Kritische Reaktionen auf Bildungsexpertin«Mehr kopflastige Maturanden zu produzieren, ist nicht der Königsweg»
Der Vorschlag einer Professorin, mehr Plätze an Gymnasien zu schaffen, stösst auf breite Ablehnung. Man solle gescheiter die Berufsbildung stärken, heisst es von links bis rechts.
Weil nicht genug Schweizerinnen und Schweizer einen Uniabschluss hätten, müsse man die Gymnasialquote erhöhen, schlug Bildungsforscherin Gita Steiner-Khamsi im Interview mit dieser Zeitung vor. In Politik und Wirtschaft stösst sie damit auf mehr oder weniger heftigen Widerstand. Das sei eben gerade der falsche Weg, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, lautet der Tenor. Stattdessen sei die Berufslehre aufzuwerten.
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse drückt es noch zurückhaltend aus: Die Wirtschaft erachte den Weg über die Berufsmaturität als gleichwertig wie das Gymnasium, betone aber Vorteile der Berufsmaturität. «Zeitlich macht dies keinen Unterschied, dafür sind die jungen Leute schon in der Arbeitswelt integriert und können auch besser einschätzen, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln wollen», sagt Bildungsexperte Roger Wehrli.
Berufslehre würde nochmals unattraktiver
Klarer tönt es von der wirtschaftlichen Front. «Es gibt bereits heute genügend Schweizer Studierende», sagt Samuel Lanz, Sprecher des Verbands Interpharma. Insbesondere in der anspruchsvollen Produktion habe die forschende Pharmaindustrie bereits heute Schwierigkeiten, genügend gut ausgebildetes Personal zu finden. Die Erhöhung der Gymnasialquote löse das Problem nicht, denn dadurch werde nur die Berufslehre nochmals unattraktiver.
«Wir brauchen mehr Praktiker, insbesondere im Handwerk», stimmt Diana Gutjahr zu. Es sei im Sinn der Wirtschaft, die duale Berufsbildung zu stärken, so die SVP-Nationalrätin und Vorstandsmitglied des Schweizerischen Gewerbeverbands. Die Gymnasialquote sei in einigen Teilen der Romandie bereits hoch, in der Deutschschweiz mit rund 20 Prozent genügend.
Wirtschafts- und Bildungspolitiker von links bis rechts geben ihr Recht. Den akademischen Bildungsweg gegenüber der Berufsbildung zu bevorzugen, sei zu kurz gedacht, sagt etwa der Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer. Schliesslich fehlten Fach- und Arbeitskräfte auf allen Stufen, nicht nur solche mit Hochschulabschluss.
Andrea Gmür, Ständerätin der Mitte aus dem Kanton Luzern, erinnert daran, dass die Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen sehr hoch sei und es deshalb «absolut keinen Sinn» mache, die Maturitätsquote zu steigern.
«Exzellenz entsteht erst, wenn Bildung auf Fähigkeiten trifft – mit Bildung allein kann man gar nichts bewirken.»
«Mehr kopflastige Maturandinnen und Maturanden zu produzieren, ist wahrscheinlich nicht der Königsweg», sagt der Zürcher FDP-Nationalrat Beat Walti. Und warnt: Damit würde nur das Ausbildungsniveau sinken.
Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz, nennt die geringe Maturitätsquote «eine der wesentlichen Stärken der Schweiz». Und liefert dazu eine Erklärung: «Exzellenz entsteht erst, wenn Bildung auf Fähigkeiten trifft – mit Bildung allein kann man gar nichts bewirken.» Wenn man mehr Akademiker habe, bekomme man nicht die, die es brauche, weil diese nicht jene Fächer studieren, wo Mangel herrsche.
Nicht überzeugen kann auch die Begründung, mit der Bildungsexpertin Steiner-Khamsi die höhere Gymnasialquote verlangt: dass nämlich 60 Prozent der Stellen, für die es einen Hochschulabschluss braucht, von Ausländerinnen und Ausländern besetzt würden. «Die Tatsache, dass wir viele Personen mit Uniabschluss anziehen, ist auch dadurch bedingt, dass im Ausland gar kein analoges System wie die Berufslehre existiert», lautet die Erklärung von Florence Mauli. Auch sie eine Bildungsexpertin, allerdings bei der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse.
Stipendien für Mangelfächer sind ebenfalls kein Thema
Durchs Band kritisiert wird schliesslich der Vorschlag, mit dem Steiner-Khamsi den Fachkräftemangel in Naturwissenschaften und Technik beheben möchte: nämlich Stipendien in diesen Fächern zu vergeben. «Es braucht keine Stipendien, sondern nachgelagerte Studiengebühren», sagt Mauli. Kredite also, die nach Studienende zurückbezahlt werden müssen.
Die Unternehmen müssten ebenfalls ihren Teil beitragen – und die Arbeitsbedingungen dort verbessern, wo Mangel herrscht. Das sieht auch Alex Kuprecht so, SVP-Ständerat und Präsident der Wirtschaftskommission seines Rats: «Wir können doch nicht etwas subventionieren, das die Jungen nicht interessiert.»
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