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Streit um vereinfachte Zulassung
Bald könnte Gentech­-Weizen auf dem Teller landen, ohne dass wir es merken

«Manche haben sogar Angst, dass die Pflanzen radioaktiv sind oder sonst irgendwie gefährlich»: Marcela Camenzind forscht für die Uni Zürich an gentechnisch verändertem Weizen.
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In Zürich-Affoltern wächst der am besten bewachte Weizen der Schweiz. Das Feld ist von zwei Zäunen umschlossen, am Tor steht ein Wachmann mit Hund. Er erfasst die Personalien aller, die hier ein und aus gehen, rund um die Uhr. Die Pflanzen sind gentechnisch verändert, trotzdem soll der Zaun die Pflanzen vor den Menschen schützen. 

Vor fünfzehn Jahren wurde das Feld zerstört, von Gentechgegnern. «Viele Leute haben eine falsche Vorstellung von Gentech und davon, was hier wächst», sagt Marcela Camenzind. «Manche haben sogar Angst, dass die Pflanzen radioaktiv sind oder sonst irgendwie gefährlich.» 

Camenzind arbeitet im Forschungsteam der Universität Zürich mit und kontrolliert den Weizen, der in zwei Tagen geerntet werden soll. Er kommt nicht auf den Teller, sondern zurück ins Labor. Verändert wurde er mittels klassischer Gentechnik, um resistenter zu sein gegen Mehltau. «Dabei verändern wir das Erbgut in der Regel so, wie es auch auf natürliche Art und Weise passieren könnte.» Ein guter Zufall quasi, nur eben generiert im Labor.  

Auf einem Versuchsfeld in Zürich-Affoltern werden genetisch modifizierte Pflanzen angebaut.

Weil in der Schweiz ein Gentechmoratorium gilt und die Vorgaben auch für die Forschung streng sind, ist das Zürcher Feld der einzige Ort im ganzen Land, wo derzeit genetisch modifizierte Pflanzen angebaut werden. 

Diese könnten resistenter sein gegen Hitze. Sie könnten dem Klimawandel und Schädlingen trotzen. Gleichzeitig mit weniger Pestiziden auskommen. Und das erst noch ohne weitgehende Eingriffe in ihr Erbgut. Das ist der Traum von Gentechbefürwortern. Und seit neuestem auch jener der EU. 

Keine Risikobewertung, keine Etikette

Die EU-Kommission will Bäuerinnen und Bauern künftig erleichtern, Pflanzen anzubauen, die durch neue Methoden der Gentechnik verändert wurden. Pflanzen, in deren Erbgut kein artfremdes Erbmaterial eingesetzt wird, sollen künftig gleich behandelt werden wie konventionelle Pflanzen. 

Die Zulassung würde damit vereinfacht: Die Pflanzen werden zwar einem Prüfverfahren unterzogen, doch die Risikobewertung soll wegfallen. Gentechnisch veränderte Tomaten oder Weizen würden auch nicht als solche deklariert.

Die Pläne dazu hat die EU-Kommission am Mittwoch präsentiert, verkauft als «State of the Art Innovation». Sie würden die Haltung Europas zu Gentech grundsätzlich revolutionieren. Das hätte auch grosse Auswirkungen auf die Schweiz – egal, ob sie die neue Regulierung übernimmt oder nicht. Deshalb lässt die Kritik nicht auf sich warten. 

«Mit Gentech-Arten ist es noch verreckter als mit Pestiziden. Sie lassen sich nicht lokal einschränken.»

Martin Bossard, Bio Suisse

«Das kommt für uns absolut nicht infrage»: Martin Bossard von Bio Suisse redet sich am Telefon in Rage. «Mit Gentech-Arten ist es noch verreckter als mit Pestiziden. Sie lassen sich nicht lokal anbauen und einschränken.» Der Mais streue seine Pollen etwa über mehrere Kilometer. Dadurch hätte ein Biobauer laut Bossard kaum Chancen, seinen Mais frei von gentechnisch veränderten Sorten zu halten. Erst recht, wenn keine Deklarierungspflicht gelte und unklar sei, wer mit moderner Gentech arbeite. 

Die Pläne betreffen zwar vorderhand nur die EU und werden dort noch im Parlament verhandelt. Aber Bossard sagt: «Wenn diese Deregulierung in der EU tatsächlich so kommt, wird es schwierig sein für die Schweiz, an ihren heutigen Gesetzen festzuhalten.» Bisher regelten die Schweiz und die EU den Bereich Gentech ähnlich. Weshalb etwa Saatgut und Sorten frei handelbar sind.

Sind die Risiken ausreichend geklärt?

Dieser Austausch wäre gefährdet, wenn die Schweiz nicht mitziehen würde. Der Bundesrat arbeitet derzeit an einem Vorschlag, wie die Schweiz mit neuen Gentechniken umgehen will. Nächstes Jahr will er ihn vorlegen. Im Parlament hatte die Forderung, bestimmte neue Gentechmethoden vom Moratorium auszunehmen, vor knapp zwei Jahren aber keine Chance. 

Bossard hat noch einen weiteren Einwand: Die Risiken von neuen Gentechmethoden seien noch zu wenig geklärt. «Schafft man gemäss EU-Vorschlag die Risikoprüfung ab, trifft der Schaden voll die Bauern und Konsumentinnen», so Bossard. Die EU behaupte vieles zu diesen Methoden, was nur ungenügend belegt sei. «Bisher gibt es schlicht keine Sorte auf dem Markt, die das Klima rettet oder wirklich weniger Pestizide braucht.»

Die Forschungsresultate in Zürich-Affoltern sind gemäss der Projektleitung «sehr ermutigend» – und gut bewacht.

Beat Keller leitet das Projekt mit gentechnisch verändertem Weizen in Zürich-Affoltern. Auch seine Pflanzen könnten so noch nicht auf den Markt. Doch er kontert Bossards Argument: «Unsere Forschungsresultate sind sehr ermutigend. In einem normalen Umfeld würde eine Firma dies nun aufgreifen und zu einem Produkt entwickeln.» 

Mit dem Verbot in der Schweiz und der europaweiten strengen Regulierung sei es kein Wunder, dass die Forschung kaum vorankomme. Er sieht vor allem Chancen der neuen Gentechmethoden. Trockenheit, nasse Perioden, Schädlinge: Alle Probleme, mit denen die Bauern zu kämpfen haben, könnten damit angegangen werden. Die Pläne der EU sind für ihn deshalb ein «längst überfälliger Beitrag zu Diskussion». 

Auch Jürg Niklaus freut sich, dass die EU punkto Gentech vorspurt. Er ist Präsident des Vereins «Sorten für morgen», zu dessen Mitglieder unter anderem Migros, Coop, der Obstverband und IP-Suisse gehören. «Dank den neuen Züchtungsverfahren können wir Pflanzen im schwierigen Umfeld stärken und damit zuverlässiger produzieren. Gleichzeitig kann die Landwirtschaft den ökologischen Fussabdruck reduzieren.»

«Verschliessen wir uns den Entwicklungen in der EU, werden wir abgehängt.»

Jürg Niklaus, Präsident Verein «Sorten für morgen»

Er macht ein Beispiel: «Können wir Kartoffeln resistenter gegen die gefürchtete Krautfäule machen, braucht es weniger Pestizide. Im gleichen Zug wird die Ernährungssicherheit gestärkt.»

Niklaus mahnt, man müsse der Forschung in der Schweiz Sorge tragen. «Verschliessen wir uns den Entwicklungen in der EU, werden wir abgehängt.» Das führe schlussendlich dazu, dass die Schweiz vom Ausland abhängiger würde.

Bereits heute ist die Schweiz auf ausländisches Saatgut angewiesen. Solches für Raps, Sonnenblumen und Zuckerrüben wird vollumfänglich importiert, bei Gemüse sind es etwa 90 Prozent. «Wir erwarten, dass der Bundesrat nun eine breite Auslegeordnung macht, die eine fundierte Debatte ermöglicht», so Niklaus.

Sorge vor der Konzernabhängigkeit

Die Gegnerinnen von Gentechlebensmitteln befürchten hingegen bei einer Lockerung der Regeln eine Abhängigkeit von Gentechkonzernen wie Syngenta oder Bayer. SP-Nationalrätin Martina Munz präsidiert die Schweizer Allianz Gentechfrei. Diese hat am Mittwoch umgehend die Kampagne «Keine Gentechnik in unserem Essen und in unserer Umwelt» lanciert.

Da die Konzerne viel Geld in Gentech investierten, würden sie entsprechende Patente für Saatgut besitzen – und den Markt beherrschen. Munz geht es vor allem um die Ökologie: «Gentechlandwirtschaft ist sehr industriell und will Erträge maximieren. Wir brauchen aber eine nachhaltige, resiliente Landwirtschaft.»

«Wir möchten die Wahl darüber haben, was wir essen – und was nicht»: Die Schweizer Allianz Gentechfrei will mit einer Kampagne die Gentechdebatte anheizen.

Den Konsumentinnen und Konsumenten würde letztlich die Wahlfreiheit genommen. Müssen gentechproduzierte Tomaten künftig tatsächlich nicht als solche deklariert werden, könne die Kundschaft nicht mehr frei entscheiden. «Wir verlangen eine risikobasierte Zulassung und keinen Freipass», so Munz.

Zurück in Zürich-Affoltern: Camenzind steht inzwischen in der kleinen Baracke des Zürcher Forschungsteams und schreibt ins Logbuch, wie sich der genetisch modifizierte Weizen entwickelt hat. Alles nach Plan. Sie sagt: «Ich hoffe, dass sich bald auch in der Gesellschaft etwas tut. Sonst können wir hier noch so resistente Sorten erforschen – das ist dann alles für die Galerie.»