Analyse zum Ukraine-KriegWie der Frieden in Europa gelingen kann
Wie sieht der Weg zu einem Waffenstillstand aus? Europas Regierungen wollen das überfallene Land stärken. Donald Trumps Absichten sind unklar.

- Europa diskutiert über Frieden in der Ukraine angesichts der russischen Invasion.
- Trumps Amtseinführung 2025 nährt Befürchtungen, was Frieden unter seiner US-Führung bedeutet.
- Europäische Strategien setzen auf militärische Stärkung der Ukraine vor einer Waffenruhe.
Vor 110 Jahren brach in Europa mitten im Krieg für kurze Zeit der Frieden aus. Der Erste Weltkrieg hatte gerade angefangen, die ersten grossen Schlachten waren geschlagen, doch am 24., am 25. und am 26. Dezember stellten an der Front im belgischen Flandern Tausende britische und deutsche Soldaten das Feuer ein. Sie stiegen aus ihren Schützengräben, trafen sich im Niemandsland und tauschten Geschenke aus. Sogar zu Fussballspielen soll es während dieser spontanen Waffenruhe gekommen sein, die als der Weihnachtsfrieden von 1914 in die Geschichte eingegangen ist.
Frieden in Europa ist auch in diesen Tagen ein innig ersehntes Ziel. Der Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, tobt seit fast drei Jahren. Hunderttausende Menschen sind gestorben. In den Krieg, der als Regionalkonflikt begann, sind inzwischen Dutzende Länder und mehrere Atommächte verwickelt, von den USA über Europa bis China. Das Eskalationspotenzial ist gewaltig, ebenso sind es die Kosten, die der Westen tragen muss, um dem überfallenen Land zu helfen.
Es ist daher kaum verwunderlich, dass Europas Regierungen zunehmend nicht mehr nur darüber nachdenken, wie die Ukraine in ihrem Kampf gegen die Invasoren unterstützt, sondern wie der Krieg beendet werden kann. Beim vorweihnachtlichen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU in der vergangenen Woche in Brüssel – nicht weit entfernt von den flämischen Schlachtfeldern, auf denen 1914 verfeindete Soldaten gemeinsam Choräle sangen – war das das wichtigste Thema. Begriffe wie «Waffenstillstand», «Verhandlungen» oder «Friedenstruppe» bestimmten die Debatte.
Was versteht Trump unter Frieden?
Das hat auch mit einem Ereignis zu tun, das am 20. Januar 2025 stattfinden wird. In Washington wird an diesem Tag Donald Trump zum zweiten Mal als US-Präsident vereidigt, der versprochen hat, den Krieg in der Ukraine schnellstmöglich zu beenden, genauer: binnen 24 Stunden. Und so paradox es auch klingen mag: Genau das weckt in Europa schlimme Befürchtungen. Denn was Trump unter Frieden versteht, könnte sich sehr substanziell von dem unterscheiden, was die Europäer damit meinen. Frieden in der Ukraine wollen im Westen wohl alle. Doch wie man dorthin gelangt und was Frieden in der Praxis bedeutet, dazu gibt es bisher noch keine transatlantische Einigkeit.
Aus europäischer Sicht kann Frieden nicht einfach nur heissen, dass es eine erzwungene Waffenruhe gibt, der Konflikt an der bestehenden Frontlinie eingefroren wird und dann Gespräche stattfinden, bei denen Russland der Ukraine die Bedingungen diktiert. Das, so warnen EU-Vertreter wie die Aussenbeauftragte Kaja Kallas (lesen Sie hier das Kallas-Interview), habe man schon früher mit den Minsk-Abkommen versucht. Das Ergebnis sei gewesen, dass Putin die Kampfpausen lediglich genutzt habe, um sich auf den nächsten Angriff vorzubereiten.
Europa kann Trump nur wenig entgegensetzen
Um das zu verhindern, wollen die Europäer die Ukraine vor einer Waffenruhe militärisch zunächst in eine möglichst günstige Ausgangslage bringen. «Frieden durch Stärke» lautet die Formel, die zu einer fairen, langfristig tragfähigen Lösung des Konflikts führen soll. Die Ukraine soll nach diesem Plan zuerst auf dem Schlachtfeld wieder in die Offensive kommen, bevor sie einem Waffenstillstand zustimmt. Danach soll sie – sei es durch Aufrüstung, militärische Garantien oder, wie einige europäische Länder es fordern, sogar durch eine Nato-Mitgliedschaft – dauerhaft abgesichert werden gegen weitere russische Überfälle.
Europäische Regierungschefs haben in den vergangenen Wochen versucht, Trump von dieser Strategie zu überzeugen. Ob es gelungen ist, wissen sie allerdings nicht genau. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz äusserte sich vorige Woche vorsichtig optimistisch, nachdem er während des EU-Gipfels mit Trump telefoniert hatte. Aber es gibt auch weit pessimistischere Regierungsvertreter. Denn Europa hat keine echten Druckmittel gegenüber Trump, noch nicht einmal eine echte Führung. Der Kanzler in Berlin und der Präsident in Paris, den Machtzentren der EU, kämpfen mit innenpolitischen Problemen, sie sind schwach und können Trump wenig entgegensetzen. Und ohne sie ist Europa kaum durchsetzungsfähig.
Ein sicherheitspolitischer Albtraum droht
Im schlechtesten Fall könnte daher schon bald das europäische Konzept von Frieden mit Trumps Konzept kollidieren. Denn um ein schnelles Ende der Kampfhandlungen zu erzwingen, könnte der künftige US-Präsident Kiew schlicht mit dem Entzug der Waffenhilfe drohen. In diesem Fall bliebe der dortigen Regierung kaum eine Wahl, als einzulenken. In der Ukraine würden dann zwar die Waffen schweigen. Aber das Land hätte de facto kapituliert, die 20 Prozent des Staatsgebiets, die Russland besetzt hält, wären wohl verloren.
Für Russland wäre das ein Triumph, für Europa wäre es hingegen ein sicherheitspolitischer Albtraum: Der Aggressor würde belohnt. Was bliebe, wäre die Angst, dass auf einen kurzen Frieden neue Kämpfe folgen, wie damals an Weihnachten 1914.
Fehler gefunden?Jetzt melden.