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Mamablog: Interview zum Hort-Alltag
«Letztlich ist es ein Politikum!»

Tolles Lernfeld: Der Hort bietet Kindern ein riesiges Arsenal an Begegnungen und Herausforderungen.
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Frau Studer*, Sie arbeiten seit vielen Jahren als Betreuerin in einem Hort der Stadt Zürich. Wie viele Tage besuchen die Kinder durchschnittlich Ihren Hort?

Das ist sehr unterschiedlich. Zwischen einem und fünf Tagen. Widerlegen kann ich aber das Klischee, dass sogenannte «Karriereeltern» ihre Kinder abschieben und vollumfänglich betreuen lassen. Im Gegenteil: Gutverdienende Eltern nehmen sich meist die Freiheit, ihre Kinder an einzelnen Tagen bei sich zu haben. Jene, die ihre Kinder fünf Tage die Woche in den Hort schicken, sind dagegen fast ausschliesslich dazu gezwungen, weil sie in schlecht bezahlten Jobs so viel arbeiten müssen, um die Familie über Wasser zu halten.

Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit den Eltern? 

Da gibt es alles. Viele Eltern sind enorm dankbar für unsere Arbeit und interessiert – sie vertrauen uns und lassen uns machen. Doch es gibt auch solche, die ein Problem damit haben, wenn ihr Kind sich bei uns schmutzig macht, beim Spielen einen «Chräbel» abkriegt oder mit einem anderen Kind Streit hat – und uns dann ihren Unmut darüber ziemlich gereizt mitteilen. Das sind heikle Situationen, weil verschiedene Sichtweisen aufeinanderprallen. Im Gegensatz zu diesen Eltern vertrete ich nämlich die Ansicht, dass es für die Entwicklung von Kindern sehr wichtig ist, sich schmutzig zu machen, Konflikte auszutragen und eine Lösung zu finden. Gerade bei uns, wo so viel Kinder mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen aufeinandertreffen, bietet sich dazu ein super Lernfeld.

Wie gehen Sie damit um?

Wir versuchen die Eltern jeweils möglichst aus den Konflikten, die wir mit ihrem Kind hatten, herauszuhalten, weil wir sie als ein normales Lernfeld betrachten. Ausser es handelt sich um etwas Gravierendes. Ein Hort soll letztlich ein Ort sein, an dem Eltern ihre Verantwortung abgeben können. Das bedeutet eben auch, dass es an uns ist, mit den Kindern einen Weg zu finden, wenn es mal schwierig wird. Schliesslich sollen sich Eltern nicht während der Arbeit Sorgen machen, ob sich ihr Kind im Hort wohl gut genug benimmt. Ich weiss aber von Eltern, die standardmässig wöchentlich schriftlich Berichte von ihrem Hort erhalten, über das Verhalten und die Schwierigkeiten ihres Kindes. Was für ein Stress für diese Familien! Das halte ich zudem auch für wenig hilfreich.

Was ist denn hilfreich? Ich nehme an, auch bei Ihnen gibt es Kinder, die «Troubles» machen?

Natürlich. Nebst ruhigen Kindern gehören auch jene zur Tagesordnung, die Streit suchen, ausflippen und Unruhe an den Mittagstisch bringen. Was selbstverständlich für uns herausfordernd ist. Doch oft tragen diese Kinder mit ihrem Verhalten auch etwas für die ganze Gruppe aus beziehungsweise fördern etwas zutage, das alle betrifft. Ausserdem kann ich ihre Unruhe auch gut nachvollziehen: Schliesslich mussten die Kinder sich bereits den ganzen Morgen über im Chindsgi oder der Schule anpassen und sollen sich nun bei uns – ohne Durchzuschnaufen – gleich wieder in der nächsten Gruppe eingliedern. Dieses enge Korsett ist anstrengend, überfordert nicht wenige Kinder und ist – gerade für die Sensibleren unter ihnen – manchmal schwierig zu bewältigen.

«Die Hortbelegung erfolgt nach Quadratmeteranzahl und es werden meiner Meinung nach zu viele Kinder einem Hort zugeteilt.»

Wie gehen Sie mit solchen «sensiblen» Kindern um?

Natürlich müssen sie sich bei uns ebenfalls an Regeln halten, sonst funktioniert es nicht. Wenn das aber nicht gelingt, arbeiten wir mit dem Glücks- statt dem Frustweg. Das bedeutet, dass wir ihr Verhalten nicht durch Schimpfen und Strafen verurteilen, sondern versuchen, wertfrei zu sagen, was wir beobachten und erwarten. Ausserdem vermitteln wir ihnen das Gefühl, dass sie es beim nächsten Mal schaffen werden. Was wir ganz sicher nie tun, ist zu bestrafen oder Kinder aus der Gruppe auszuschliessen.

Da habe ich aber auch schon anderes gehört.

Das kann ich mir gut vorstellen. Es ist tatsächlich so, dass einzelne Horte andere Methoden haben, um mit «störenden» Kindern umzugehen. Ich weiss von einem Hort, da wurde den Eltern vorgeschlagen, ihr Kind solle in der Garderobe essen, weil es regelmässig am Tisch störte. So was finde ich für das Kind nicht nur demütigend, sondern auch sehr kurzfristig gedacht. Denn ein Kind, das aus der Gruppe ausgeschlossen wird, wird durch noch auffälligeres Verhalten versuchen, seinen Platz in der Gruppe zu erobern.

Haben Sie denn überhaupt die Kapazität, sich einzelnen Kinder zuzuwenden?

Das ist tatsächlich ein Problem, denn eigentlich würden wir das gerne öfter tun. Doch wir stossen an unsere eigenen strukturellen Grenzen. Die Hortbelegung erfolgt nach Quadratmeteranzahl und es werden meiner Meinung nach zu viele Kinder einem Hort zugeteilt. Durch die sehr dichte Auslastung, die zusätzlich massiv angestiegenen administrativen Aufgaben und die knappen Ressourcen, reicht es oft leider für weniger Zuwendung, als wir bieten möchten. Dieser eng gesteckte Rahmen genügt zwar für viele Kinder, für manche aber eben nicht. Sie bräuchten einen engeren Kontakt und mehr Aufmerksamkeit – Dinge, die wir aber unter diesen Voraussetzungen oft nicht geben können. Wenn man dieses Thema schliesslich auf seinen Kern herunterbricht, ist es ein Politikum. Weil letztlich einfach zu wenig Geld für Personal und Räume zur Verfügung steht.

«Es lässt mich immer wieder staunen, wie grossartige und kreative Kinder es heutzutage gibt – die sich auch trauen, ihre Meinung zu sagen.»

Zu Ihren Aufgaben gehört es unter anderem auch, an Schulgesprächen von Kindern teilzunehmen, die in der Schule sowie im Hort auffallen. Wie verlaufen diese Gespräche?

Mich stimmt vor allem nachdenklich, dass oft ausschliesslich das Verhalten der betreffenden Kinder im Fokus steht. Jenes der Institutionen und Eltern hingegen kaum. Es geht meist darum, wie man das Kind dazu bringt, sein Verhalten zu ändern und äusserst selten, was es mit seinem Verhalten aufzeigt. Die Systeme, in denen es sich bewegt – also die Schule, der Hort und das Elternhaus – werden kaum infrage gestellt. Und dies, obwohl diese Systeme und der Druck, der von ihnen ausgeht, oft Antworten für die Auffälligkeiten liefern könnten. 

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf?

Natürlich die Kinder. Insbesondere auch jene, die nicht so einfach zu «handeln» sind. Es lässt mich immer wieder staunen, wie grossartige und kreative Kinder es heutzutage gibt – die sich auch trauen, ihre Meinung zu sagen. Das war in meiner Generation nicht so. Klar, ist das zwar anstrengender für Erziehende, aber ganz ehrlich: Genau solche Menschen braucht unsere Welt. Und deshalb sollten wir ihnen auch Sorge tragen.

*Der Name wurde auf Wunsch der befragten Person anonymisiert, ist der Redaktion aber bekannt.