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Angepasste Nutzpflanzen in der Schweiz
Crispr-Gerste: Erstmals werden Gentechpflanzen ausgesät

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Im Frühling wird der erste Freisetzungsversuch in der Schweiz mit neuartigen gentechnisch veränderten Pflanzen starten. Das Besondere: Die Gerste ist im Labor so verändert worden, dass sie auch durch klassische Züchtung entstanden sein könnte. Die Methode heisst Geneditierung, das Forschungsteam wandte das sogenannte Crispr/Cas-Verfahren an.

Das Team um Susanne Brunner von Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, wird die Gerstenkörner im März oder April am Versuchsstandort Zürich-Reckenholz aussäen. Auf dem gleichen Feld fanden schon zuvor Freisetzungsversuche mit Gentechpflanzen statt. Die Versuchsfläche beträgt bis zu 70 Aren, entspricht also knapp einem Fussballfeld.

Bedenken, dass sich die genveränderten Pflanzen unkontrolliert über Pollen ausbreiten könnten, räumt Brunner aus: «Die Gerste ist ein Selbstbestäuber, die Pollen fliegen also nicht weit.» Zudem sei das nächste Gerstenfeld mehr als 60 Meter entfernt, wie es Vorschrift ist. Das Versuchsfeld ist mit einem Netz geschützt, sodass Vögel keine Samen verbreiten können, und die Mitarbeitenden sind speziell geschult, keine potenziellen Verunreinigungen nach aussen zu tragen.

Bei der Crispr-Gerste setzte das Forschungsteam auf Erfahrungen mit einer besonders ertragreichen Reissorte. Bei dieser herkömmlich gezüchteten Sorte ist ein Gen inaktiv, das normalerweise dafür sorgt, dass ein Wachstumshormon abgebaut wird. Fehlt das entsprechende Genprodukt, baut sich das Wachstumshormon langsamer ab, und die Pflanze bildet so mehr Reiskörner.

Diesen Mechanismus haben sich Brunners Forschungspartner von der Freien Universität Berlin zusammen mit Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung zunutze gemacht. Sie schalteten gezielt das sogenannte CKX2-Gen zuerst in Raps und nun in der Gerste aus.

Pflanzen, die mit diesen neuen genomischen Techniken (zum Beispiel Crispr oder Talen) hergestellt werden, heissen NGT-Pflanzen.

Weniger Bitterstoffe, wertvolleres Öl

Während in der Schweiz mit diesem Versuch erstmals NGT-Pflanzen zu Forschungszwecken freigesetzt werden, sind in anderen Ländern bereits Produkte derart veränderter Nutzpflanzen auf dem Markt. Das erste mit der Crispr-Methode veränderte Nahrungsmittel ist eine Tomate, die das japanische Unternehmen Sanatech Seed 2021 auf den Markt gebracht hat. Die Tomate produziert eine fünffach erhöhte Menge an Gamma-Aminobuttersäure, kurz Gaba genannt. Gaba ist ein Botenstoff, den auch herkömmliche Tomaten bilden und der im menschlichen Körper beruhigend und schlaffördernd wirkt. Bei den Gaba-Tomaten ist ein Gen ausgeschaltet, das normalerweise die Bildung des Botenstoffs begrenzt.

Vor allem in den USA wird die Liste von NGT-Nutzpflanzen, die entwickelt werden oder bereits zugelassen sind, immer länger. Da gibt es Salat, der später welkt, Senfpflanzen mit weniger Bitterstoffen, Avocados, die nicht so schnell braun werden, oder Sojabohnen, die nun die vierfache Menge an Ölsäure bilden, wodurch das Sojaöl hochwertiger wird.

In den USA müssen solche NGT-Nutzpflanzen seit einigen Jahren nicht mehr als gentechnisch veränderte Organismen gekennzeichnet werden, sie sind den herkömmlichen Züchtungen gleichgestellt. Das ist hierzulande anders. Noch fallen NGT-Pflanzen hierzulande unter das Gentechnikgesetz, Einfuhr und Anbau sind verboten.

Und so gibt es ein Dilemma: Da das Erbgut der NGT-Pflanzen genau gleich aussieht wie das von herkömmlichen Züchtungen, sind die Pflanzen kaum voneinander zu unterscheiden. Da stellt sich die Frage: Können Fachpersonen überhaupt feststellen, wenn Produkte von NGT-Pflanzen illegal in die Schweiz gelangen?

«Ja», sagt Claudia Bagutti, «aber der Aufwand ist riesig.» Die Expertin für Biosicherheit arbeitet beim kantonalen Laboratorium Basel-Stadt. Für die bisherigen gentechnisch veränderten Pflanzen (GV-Pflanzen) gebe es gute Nachweisverfahren, sagt Bagutti. Diese GV-Pflanzen haben fremdes Erbgut in sich, das man gut im Labor entdecken könne. Die Tests seien etabliert, damit könne man eine Vielzahl der GV-Pflanzen systematisch erkennen.

Während GV-Pflanzen gut nachweisbar sind, wird das bei den neuen NGT-Pflanzen schwierig. «Wir finden nur das, was wir kennen», sagt Bagutti. «Wir können nur Nachweismethoden entwickeln, wenn die Firmen bekannt geben, welche Veränderungen sie im Erbgut im Labor eingeführt haben.» Das ist von Pflanze zu Pflanze unterschiedlich. Für die Gaba-Tomate und die Ölsäure-Sojabohne sind derartige Nachweisverfahren noch nicht möglich, werden aber derzeit entwickelt.

«Langfristig wird es immer schwieriger werden, NGT-Pflanzen zu identifizieren», sagt Bagutti. Ein Grund sei, dass es immer mehr davon geben werde. «Zudem wissen wir künftig nicht, welche Pflanzen es betrifft», sagt Bagutti. «Schliesslich müssen NGT-Pflanzen in Herkunftsländern wie den USA nicht gekennzeichnet werden.»

Dass es künftig mehr angepasste Nutzpflanzen geben soll, darüber sind sich Vertreter auf höchster EU-Ebene einig. Ziel sei, «das Lebensmittelsystem sowohl nachhaltiger als auch krisenfest zu machen, indem man verbesserte Pflanzensorten entwickelt, denen bestimmte klimatische Einwirkungen beziehungsweise Schädlinge nichts anhaben können», heisst es in einer Pressemitteilung des EU-Parlaments.

EU und Schweiz diskutieren neue Regelungen

Anfang Februar hat das EU-Parlament deshalb einer neuen Regelung der NGT-Pflanzen zugestimmt. Demnach sollen EU-weit künftig NGT-Pflanzen, deren Erbgut unwesentlich verändert wurde und die nicht von herkömmlichen Züchtungen zu unterscheiden sind, wie herkömmlich gezüchtete Pflanzen behandelt werden. Zunächst wird das EU-Parlament die Regeln dafür anpassen, zum Beispiel wie gross und zahlreich die genetische Veränderung sein darf, damit eine NGT-Pflanze als gleichwertig mit herkömmlichen Züchtungen gelten kann. Diese NGT-Pflanzen sollen der Kategorie 1 zugeordnet werden. Pflanzen, die grössere Veränderung aufweisen (Kategorie 2), sollen weiterhin wie GVO-Pflanzen behandelt werden.

Und wie wird die Schweiz künftig mit NGT-Pflanzen umgehen? Der Bundesrat bescheinigt den neuen gentechnischen Verfahren in der Pflanzenzüchtung «ein grosses Potenzial» vor allem für eine nachhaltigere Landwirtschaft. «Mit diesen Technologien könnte die Landwirtschaft beispielsweise den Einsatz von Pestiziden reduzieren oder Sorten anbauen, die gegenüber der Trockenheit resistenter sind», schrieb der Bundesrat nach einer Aussprache zur Gentech-Regulierung im letzten Jahr.

Das Zulassungsverfahren für NGT-Pflanzen in der Schweiz solle sich grundsätzlich am Vorschlag der EU-Kommission orientieren, teilt Rebekka Reichlin mit, Pressesprecherin des Bundesamts für Umwelt. «In Abweichung zum EU-Entwurf möchte der Bundesrat jedoch stärkere Kontrollmechanismen einbauen.» Die Vernehmlassung ist für diesen Sommer geplant.

Noch gilt hierzulande aufgrund einer Volksabstimmung von 2005 ein Moratorium für den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen. Dieses wurde mehrmals verlängert, zuletzt bis Ende 2025. Versuche zu Forschungszwecken, wie die Crispr-Gerste, die in wenigen Wochen hierzulande in die Erde kommt, sind davon ausgenommen – unter strengen Auflagen.