Legendäre Pässe des Radsports«Kurz vor dem Gipfel stahl er mir die Sonnenbrille vom Kopf»
Sie lassen Radprofis zu Helden werden: die oft brutalen, immer spektakulären Anstiege der grossen Rundfahrten. Ex-Profi Mathias Frank sagt, was sie ausmacht – und erzählt eine kuriose Anekdote.
Der Col du Tourmalet: Wo der Profi Kopf und Kragen riskiert
Der Tourmalet steht dieses Jahr gleich dreimal im Rampenlicht: An der Tour de France erklommen ihn sowohl die Männer als auch die Frauen, und an der Vuelta kämpfte sich das Fahrerfeld am Freitag auf die 2115 Meter über Meer – wenn auch nicht von derselben Seite.
Im Jahr 2015 hat an diesem Aufstieg – oder besser während der darauffolgenden Abfahrt – der ehemalige Schweizer Radprofi Mathias Frank Kopf und Kragen riskiert. Aber von vorne: Frank bestritt damals seine zweite Tour de France und trat als Captain der Schweizer Mannschaft IAM Cycling an. In dieser Zeit hielten Terroranschläge die Welt in Atem, was sich auch auf die französische Landesrundfahrt auswirkte.
So mussten die Fahrer nach der Bergankunft der 10. Etappe auf dem Col de Soudet auf ihrem Weg zurück ins Tal zu den Teambussen etliche Polizeikontrollen durchfahren. «Wir fuhren langsam und hielten immer wieder an», erinnert sich Frank. Dabei erhitzte die Reibung der Bremsen die Felgen seines Velos derart, dass es den Leim aufweichte, mit dem die Pneus angeklebt waren. Diese begannen sich zu abzulösen. «Am Abend vergass ich, dies unserem Mechaniker zu melden.»
Unter diesen Voraussetzungen startete Frank in die 11. Etappe – und legte rund 150 Kilometer zurück. Erst auf der Abfahrt vom Col du Tourmalet mit etwa 90 km/h realisierte er sein Versäumnis: «Ich sah, dass sich ein Reifen verschoben hatte und ich auf dessen Seitenwand unterwegs war.» Weil es noch 40 Kilometer bis ins Ziel waren und «ein Radwechsel zu dem Zeitpunkt in der Abfahrt das sichere Begräbnis meiner Top-10-Ambitionen bedeutet hätte», hiess es für Frank: Augen zu und durch. «Rückblickend würde ich so etwas niemandem empfehlen», sagt er. Trotzdem bezeichnet der ehemalige Profi den Tourmalet als seinen Lieblingspass in den Pyrenäen. «Er hat eine angenehme und gleichmässige Steigung, da findet man schnell einen guten Rhythmus.»
Der Alto de l'Angliru: Wie ein fast unbekannter Pass zwischen Nid- und Obwalden
1999 stand der Angliru erstmals auf dem Programm der Spanien-Rundfahrt. Der Anstieg, der von La Vega zur kleinen Hochebene in der Sierra del Aramo führte, war zuvor nicht mehr als ein Pfad. Weil sich aber die Organisatoren der grossen Landesrundfahrten damals schon ein Rennen um die spektakulärsten Auffahrten lieferten, motivierten die Veranstalter der Vuelta die Gemeinde am Fuss des Angliru, den Pfad eigens für das Rennen zu asphaltieren.
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Der Anstieg gilt seither als einer der härtesten überhaupt, nicht zuletzt wegen der sogenannten Cueña les Cabres, dem berüchtigten Teilstück, wo die Fahrer Steigungen bis zu 23,5 Prozent bewältigen müssen. Auch am Mittwoch bei der 17. Etappe steht der Angliru auf dem Programm – die Bergankunft könnte die Vuelta entscheiden.
In der Schweiz findet Frank ähnliche Bedingungen auf dem Ächerlipass von Sand bei Kerns. Er verbindet die Halbkantone Nid- und Obwalden. Auf den neun Kilometern legen die Radlerinnen fast 900 Höhenmeter zurück.
Der Mont Ventoux: Der Unvergleichliche
Für Mathias Frank ist der «kahle Gigant der Provence», wie man den Mont Ventoux auch nennt, etwas ganz Besonderes. «Er war mein allererster Berührungspunkt mit der Tour de France», erinnert er sich. Als Kind war er mit seiner Familie da, als die Grande Boucle den Berg auf dem Programm hatte. «Diese Stimmung, der Wille, mit dem sich die Fahrer da hochkämpften – ich wusste sofort, das will ich auch mal tun!»
Doch nicht nur emotional ist der Ventoux für Frank unvergleichlich. Das ist auch seine Erscheinung. Der kahle Bergrücken aus hellem Gestein steht im krassen Kontrast zu seiner fruchtbaren Umgebung – ganz besonders, wenn dort die Lavendelfelder blühen.
Der Passo del Mortirolo: Wo ein Dieb den Fahrer schiebt
Die Zuschauer des Giro 2012 waren anlässlich der 20. Etappe gnadenlos: Die Veranstalter hatten sie bei der Planung das Programm der Rennfahrer mitbestimmen lassen, was denen einen «Monstertag» bescherte.
Die Strecke führte über 220 Kilometer hinauf aufs Stilfser Joch – zuvor aber ging es über vier Pässe, darunter der berüchtigte Passo del Mortirolo mit einer der härtesten Rampen im Radsport.
Mathias Frank bleibt dieser Aufstieg nicht nur wegen der Strapazen lebhaft in Erinnerung. Er wurde dort auch Opfer eines dreisten Diebes. Es geschah kurz vor dem Gipfel: Ein Zuschauer fragte den Schweizer, ob er ihn ein bisschen schieben solle. «Ich hatte zwar ein komisches Gefühl, wehrte mich aber nicht gegen ein wenig Unterstützung», sagt Frank. Und dann: «Kurz vor dem Gipfel stahl er mir die Sonnenbrille vom Kopf.» Der diebische Anschieber machte sich damit sofort aus dem Staub.
«Ich staunte ziemlich, als mir am folgenden Tag ein baskischer Fahrer meine Brille wiederbrachte. Dessen Bruder hatte die Szene am Mortirolo beobachtet und den Dieb gestellt. Was das genau bedeutet, wollte er jedoch nicht verraten.»
Der Weissenstein: «Eine ganz brutale Geschichte»
So steil und legendär die Pässe der grossen Rundfahrten auch sind, für Frank steht der schlimmste Anstieg in seinem Heimatland, und zwar bei Solothurn: der Weissenstein. «Ich habe ihn oft in mein Training eingebaut, bereits als Junior», sagt er. Auch wenn die Aussicht von oben wunderschön sei, bleibe die Auffahrt eine «ganz brutale Geschichte». Tatsächlich weisen die beiden möglichen Routen von Gänsbrunnen und Oberdorf (jeweils 5 Kilometer) Durchschnittssteigungen von 11 beziehungsweise 12,5 Prozent auf. Die maximale Steigung beträgt 22 Prozent.
Passo di Gavia: Fast wie der Klausenpass
Der Passo di Gavia ist ein Klassiker des Giro d’Italia und Ziel einer der verrücktesten Etappen in der Geschichte der Rundfahrt. 1988 kämpften sich die Fahrer bis zur Unterkühlung durch den Schnee hinauf – einigen trieben die Strapazen gar Tränen in die Augen. Ein solches Drama hat Mathias Frank an diesem Pass nicht erlebt, im Gegenteil.
«Der Gavia erinnert mich an meinen Lieblingspass in der Schweiz: den Klausen.» Der italienische Aufstieg bietet mit seinen 26 Kilometern und 5,4 Steigungsprozenten ähnliche Bedingungen wie der Klausen von der Urnerseite her. «Zudem sind beide landschaftlich sehr abwechslungsreich, was vom Leiden ablenkt.»
Col d'Aubisque: Der vielfach Kombinierte
Auf dem Streckenplan der diesjährigen Vuelta stand auch der Col d’Aubisque. Ein Aufstieg, der seit 1910 von Radprofis erklommen wird – meist in Kombination mit dem Tourmalet oder dem Col d’Aspin. Für Frank ähnelt der grosse Pyrenäenpass mit seinen fast 20 Kilometern und gut 6 Prozent Steigung dem Grimsel. Auch den nehmen die Radlerinnen und Radler oft in Kombination mit anderen Pässen wie dem Susten oder der Furka unter die Räder.
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