Krieg in Nahost und FinanzmärkteWeder irre Kursschwankungen noch Panik-Verkäufe – aber droht bald der Schock?
Vor 50 Jahren führte der Jom-Kippur-Krieg in die erste Ölkrise. Nun wird wieder gekämpft im Nahen Osten, aber die Börsen reagieren kaum. Doch sie könnten die Risiken falsch einschätzen.

Die Autobahnen leer, die Tankstellen verwaist, Börsen und Wirtschaft in Panik. Als vor 50 Jahren nach einem Überfall auf Israel schon einmal ein Krieg begann, waren die Folgen für die Wirtschaft weltweit drastisch. Und heute? Wieder wurde Israel von einem Angriff überrascht, wie damals an Jom Kippur 1973, wieder ist die Armee erst einmal in der Defensive. Was aber anders ist als damals: Die Eskalation lässt die Finanzmärkte bis jetzt weitgehend kalt. Keine irren Kursschwankungen, keine panischen Verkäufe, weder bei Aktien noch bei Anleihen, Währungen oder Rohstoffen. Nur: Wird es dabei bleiben?
«Bei aller politischen Tragik für Israel hat der Krieg bisher für die Weltwirtschaft nur geringfügige Auswirkungen», sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank. Zwar sind Hunderte Menschen gestorben beim Überfall der radikalislamischen Hamas und bei den Gegenschlägen der israelischen Armee, bis anhin aber gebe es keine Anzeichen dafür, dass sich der Konflikt über die Region hinaus ausweiten könnte.

Andere Experten bewerten die Lage kritischer: «Die Börse hat zuletzt öfter bewiesen, dass sie geopolitische Risiken nicht richtig einschätzen kann», sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der Bank ING. Er bewertet die Lage im Nahen Osten als extrem unsicher und hochexplosiv. Der Konflikt könne sich sehr schnell ausweiten, wenn andere Nationen mit hineingezogen würden. Angesichts dessen seien die Reaktionen an der Börse «sehr kurzfristig, fast engstirnig und naiv».
Der Ölpreis ist weit weg vom Hoch nach dem Angriff auf die Ukraine
Viele Anleger weltweit teilen diese Einschätzung bislang aber offensichtlich nicht, trotz des politischen und menschlichen Schocks: Die Schweizer Börse hat diese Woche sogar an Wert zugelegt, der Leitindex SMI ist gestiegen. «Die Aktienkurse werden seit Beginn letzten Jahres durch die schlechte Nachrichtenlage geprägt, sie sind schon stark gefallen», sagt Sven Streibel, Chef-Aktienstratege der DZ-Bank. Mit der aktuellen Entwicklung im Nahostkonflikt sei jetzt zwar eine weitere schlechte Nachricht hinzugekommen, dass die Kurse nicht viel deutlicher fielen, deute aber darauf hin, dass schon eine Talsohle erreicht sein könnte.
Spürbarer waren die Kursbewegungen in anderen Anlageklassen: Die berühmten «sicheren Häfen» waren durchaus stärker gefragt als üblich, so stieg etwa der Goldpreis, eine Feinunze (31,1 Gramm) verteuerte sich von 1832 auf 1861 Dollar. Der Eurokurs fiel, weil Anleger in Krisen tendenziell zum Dollar greifen. Der Schweizer Franken, der ebenfalls als «sicherer Hafen» gilt, notierte ebenfalls stärker.
Die stärkste Reaktion zeigte am Montag der Rohölmarkt: Der Preis für ein Barrel (159 Liter) der Sorte Brent stieg von 84,58 am Freitag auf bis zu 89 Dollar. Doch auch hier setzte schnell eine leichte Entspannung ein. Am Dienstag notierte ein Barrel noch bei 87,51 Dollar. Das ist historisch gesehen zwar ein hoher Kurs, weil im Sommer die Opec-Staaten die Förderung beschnitten hatten – doch immer noch weit entfernt von den Höchstständen nach Ausbruch des Ukraine-Krieges bei mehr als 120 Dollar.
«Konflikte, die mit Öl zu tun haben, haben das Potenzial, die Märkte stark zu beeinflussen.»
Bewahrheiten sich damit im Krieg in Nahost wieder die alten Börsenweisheiten? Dass «politische Börsen kurze Beine haben». Oder dass man Aktien dann kaufen solle, «wenn die Kanonen donnern». Ganz so sorglos sind die Experten nicht. «Konflikte, die mit Öl zu tun haben, haben das Potenzial, die Märkte stark zu beeinflussen», sagt Aktienstratege Streibel. Deshalb ordne er den aktuellen Konflikt als Risikofaktor für die Märkte ein.
Das grösste Risiko für die Weltwirtschaft sei dabei eine Ausweitung der Auseinandersetzung auf die globale Ebene, sagt Chefökonom Kater. «Die Hauptkonfliktlinie liegt zwischen dem Iran auf der einen Seite und den USA auf der anderen.» Teheran habe über die Strasse von Hormuz grossen Einfluss auf einen der wichtigsten Transportwege für Erdöl. Komme es zu Einschränkungen bei Förderung oder Lieferungen, vielleicht sogar Boykotts, dann hätte das massive Folgen: für die weltweite Konjunktur, für die Inflation, die Zinsen, die Unternehmensgewinne und damit auch die Finanzmärkte.
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