Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Mamablog: Brief an den Chlaus
Lieber Samichlaus …

Von der brutalen Erpresserfigur zum gutmütigen Freund: Der Samichlaus begegnet Kindern nun auf Augenhöhe.

Lieber Samichlaus

Ich weiss, heute ist dein grosser Tag und du hast echt Wichtigeres zu tun, als den Brief einer sentimentalen Fünfzigjährigen zu lesen. Leg den Brief einfach auf die Pritsche in deiner Waldhütte, auf der du dich nach diesem strengen Tagen erholen und dir die glänzenden Kinderaugen nochmals zu Gemüte führen wirst. Natürlich wird es auch jene gegeben haben, die nebst Freude auch Angst verspüren. Doch ich bin sicher, mit deiner liebevollen Art wirst du diese Angst kleiner statt grösser gemacht haben.

Auch ich hatte diese Gefühlsmischung damals als Kind in mir, wenn du mich besuchtest. Doch zusätzlich schwang auch eine Prise Furcht in meinem kleinen Herzen mit. Denn noch immer war die Geschichte im Umlauf, dass du durchaus mal ein Kind in den Sack packst, wenn es im vergangenen Jahr nicht brav genug war. Und da ich – Gott sei Dank find ich heute – tatsächlich längst nicht immer brav war, wurde die Vorfreude auf Lebkuchen stets von der heimlichen Frage überlagert, ob ich mein Bett unter dem Nena-Poster wohl bald gegen den Heustock neben deinen Eseln eintauschen muss.

Weil du aber all das erlebt und gelebt hast, ist es bestimmt nicht immer einfach, ein moderner Chlaus zu sein.

Gehen wir in deiner Karriere noch ein paar Jahrzehnte zurück, wird dein Job noch grusliger. Die Fitze des Schmutzlis, die heute als reine Ambiente-Deko dient, war über lange Zeit in regem Betrieb. Ich weiss nicht, ob nur mit dem Herunterprasseln auf Kinderpopos gedroht wurde, oder ob ihr dies auch gleich ausgeführt habt. Zumindest war es dein Job, mit Gewalt zu drohen, nachdem du aus dem goldenen Buch das von den Eltern diktierte Sündenregister zum Besten gabst.

Damals warst du der verlängerte Arm von Eltern, die unerwünschtem Verhalten ganz selbstverständlich mit Drohung oder eben Ausführung von Gewalt begegneten. Die den Samichlaus dafür nutzten, sich für einmal die Finger nicht selbst schmutzig zu machen, sondern an dich delegierten, den Kindern so viel Angst einzuflössen, damit diese gopfridstutz endlich so sind, wie ihre Erzeuger sie haben wollten. Die Doppelmoral, ihnen danach Nuss und Bire zu schenken, war kein Zufall, sondern ist bis heute ein Instrument in der verwirrenden Züchtigung von Kindern.

Was für eine Karriere hast du hinter dir, lieber, alter Chlaus. Was für ein Zeitzeuge bist du. Hast gesehen, wie unterschiedlich Kindern im Laufe der Geschichte begegnet wurde – und du bist den Weg gegangen. Denn der warmherzige Chlaus, der heute mit unseren Kindern lacht, hat kaum mehr was mit der instrumentalisierten elterlichen Erpresserfigur von damals zu tun.

Genauso wenig einfach, wie für jene Eltern, die als Kind Gewalt erlebt haben und nun Herkuleskräfte dafür aufwenden, nicht in Muster früherer Generationen zu fallen.

Weil du aber all das erlebt und gelebt hast, ist es bestimmt nicht immer einfach, ein moderner Chlaus zu sein. Genauso wenig wie es für Eltern, die in ihrer Kindheit Gewalt erlebten, einfach ist, zu leben, was der Kopf für absolut richtig hält: Kindern ohne Gewalt zu begegnen und ihren Bedürfnissen ebenso Raum zu geben wie den eigenen, die sie aber allzu früh gelernt hatten, zu unterdrücken. Darum möchte ich dir, lieber Chlaus, meine Anerkennung dafür geben, dass dein Bewusstsein es möglich macht, ein so anderer Chlaus zu sein, als du einst einer warst.

Wenn du unter Stress kommst, ein Kind vielleicht frech und respektlos zu dir ist, kann ich mir gut vorstellen, dass aus deinem Stammhirn ein Impuls kommt, auf alte Methoden zurückzugreifen. Natürlich tust du das nicht. Dafür bist du ein viel zu guter Chlaus, dafür ist in den tiefen Wald viel zu viel modernes Wissen gedrungen. Aber es ist bestimmt manchmal nicht einfach. Genauso wenig einfach, wie für jene Eltern, die als Kind Gewalt erlebt haben und nun Herkuleskräfte dafür aufwenden, nicht in Muster früherer Generationen zu fallen, sondern Kindern die Achtung und den Respekt entgegenzubringen, der ihnen – genauso wie uns Erwachsenen – zusteht.

Dafür, dass du diesen Quantensprung mitgemacht hast und du dich mit Schmutzli nicht einfach fluchend im Wald vergraben hast, danke ich dir von Herzen. Genauso sehr, wie allen gewalterfahrenen Eltern dieser Welt, die tagtäglich genau diesen Spagat machen. Die sich immer wieder von neuem gegen die erfahrene Unterdrückung und für echte Beziehungen zu ihren Kindern entscheiden und damit unermesslich viel dafür tun, dass die unheilvolle Geschichte nicht weitergeht.