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Interview mit Arzt
«Die Folgen des Klimawandels für die Gesundheit sind in der Schweiz sehr spürbar»

Auswirkungen der Hitzewelle auf Altersheime. Im Burgerspittel Viererfeld werden Sonnenstoren vor den Fenstern heruntergelassen, Erfrischungsstationen mit kaltem Wasser aufgestellt und feuchte Tuecher verteilt. © Adrian Moser / Tamedia AG
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In Kürze:
  • Das Konsortium für nachhaltige Gesundheit kritisiert die Ignoranz des Bundesrats gegenüber gesundheitlichen Klimafolgen.
  • Hitzeereignisse erhöhen das Risiko für Herzerkrankungen und Frühgeburten.
  • In der Schweiz sind 5 bis 8 Prozent der CO₂-Emissionen auf das Gesundheitssystem zurückzuführen.

Pflegende, Ärztinnen und Ärzte fordern die Landesregierung in einem offenen Brief auf, die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Bevölkerung in der Schweiz ernst zu nehmen und entsprechende umfassende Massnahmen zu ergreifen. Hinter dem Brief steht das Konsortium für nachhaltige Gesundheit und ökologische Transformation des Gesundheitswesens, dem mehrere wichtige nationale Organisationen im Gesundheitswesen angehören. Ausschlag für diese Reaktion gab die zurückweisende Haltung des Bundesrats gegenüber dem Urteil des Gerichtshofs für Menschenrechte zum Fall der Klimaseniorinnen, das der Schweiz attestiert, die Bevölkerung zu wenig vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Dazu gehört auch die Gesundheit des Menschen. Christian Abshagen, Co-Präsident des Konsortiums, erklärt seine Beweggründe.

Herr Abshagen, die Klimaforschung warnt seit Jahren davor, dass der Klimawandel auch unsere Gesundheit beeinträchtigt. Warum gibt es das Konsortium erst seit gut einem Jahr?

Da müssen wir selbstkritisch sein, im Gegensatz zum angelsächsischen Raum sind in den deutschsprachigen Ländern, auch in der Schweiz, die Organisationen des Gesundheitswesens erst sehr spät aufgewacht. Man war wohl der Meinung, dass sich vor allem die Umweltwissenschaften und Ökologie um den Klimawandel kümmern sollten. Und das, obwohl das renommierte medizinische Fachmagazin «The Lancet» bereits 2009 geschrieben hatte, der Klimawandel sei die grösste globale Bedrohung für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert.

Und das hat sich nun geändert?

Seit etwa fünf Jahren beginnen die Fachverbände, auch in der Schweiz, den Klimaschutz in ihre Strategien zu integrieren, weil sie festgestellt haben, dass Umweltkrisen generell auch grosse Gesundheitskrisen sind. Ärztinnen und Ärzte müssen sich schon wegen des hippokratischen Eids damit auseinandersetzen.

Das Konsortium empfindet die Haltung des Bundesrats gegenüber dem Urteil von Strassburg als Ignoranz?

Ja, die Haltung des Bundesrats und auch des Parlaments gab für uns den Ausschlag, zu reagieren. Das konnten wir nicht einfach so stehen lassen. Auch wenn in der Schweiz und in Westeuropa die gesundheitlichen Folgeeffekte des Klimawandels glücklicherweise noch nicht so stark sind wie in ärmeren Staaten des globalen Südens – die Auswirkungen sind doch bereits heute schon auch in der Schweiz sehr spürbar.

Christian Abshagen ist Mediziner und Leiter Nachhaltigkeit am Universitätsspital Basel und Co-Präsident des Konsortiums für nachhaltige Gesundheit und ökologische Transformation des Gesundheitswesens.

Aber wir haben seit dem Hitzesommer 2003, als wir eine massive Übersterblichkeit hatten, mit Massnahmen etwa in Altersheimen reagiert.

Das haben wir, aber es genügt sichtlich nicht, den Bürgern nur zu empfehlen, ausreichend zu trinken und sich entsprechend abzukühlen. Wir hatten auch 2023 wieder über 500 hitzebedingte Todesopfer in der Schweiz, wie das Monitoring des Bundes zeigt. Die Rate an Frühgeburten nimmt infolge von Hitzeereignissen zu, wie Daten aus Hamburg dokumentieren. Spitaleinweisungen von psychisch Erkrankten steigen gemäss einer Berner Studie mit höheren Temperaturen. Und eine grössere deutsche Untersuchung gibt Hinweise darauf, dass bei Patienten, die bestimmte Herzkreislaufmedikamente einnehmen, das Risiko für einen Herzinfarkt bei Hitze erhöht ist. Die Liste könnte fortgesetzt werden. Aber es geht ja nicht nur um akute Hitzeereignisse.

Sondern?

Auch das Bewusstsein für die Rolle des Klimawandels, beispielsweise bei der Zunahme von Allergien und Asthma oder bei künftigen Infektionskrankheiten, fehlt noch weitgehend. Die Tigermücke haben wir ja bereits in der Schweiz. Sie kann verschiedene tropische Krankheiten übertragen. Denguefieber oder das West-Nil-Virus werden deshalb zum Problem werden, das ist nur eine Frage der Zeit. Darauf müssen wir vorbereitet sein und reagieren. In einem modernen Gesundheitswesen wie in der Schweiz müsste das machbar sein, aber dafür braucht es entsprechendes Bewusstsein, Ausbildung und Kommunikation.

Aber die Behörden sind nicht untätig. Das Bundesamt für Gesundheit studiert zum Beispiel derzeit, welche Massnahmen etwa bei Hitzeereignissen umgesetzt werden und wo Lücken bestehen.

Das sind begrüssenswerte, aber auch zwingende Schritte. Enorm wichtig scheint uns aber, Lösungen für unsere Gesundheit und für die ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts noch viel mutiger gemeinsam zu denken: In Politikfeldern wie Landwirtschaft und Ernährung, Verkehr und Mobilität sowie Städtebau und Raumplanung liegen enorme Chancen für gleichzeitig mehr Gesundheit und für eine klimaneutrale Schweiz.

In diesem Zusammenhang fordern Sie im offenen Brief auch entsprechende Massnahmen, um die Emissionen der Treibhausgase schneller zu reduzieren. Müssten Sie da aber nicht auch vor der eigenen Haustür kehren?

Absolut. 5 bis 8 Prozent der CO₂-Emissionen sind in der Schweiz auf das Gesundheitssystem zurückzuführen. Da müssen wir aktiv werden, die Fachverbände haben das in ihre Strategie inzwischen aufgenommen. Spitäler, Praxen und Gesundheitseinrichtungen machen sich auf den Weg. Aber auch hier braucht es politische Rahmenbedingungen, die diesen Weg bereiten.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel sollte bei der Umsetzung des Klimaschutzgesetzes, das wir im letzten Jahr angenommen haben, grundsätzlich immer auch das Gesundheitswesen ein Thema sein. Es braucht zum Beispiel für Spitäler Anreize, um die klinische Tätigkeit und die Infrastrukturen nachhaltig zu gestalten. Für die Gesundheitsprävention sollte mehr Geld ausgegeben werden, eine gesunde Bevölkerung ist nachweislich ressourcenschonender. Aber es gibt auch Beispiele für notwendige regulatorische Verbesserungen im Kleinen: So kann man heute im ambulanten Bereich zwar Einwegmedizinprodukte verrechnen, die Kosten für die Sterilisierung oder Wiederaufbereitung von Medizinprodukten für eine Wiederverwendung hingegen nicht.

Was erwartet das Konsortium nun vom Bundesrat?

Grundsätzlich gibt es kein Patentrezept, das einfach aus der Schublade gezogen werden kann. Aber wir sind der festen Überzeugung, dass der menschlichen Gesundheit und dem Gesundheitswesen schlicht zu wenig Beachtung geschenkt wird, wenn es um Klima- und Umweltschutz geht. Wir wollen mit dem Brief darauf aufmerksam machen, dass in den Verhandlungen um Massnahmen stets auch Gesundheitsfachpersonen und das Gesundheitswesen eine wichtige Rolle spielen müssen. So muss zum Beispiel bei der vom Bundesamt für Umwelt lancierten Plattform für Klimaanpassungen zur Unterstützung der Kantone und Gemeinden unbedingt auch die Gesundheit berücksichtigt werden und Fachpersonen aus diesem Bereich müssen vertreten sein.