Menschenrechte in der SchweizLob und Tadel für die Musterschülerin
Mehr Schutz für Arbeitsmigranten, Frauen und Kinder: Die Mitgliedsstaaten des UNO-Menschenrechtsrats halten der Schweiz für ihren Umgang mit Menschenrechten den Spiegel vor.
Vieles ist gut, aber nicht alles ist perfekt, und darum wollen wir uns weiter verbessern: So lässt sich die Botschaft zusammenfassen, die Livia Leu, Staatssekretärin im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), am Freitagmorgen im UNO-Menschenrechtsrat in Genf deponiert hat. Traktandiert war an diesem Morgen die Menschenrechtslage in der Schweiz. 118 Staaten beteiligten sich an der Debatte, die rund dreieinhalb Stunden dauerte.
Russland klagt über Sanktionen
Auch der Iran, China und Russland waren dabei – mit durchaus auffälligen Voten. Die Vertreterin des Iran forderte die Schweiz auf, mehr zum Schutz von Frauen zu tun (obwohl das Land zurzeit wegen der massiven Gewalt gegen Frauen international in der Kritik steht). China ermahnte die Schweiz, Minderheiten zu schützen (obschon sich die Volksrepublik wegen ihres Umgangs mit den Uiguren im Menschenrechtsrat jüngst selbst harsche Kritik hatte anhören müssen). Eine Vertreterin Russlands klagte über die Sanktionen Schweizer Banken, monierte «Rassismus und Mobbing gegen Russen» und geisselte die Schweiz dafür, dass der wichtigste Kabelanbieter den TV-Sender Russia Today und den Radiosender Sputnik abschaltete, was gemäss russischem Verständnis die Meinungsäusserungsfreiheit verletzt. Die russische Diplomatin vergass auch nicht, dass Russland in der Überbelegung von Westschweizer Gefängnissen ein Problem sehe.
Wer Mitglied des UNO-Menschenrechtsrats sein will, muss mit solcher Kritik leben. Man provoziert sie gewissermassen. Denn die Voraussetzung für eine Mitgliedschaft ist, alle fünf Jahre Rechenschaft über die Menschenrechtslage in seinem Land abzugeben und den Mitgliedsstaaten und den Staaten mit Beobachterstatus mit einer gesunden Prise Selbstkritik als Vorbild zu dienen.
Die Schweiz macht Fortschritte
Den Menschenrechtsbericht der Schweiz publizierte der Bundesrat im September 2022. Es ist der vierte derartige Bericht seit dem Beitritt zum Menschenrechtsrat. Der Bundesrat strich im Bericht als wichtigste Fortschritte heraus, dass die Schweiz das Asylrecht und das Asylverfahren komplett umgestaltet habe, den Schutz vor häuslicher Gewalt ausbaue, den Menschenhandel effektiver bekämpfe und die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen fördere. Er wies auch darauf hin, dass das Parlament im Oktober 2021 beschloss, die unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution aufzubauen.
«Die Achtung der Menschenrechte ist ein zentraler Bestandteil unserer Geschichte.»
Bei der Präsentation des Berichts in Genf betonte Staatssekretärin Leu: «Die Achtung der Menschenrechte ist ein zentraler Bestandteil unserer Tradition, unserer Geschichte, unseres politischen Systems und unserer Rechtsordnung.» Dennoch tut die Schweiz aus der Perspektive vor allem europäischer Staaten zu wenig für die Gleichheit von Mann und Frau und vernachlässigt die Unterstützung von Frauen bei Themen wie Lohngleichheit und kostenlosen Krippenplätzen. Aus der Sicht vieler afrikanischer Diplomaten grassiert in der Schweiz vielerorts ein systemischer Rassismus, der sich durch Racial Profiling bemerkbar macht. Dies monierten gleich mehrere afrikanische Diplomaten. Der israelische Vertreter warnte zudem vor um sich greifendem Antisemitismus.
«Es ist durchaus denkbar, dass die Schweiz ihr Strafrecht durch ein Folterverbot ergänzt.»
Die am meisten geäusserte Kritik an der Schweiz betraf aber den mangelnden Schutz von Arbeitsmigranten. Sie würden oft in prekäre Verhältnisse gedrängt, was einem hoch entwickelten Land wie der Schweiz schlecht anstehe – so die Sichtweise vieler Diplomaten vor allem ärmerer Länder. Daran angelehnt, monierten sie auch, dass die Schweiz zu wenig für den Schutz von Kindern tue, gerade für jene, die in Armut aufwüchsen. Konkret wurde der mangelnde Zugang zu medizinischer Versorgung, Kinderkrippen und ausserschulischen Angeboten genannt.
Auffällig häufig wurde auch der Wunsch geäussert, dass die Schweiz ein Antifoltergesetz schafft und somit internationalen Abkommen entspricht. «Es ist durchaus denkbar, dass die Schweiz ihr Strafrecht durch ein Folterverbot ergänzt und dabei genau definiert, welche Foltermethoden verboten sind», sagte Alain Chablais, der als Vertreter des Bundesamts für Justiz ebenfalls nach Genf gereist war.
«Wir nehmen die Kritik sehr ernst und arbeiten weiter an Verbesserungen», beteuerte Staatssekretärin Livia Leu nach dem Dialogforum. Der Bundesrat werde im Mai entscheiden, welche Anregungen der UNO-Staaten die Schweiz nun aufgreifen werde.
Fehler gefunden?Jetzt melden.