Genetisch veränderte OrganismenEin Gentech-Aufkleber auf Äpfeln und Tomaten? Kritiker lancieren Initiative
Das Gentech-Verbot läuft in der Schweiz bald aus. Nun will eine Allianz aus NGOs und Bio Suisse strenge Regeln. Zu streng, finden Bauern und Agrarindustrie.
Seit knapp zwanzig Jahren gilt in der Schweiz ein Gentech-Moratorium: Genveränderte Pflanzen dürfen nur unter strengen Bedingungen zu Forschungszwecken gezüchtet werden. Doch ein Ende des faktischen Verbots von Gentechnik zeichnet sich ab: Als das Parlament vor drei Jahren die Verlängerung des Moratoriums bis Ende 2025 bewilligte, erteilte es dem Bundesrat gleichzeitig den Auftrag, ein Gesetz auszuarbeiten, um genveränderte Pflanzen zuzulassen.
Im Hintergrund haben sich die verschiedenen Interessenvertreter inzwischen positioniert. Bauern und Agrarindustrie kämpfen für eine möglichst freie Nutzung der Gentechnik. Kritische Organisationen wollen dagegen eine strenge Regulierung – und haben nun eine Volksinitiative ausgearbeitet.
Dieser Redaktion liegt der Initiativtext vor. Federführend sind der Verein für gentechnikfreie Landwirtschaft, der Verband Bio Suisse und die Schweizerische Allianz Gentechnikfrei.
Deklarationspflicht gefordert
Die sogenannte Lebensmittelschutz-Initiative fordert klare Regeln, wie Claudia Vaderna von der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) sagt. «Zentral ist für uns eine Deklarationspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel», sagt die Agrarökologin und Geschäftsleiterin von SAG. «Dank der Initiative können Konsumentinnen und Konsumenten auch in Zukunft darüber entscheiden, ob sie genmanipulierte Tomaten essen wollen oder nicht», sagt Vaderna. Es könnte also sein, dass es in Zukunft Tomaten und Äpfel mit entsprechenden Aufklebern in den Regalen der Grossverteiler gibt.
Den Initiantinnen und Initianten geht es auch um den Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft. «Die Koexistenz zwischen genveränderten Pflanzen und Pflanzen aus klassischer Züchtung muss garantiert werden», so Vaderna.
Der Schweizer Allianz Gentechfrei sind verschiedene Interessengruppen angeschlossen. Neben Umwelt- und Konsumentenschutzorganisationen auch Organisationen aus der Landwirtschaft und der Züchtung. Sie fordern, dass gentechnisch veränderte Organismen nur nach sorgfältiger Prüfung zugelassen werden dürfen. «Dafür braucht es ein risikobasiertes Zulassungsverfahren, das den Herstellungsprozess berücksichtigt», sagt Vaderna. Zulassungen von genveränderten Organismen sollen also nach den möglichen Auswirkungen für die Umwelt beurteilt werden. (Lesen sie unseren Kommentar: Initiative stösst längst überfällige Diskussion an)
Verbot politisch nicht mehrheitsfähig
Martin Bossard ist Leiter Politik bei Bio Suisse und Co-Präsident des Initiativvereins. Er erklärt, wie sich das gentechnikkritische Lager eine strenge Regulierung vorstellt: «Wir haben rote Linien definiert, nach denen genveränderte Pflanzen zum Einsatz kommen können.» Nur Gentech-Pflanzen, die auf Risiken für Mensch, Tier und Umwelt geprüft seien, dürften bewilligt werden. Landwirte und die Konsumenten müssten jederzeit darauf verzichten können, deshalb brauche es die Deklaration. Ausserdem müssten Regeln wie Schutzabstände zwischen Feldern dafür sorgen, dass der gentechnikfreie Anbau möglich bleibe.
Komme es trotzdem zu Verunreinigungen, müssten die Verursacher den Schaden bezahlen, sagt Bossard: «Im Biobereich ist und bleibt Gentechnik per Gesetz und in den Richtlinien verboten.» Gleichzeitig hält er ein absolutes Verbot für politisch nicht mehrheitsfähig – «das war es auch vor 20 Jahren nicht, deshalb haben wir ein Moratorium und kein Verbot».
Dass es nun zu einer Aufhebung des Moratoriums kommt, hat auch mit der technischen Entwicklung im Genbereich zu tun: Bisher wurden in langwierigen Verfahren Elternpflanzen miteinander gekreuzt und dann die geeigneten Nachkommen ausgelesen. Bei einigen Arten wurden auch mithilfe von Radioaktivität oder Chemikalien künstliche Mutationen im Erbgut der Pflanzen herbeigeführt.
Bauernverband möchte möglichst wenig Einschränkungen
Im Gegensatz dazu lassen sich heute mit der sogenannten Genschere – im Jargon: dem Crispr-Verfahren – gezielter erwünschte Veränderungen im Erbgut herbeiführen. Selbst Kreise, die der Technik früher kritisch gegenüberstanden, sehen die Geneditierung inzwischen positiver. So setzten sich 2021 die Grünliberalen für eine Ausnahme dieser Technik vom Moratorium ein.
Mit der Technik lasse sich die Züchtung beschleunigen, sagen die Befürworter. Die Saatgutindustrie, welche die entsprechenden Sorten vermarktet, wirkt deshalb auf eine Ausnahme der neuen Technologie vom Gentechnikgesetz hin. Auch der Bauernverband (SBV) möchte möglichst wenig Einschränkungen: «Wir brauchen alle Instrumente, um auf den Klimawandel, Schädlinge und Krankheiten reagieren zu können – dazu gehören auch neue Zuchtverfahren», sagt David Brugger vom SBV.
Eine Deklarationspflicht, wie sie die Initianten fordern, lehnt der Bauernverband ab. Dies würde einen viel zu grossen Aufwand für die Hersteller bedeuten. Bei der Produktion und im Import müssten die verschiedenen Sorten getrennt werden – «viel zu aufwendig», sagt Brugger.
Bund braucht mehr Zeit
Auch Mindestabstände, wie von den Initianten gefordert, seien in der Schweiz nur schwer umsetzbar. «So hohe gesetzliche Hürden zielen darauf ab, einen Anbau von genveränderten Pflanzen zu verhindern», so Brugger.
Welche Richtung will der Bundesrat nun einschlagen? Eigentlich sollte das Bundesamt für Umwelt (Bafu) in diesen Tagen einen Vorschlag für eine Neuregelung des Gentechnikgesetzes vorlegen. Das Amt, das zum Departement von SVP-Bundesrat Albert Rösti gehört, schreibt auf Anfrage, man werde demnächst einen Entwurf vorlegen. Darin soll auch die Geneditierung nach dem Crispr-Verfahren geregelt werden. Die Vorlage wird danach zur Stellungnahme in die Vernehmlassung geschickt. Voraussichtlich im Sommer 2025 wird dann das Parlament darüber abstimmen können. Der Bund will den Bedenken der Bevölkerung Rechnung tragen, aber gleichzeitig Innovationen ermöglichen. Parallel dazu gibt es auch in der EU Pläne, die Gentech-Regeln anzupassen – damit will sich die Schweiz abstimmen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.