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Wer wird Kanzlerkandidat?
Laschet oder Söder – diese Wahl wird kapital

Da waren sie noch nicht Konkurrenten: Armin Laschet (60), CDU-Vorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Markus Söder (54), CSU-Chef und Ministerpräsident von Bayern, im Europawahlkampf 2019.
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Die deutschen Christdemokraten gelten als mächtigste Partei Europas: 50 von 70 Jahren haben sie das grösste Land auf dem Kontinent geführt, alleine Angela Merkel regiert nun schon im 16. Jahr. Bis vor kurzem galt es unter Beobachtern als ausgemacht, dass sich an dieser Vormacht auch nach dem Abgang der Kanzlerin im Herbst nichts ändern würde. Der Kanzlerkandidat von CDU und bayerischer CSU würde ziemlich sicher neuer Kanzler werden.

Im zweiten Jahr der Pandemie ist diese Gewissheit verflogen. Die Union steht in den Umfragen wieder bei mickrigen 27 statt bei 40 Prozent, exakt wie vor Corona. Die Grünen sind ihr dicht auf den Fersen. In der plötzlichen Schwäche wird die Frage der Kanzlerkandidatur auf einmal kapital.

Die CSU kam in der Vergangenheit immer nur dann zum Zug, wenn die CDU schwach oder zerstritten war. Wie jetzt?

In normalen Zeiten wird die CDU-Kanzlerin oder der CDU-Chef quasi automatisch zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gekürt. Die viermal kleinere CSU klatscht dazu mal mehr, mal weniger. Nur zweimal in den letzten 70 Jahren kam die bayerische Schwester zum Zug: 1980 mit Franz Josef Strauss und 2002 mit Edmund Stoiber. Die Umstände ähnelten sich: Beide Male agierte die Union aus der Opposition, beide Male waren die CDU-Chefs – erst Helmut Kohl, dann Merkel – (noch) nicht stark genug, um sich durchzusetzen. Und beide Male scheiterte der CSU-Kandidat am Ende.

Weil Merkel nicht mehr antritt, ist die Lage für die Union diesmal ziemlich analog: Die Kanzlerschaft muss nicht behauptet, sondern neu erobert werden. Und wie damals steht die Autorität des CDU-Chefs heute mächtig infrage: Das Vertrauen in den erst im Januar gewählten Armin Laschet ist schneller verflogen, als selbst Pessimisten für möglich gehalten hatten. Und die Rufe nach Markus Söder, dem «starken Mann» aus Bayern, erschallen in der Union gerade jeden Tag ein bisschen lauter.

In normalen Zeiten muss ein guter Kanzleranwärter viele Fähigkeiten vereinen. In einer schweren Krise wie der jetzigen verengt sich der Eignungstest auf eine einzige Frage: Kann er Krise? In der Pandemie suchten die eher vorsichtigen Deutschen bei ihren Regierenden bisher hauptsächlich Sicherheit: Lieber Lockdown als Lockerung, dies war in den ersten drei Wellen stets die Devise der Mehrheit.

Lange Weggefährten, aber nicht in der Corona-Krise: Armin Laschet zeigt Angela Merkel im Sommer 2020 das Unesco-Welterbe der früheren Steinkohlezeche Zollverein im Ruhrgebiet.

Diese Sicherheit, so zeigen Umfragen, vermittelte eher Söder als Laschet. Viele halten den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen für wankelmütig und durchsetzungsschwach: beim Lockern immer eifrig, beim Lockdown zögerlich oder inkonsequent. Mit dieser Haltung geriet Laschet nicht nur mit Söder in Konflikt, sondern auch mit der strengen Kanzlerin. Das entbehrte nicht der Ironie, schliesslich galt er bisher stets als Anhänger ihrer Politik. Auch in der Flüchtlingskrise stützte er sie gegen alle Widerstände in der Partei.

Der bayerische Ministerpräsident dagegen bewies Entschlossenheit, indem er stets als erster Schulen oder Läden schloss und noch Vorsicht anmahnte, als Laschet und andere schon längst wieder Erleichterungen versprachen. Anders als Laschet stellte sich Söder in der Pandemie entschieden an die Seite Merkels – die er in der Flüchtlingskrise noch heftig kritisiert hatte.

Früher oft politische Gegenspieler innerhalb der Union, in der Corona-Krise Verbündete: Markus Söder lud Angela Merkel im Sommer 2020 ins bayerische Prunkschloss Herrenchiemsee ein.

In den Umfragen ist das Vertrauen der Deutschen in Söder seit März 2020 jedenfalls stark gewachsen, in Laschet aber gesunken. In der jüngsten ARD-Erhebung hielten 54 Prozent Söder für einen guten Kanzlerkandidaten, von Laschet sagten das nur 19 Prozent. Unter den Unionsanhängern erhält Söder von 79 Prozent Zuspruch, Laschet nur von 29. Nach anderen Umfragen läge der CDU-Chef bei einer Direktwahl des Kanzlers sogar hinter den Kandidaten der Grünen und der SPD – auf Platz 3.

Zum Verdruss der CDU hat Söder bis heute nicht erklärt, ob er überhaupt Kanzlerkandidat werden möchte. Es gefällt ihm aber sichtlich, dass ihn immer mehr Politiker in der CDU dazu auffordern. Bisher sind es Hinterbänkler, die Söder Laschet vorziehen. Zunehmend sagen aber auch wichtigere Politiker, die Union müsse mit dem Kandidaten in die Wahl gehen, mit dem sie am ehesten gewinnen könne – was angesichts der Umfragen natürlich auf Söder deutet.

Mittlerweile ist nicht mal mehr klar, wer die Kandidatenfrage eigentlich entscheidet.

Bisher hiess es, Laschet und Söder würden die Frage gemeinsam entscheiden, zwischen Ostern und Pfingsten. Mittlerweile ist die Unruhe in der CDU aber so gross, dass erste Stimmen der Bundestagsfraktion bereits Mitbestimmung fordern – wie 1979, als Strauss gekürt wurde.

In jedem Fall riskiert die Union viel: Laschet ist in der Partei wegen seines abwägenden, menschlichen und ausgleichenden Naturells zwar beliebt, er hat wie Söder auch schon Wahlen gewonnen, aber in der aktuellen Krise gilt er allenthalben als schwache Führungsfigur. Söder, den protestantischen Franken und Chef der Regionalpartei CSU, hält man in der Union zwar für zugkräftiger. Aber ob seine bayerische Breitbeinigkeit im Herbst auch norddeutsche Städter überzeugt, muss sich erst zeigen.

Es solle jetzt jedenfalls schnell gehen mit der Wahl, heisst es in der Union. Zuerst muss sich Laschet unpraktischerweise aber noch mit Söder und Merkel auf den nächsten Lockdown einigen. Die Grünen haben derweil bereits angekündigt, dass sie in gut zehn Tagen erklären, ob Annalena Baerbock oder Robert Habeck die Kanzlerkandidatur zufällt. Die Uhr tickt.