Norden im AlarmzustandIsrael droht ein Drei-Fronten-Krieg
Die Hamas feuert weiter Raketen ab, obwohl Israel ihre Stellungen in Gaza massiv bombardiert. Auch im Norden gibt es Beschuss – aus Libanon und nun auch aus Syrien.
Im Nahen Osten droht eine weitere Eskalation des Konflikts. Der Norden Israels wurde nach Angaben des Militärs am Mittwochabend in den Alarmzustand versetzt, in weiten Teilen nahe der Demarkationslinie zum benachbarten Libanon heulten die Sirenen. Die Streitkräfte meldeten eine «Infiltration aus Libanon in den israelischen Luftraum» und wiesen die Menschen in der Region an, bis auf Weiteres in Schutzräumen zu bleiben.
Schon tagsüber waren Gefechte mit Artillerie und Raketen zwischen der Schiiten-Miliz Hisbollah im Süden Libanons und der israelischen Armee gemeldet worden. Am Dienstagabend wurden zudem von Syrien aus mehrere Raketen auf die von Israel besetzten Golanhöhen abgefeuert. Die israelischen Streitkräfte sollen mit Angriffen in Syrien reagiert haben. Ein Krieg an drei Fronten wäre aber auch für die gut ausgestattete israelische Armee eine Herausforderung.
Am Mittwochnachmittag heulten in Tel Aviv und Umgebung erneut die Sirenen. Obwohl die israelische Armee seit Samstag Hunderte Stellungen im Gazastreifen bombardiert hat, gelang es der Hamas auch den fünften Tag in Folge, Raketen in den Zentralraum Israels abzuschiessen. Zuvor hatte die israelische Armee angegeben, ein Radarsystem zerstört und die Islamische Universität angegriffen zu haben. Die Hochschule sei laut der Armee ein «wichtiges operatives und militärisches Zentrum der Hamas-Terrororganisation», sie diene unter anderem als Trainingscamp der Terrorgruppe. Bilder und Videos aus dem Gazastreifen zeigten die Zerstörung ganzer Wohnblöcke. Die Hamas unterhält keine klar gekennzeichneten militärischen Stützpunkte, sondern operiert unter anderem aus Wohnhäusern heraus und hat ein weit verzweigtes Tunnelsystem angelegt.
Es mehren sich die Anzeichen, dass die israelische Armee eine Bodenoffensive im Gazastreifen starten will, zumal sich noch 100 bis 150 Geiseln in der Hand der Hamas-Terroristen im Gazastreifen befinden. Die Zahl der Todesopfer in Israel stieg inzwischen auf 1200, rund 3000 Menschen wurden bei dem koordinierten Grossangriff der Terroristen verletzt. Die israelischen Streitkräfte haben das Gebiet rund um den Gazastreifen am Mittwoch zur militärischen Sperrzone erklärt.
Aus den USA trifft Unterstützung ein
Die USA lieferten am Mittwoch mit einem ersten Flug Munition nach Israel. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin kündigte an, man werde das Land umfassend unterstützen und mit allem beliefern, das es zu seinem Schutz braucht. Der amerikanische Flottenverband um den Flugzeugträger USS Gerald R. Ford ist bereits in das östliche Mittelmeer verlegt worden. Auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte seinem israelischen Amtskollegen Unterstützung angeboten.
Israel hat 300'000 Reservisten mobilisiert. Ein Einsatz im Gazastreifen ist für die israelische Armee aber ein grosses Risiko, da davon auszugehen ist, dass die Hamas Hinterhalte und Minenfelder legen wird. Dazu kommt, dass Kämpfe in bebauten Gebieten in der Regel sehr blutig und langwierig sind. Ohne einen solchen Einsatz wird es aber nur schwer möglich sein, die Hamas so weit zu schwächen, dass sie keine weiteren Angriffe durchführen kann, wie es das erklärte Ziel der israelischen Streitkräfte ist.
Laut dem Gesundheitsministerium in Gaza sind bei den Luftangriffen bisher mindestens 1050 Menschen getötet worden, 5200 seien verletzt worden. Unter den Toten sollen auch neun Mitarbeiter der Vereinten Nationen sein. Sie hätten für das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten gearbeitet. Auch der Rote Halbmond, die Schwesterorganisation des Roten Kreuzes, teilte am Mittwoch mit, die Zentrale des Rettungsdienstes in Gaza sei zerstört worden. Die israelische Armee kündigte an, die Berichte zu prüfen.
In Gaza fällt die Stromproduktion aus
Laut UN-Angaben sind derzeit etwa 264'000 Menschen innerhalb des Gazastreifens auf der Flucht. In dem engen Gebiet zwischen Israel, Ägypten und dem Mittelmeer leben mehr als zwei Millionen Menschen. Es ist eine der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt. Nachdem Israel am Montag die Strom- und Wasserzufuhr in den Gazastreifen im Zuge der Vergeltungsaktion eingestellt hatte, meldete der Energieversorger in Gaza am Mittwoch, die reguläre Stromproduktion sei ausgefallen, da der Brennstoff zur Neige gegangen sei. Mit Solarenergie solle aber für etwa zehn Stunden täglich die Stromversorgung weiter gewährleistet werden können.
Sowohl die Terrorangriffe der Hamas als auch das Bombardement der israelischen Armee im Gazastreifen sowie dessen Abriegelung wurden international heftig kritisiert. Ravina Shamdasani, die Sprecherin des UN-Menschenrechtsbüros, forderte am Mittwoch die Freilassung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln. Zur Lage im Gazastreifen sagte sie: «Eine Abriegelung kommt einer Kollektivstrafe gleich, das ist im humanitären Völkerrecht verboten.» Auch der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell kritisierte das Vorgehen der israelischen Armee: «Israel hat das Recht zur Selbstverteidigung, aber das muss in Einklang mit dem internationalen Recht, dem Völkerrecht geschehen, und einige der Entscheidungen stehen im Widerspruch dazu.»
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