einzelzimmer und veganer Vollpension – und beraten hat mich dabei die Trip-Concierge Anne Philippi.
2019 gründete die Start-up-Unternehmerin Philippi den Podcast und Newsletter «The New Health Club», in dem Unternehmer, Investoren, Wissenschaftler und Therapeuten über das wiederentdeckte Potenzial von einst kriminalisierten Drogen, über neue Märkte, Substanzen und medizinische Perspektiven sprechen. In ihrem früheren Leben arbeitete Anne Philippi als Silicon-Valley-Korrespondentin für Condé Nast in Kalifornien. Dort begann um 2010 herum langsam die Renaissance psychedelischer Drogen: «Mit Microdosing versuchen die Techies, quasi ihr eigenes Gehirn zu hacken und so zu übermenschlicher Performance zu gelangen – ganz anders als früher die Hippies, die sich damit dem kapitalistischen System entziehen wollten», erzählt sie.
Die Niederlande sind die Pioniere im legalen Trip-Tourismus: Dort schiessen Trip-Retreats gerade wie Pilze aus dem Boden.
Psilocybin (der Wirkstoff in halluzinogenen Pilzen), Ketamin, LSD: Nicht nur die Yoga- und Achtsamkeitsbewegung entdeckt die Substanzen neu, auch die medizinische Forschung. Etwa 100 klinische Studien laufen weltweit derzeit mit den drei Substanzen, um Depressionen, Traumata, Stress oder Drogenmissbrauch zu behandeln. Die Schweiz spielte dabei eine besondere Vorreiterrolle, schrieb die «Schweizerische Ärztezeitung» in einer Titelstory dieses Jahr. Die Niederlande hingegen sind die Pioniere im legalen Trip-Tourismus, wo Trip-Retreats gerade wie Pilze aus dem Boden schiessen.
Als «Trip-Concierge» berät Philippi jetzt Menschen bei der Suche nach dem passenden Retreat und hilft dabei, die Spreu vom Weizen zu trennen: «Meine Kunden kommen aus Europa, den USA, Indien und sogar Saudiarabien», erzählt sie. «Alle haben ganz unterschiedliche Erwartungen: Manche sind nur neugierig, andere wollen biografische Traumata aufarbeiten. Solche Gäste brauchen eine professionelle psychotherapeutische Eins-zu-eins-Trip-Begleitung. Auch das kann man buchen.» Als ich ihr grob meine Beweggründe schildere, sagt sie: «Okay, Sinn- und Optimierungssuche zwischen Arbeit und Privatleben, die ganz normalen Ü-40-Probleme also.» Und empfiehlt mir The Matter.
Kurze Zeit später erhalte ich einen vertraulichen Psycho-Fragebogen von Eric und Marieke. Eric ist ein ehemaliger landwirtschaftlicher Unternehmensberater, Marieke war früher ein Personal Coach. Dass es hier nicht um Spass und Hedonismus, sondern um eine ernsthafte Arbeit an sich selbst geht, wird schnell klar. Eine gute Gelegenheit, mit sich selbst ehrlich zu werden. Ich schreibe den beiden also: «Ich möchte mich meinen Ängsten stellen und sie überwinden, das Leben mit mehr Leichtigkeit angehen. Das Glas halb voll und nicht immer halb leer sehen.»
Mit dem rieselnden Soundtrack von Zeremonienmeister Eric kommen die ersten Bilder gefühlt ziemlich schnell.
So stehe ich eines Spätsommertags mit vier anderen Ü-40ern – ein belgisches Paar, ein Italiener und eine Deutsch-Holländerin – um 11 Uhr vor der Jurte hinterm Deich, mit Eric, Marieke und zwei Tripsitterinnen. Wir werden mit Palo-Santo-Holz und Fächern aus Vogelfedern umräuchert, ein bisschen schamanischer Folklorismus muss wohl sein für die erste psychodelische «Discovery»-Reise mit mittlerer Dosis.
Ich gebe zu: Ich habe eine Heidenangst. Und dann gehts los. In einer kleinen Zeremonie nehmen wir auf den Matratzen Platz und trinken eine Tasse Zitronensaft mit einer kleinen Menge Psilocybin und etwas Honig.
Mit dem rieselnden Soundtrack von Zeremonienmeister Eric kommen die ersten Bilder gefühlt ziemlich schnell: Kaleidoskopartige Motive, die aussehen wie Wasserkristalle unterm Mikroskop, beginnen vor meinem inneren Auge zu tanzen. Formen, wie man sie von Albumcovern der 60er-Jahre kennt.
Was dann kommt, ist schwer zu beschreiben. Zeit und Raum sind aufgehoben, alles wird multidimensional. Eine Welle von Liebe scheint mich zu erheben, ich denke an die liebsten Menschen meines Lebens, Glückstränen kullern aufs Kissen. Fürsorglich deckt mich eine der Tripsitterinnen mit einer wärmeren Decke zu und beduftet die Luft mit Aromaöl.
Es fühlt sich tatsächlich wie eine Reise an, wie eine Mischung aus Fliegen und Tauchen. Ich gleite von einem warmen Erinnerungsraum in den nächsten, stehe irgendwann draussen barfuss auf dem regennassen Rasen und fühle mich völlig eins mit der Natur, der Sonne und dem Wind. Als ich nach etwa drei Stunden wieder zu mir komme, wünsche ich mir etwas sehr Herziges: dass alle Macht- und Habgierigen, alle Mörder und Gewalttäter doch einmal diese Ego-Auflösung, diese Wellen von Liebe und Verbundenheit erleben müssten – und die Welt wäre ein friedlicherer Ort.
Ich sinke immer tiefer in ein dunkles Labyrinth, das enger und enger wird. Ich versuche, die Angst auszuhalten. Ganz ruhig zu atmen. Eine unerträglich lange Ewigkeit.
Der «Deep Dive» mit doppelter Dosis am nächsten Tag wird jedoch keine Wellness-Rutsche durch ein psychedelisches Disneyland. Ich komme nicht gut in den Flow. Die Wirkung der Droge ist wie eine immer stärker werdende Strömung, die mich heftig an den Rand drückt statt sanft mitzutragen. Ich sinke immer tiefer in ein dunkles Labyrinth, das enger und enger wird. Ich versuche, die Angst auszuhalten. Ganz ruhig zu atmen. Eine unerträglich lange Ewigkeit. Irgendwann höre ich die Trommelschläge von Eric wie Schritte auf dem Boden über mir. Blanke Panik. Ich winke nach Hilfe, blinzle unter der Maske hervor und werde erst wieder ruhiger, als ich sehe und spüre, wie Marieke meine Hand hält. Das ist es wohl, was man einen Bad Trip nennt.
Doch ich halte es aus, und irgendwann kommen die warmen Wellen zurück. Keine inneren Bilder erscheinen mir diesmal, sondern ganz klar gefühlte Emotionen auf bestimmte Menschen und Situationen meines Lebens, im Sinne von: Das will ich und das will ich nicht mehr.
Dies ist die wohl wichtigste Lektion des Retreats, die ich aber erst viele Wochen später, nach mehreren Nachgesprächen mit Eric und Marieke, in Worte fassen kann. So lange blieb ich auf die Deutung des Bad Trips fixiert, für den ich immer noch keine Antwort habe. Auch eine fundamentale Erleuchtung à la Steve Jobs kam nicht um die Ecke. Um das Glas halb voll zu sehen, muss ich wohl meinen Gefühlen und Entspannungsmomenten, nicht meinem Kopf und meiner Arbeit, mehr Raum geben. Und beherzter loslassen, was sich nicht gut anfühlt. Das will ich – und das will ich nicht mehr: Das sind die letzten bescheidenen Flocken, die auf den Boden einer durchgeschüttelten Schneekugel zurückfallen.
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