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Interview zum Prämienanstieg
«Das Gesundheitswesen braucht mehr wirtschaftliche Freiheit»

Reportage bei der Sanitaetspolizei in Bern am 24. Oktober 2017.
Ein alte Frau ist in Ihre Wohnung gefallen und kann nicht mehr selber aufstehen. Sanitaeter pflegt die Patientin waehrend der Fahrt in der IOnselspital
(KEYSTONE/Gaetan Bally)
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Herr Schneuwly, 2025 steigen die Prämien stark. Ein Anlass, um am 9. Juni Ja zu den zwei Gesundheitsinitiativen von SP und Mitte-Partei zu stimmen?

Umfragen zeigen, dass das Gesundheitswesen der Schweiz einen guten Ruf hat. Aber die steigenden Prämien bereiten vielen Menschen Sorge. Deshalb geniessen die zwei Initiativen auch hohe Sympathien. Beiden Vorlagen sind aber etwas zu starr formuliert.

Warum?

Bei der SP-Initiative dürfen die Prämien schweizweit nicht mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens ausmachen. Diese Grenze ist in einigen Kantonen vielleicht sinnvoll, in anderen aber nicht, da sich die Prämienkosten und darüber auch die Sozialsysteme je nach Kanton unterscheiden. Mit der Initiative würden dem Bund ausserdem mehr Kosten zugeschanzt. Das scheint mir keine gute Idee.

Würde mehr Zentralisierung dem Gesundheitswesen nicht guttun?

Viele Gesundheitsökonomen sehen den Föderalismus als Problem an. Ich teile diese Ansicht nicht. Beispielsweise sollten Entscheide über die Gesundheitsinfrastruktur nahe bei der Bevölkerung getroffen werden. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in einem Kanton sollten selbst beschliessen können, ob sie ein defizitäres Spital subventionieren oder schliessen wollen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass sie sich der Konsequenzen bewusst sind: höhere Prämien und Steuern.

Warum halten Sie die Initiative der Mitte-Partei zu rigid?

Die Initiative will das Wachstum der Gesundheitskosten an die Löhne koppeln. Das wäre etwa während der Pandemie verheerend gewesen. In wirtschaftlichen Krisen stagnieren typischerweise die Löhne, während die Leute öfter krank werden.

Zählt nicht das generelle Anliegen: Druck auf die Politik zu machen, damit sie die Kosten dämpft?

Die meisten Regulierungen in den letzten Jahren haben nicht die Kosten gesenkt, sondern den Bürokratieaufwand erhöht. Eine Expertenkommission, die unter anderem mit Experten aus Deutschland bestückt war, hat dem Bund empfohlen, dass er Kostenziele einführen soll, also maximale Kostenvorgaben für einen bestimmten Bereich im Gesundheitswesen. Dieser Weg führt in die Irre. Deutschland ist gesundheitspolitisch in diese Richtung gegangen, aber kommt jetzt wieder davon weg.

Warum wären Kostenziele der falsche Weg?

Solche Ziele – beziehungsweise die sogenannten Globalbudgets, die mit ihnen verbunden sind – schaffen den Anreiz, dass statt der notwendigen die lukrative Medizin gemacht wird. Und sie bringen Kollektivstrafen mit sich: Wird das Kostenziel zum Beispiel im Bereich der Hausarztmedizin überschritten, so werden alle Hausärzte bestraft. Also auch jene, die effiziente und qualitativ herausragende Arbeit leisten.

Was wäre die Alternative?

Das Hauptproblem an der jetzigen Gesundheitspolitik ist: Es werden nur die Mengen vergütet, also die erbrachten Konsultationen, die vorgenommenen Eingriffe und die bezogenen Medikamente. Wir müssen aber dazu übergehen, nebst den Mengen vor allem die Effizienz und die Qualität finanziell zu belohnen. Die Bezahlung der Ärzte und Spitäler sollte also weniger am Input und mehr am Output orientiert sein.

Wie bewerkstelligt man das?

Indem man alternative Versicherungsmodelle im Bereich der integrierten Versorgung stärkt. Die Versicherten sollten nicht nur Einjahres-, sondern auch Mehrjahresverträge auswählen dürfen. Krankenkassen und Ärztenetzwerke sollten auf Vertragsbasis innovative Behandlungsmethoden ausserhalb des Pflichtleistungskatalogs vergüten dürfen, wenn diese zu Kosteneinsparungen führen. Auch beim Einsatz des medizinischen Fachpersonals braucht es mehr Flexibilität, wenn das Netzwerk die Qualitätssicherung und -entwicklung sicherstellt. Krankenkassen könnten auch die Spitalwahl spezifisch auf Spitäler einschränken, die für bestimmte Behandlungen effizienter und qualitativ besser sind als andere – das dürfen sie bereits heute.

«Wie viele Kassen mit guten alternativen Modellen überleben, entscheiden die Versicherten.»

Solche Einschränkungen sind beim Volk unbeliebt.

Deshalb sollte man sie auch nicht für obligatorisch erklären, sondern im Rahmen von freiwilligen Versicherungsmodellen gegen einen Prämienrabatt und für chronisch Kranke gegen eine tiefere Kostenbeteiligung anbieten dürfen. Wenn Krankenkassen und medizinische Versorgungsnetzwerke als Unternehmen noch mehr Spielraum bekommen, um auf Vertragsbasis Effizienz sowie Qualität zu achten, dann bekommt die positive Dynamik der koordinierten medizinischen Versorgung noch mehr Schub.

Wäre das ein gesundheitspolitischer Paradigmenwechsel?

In gewissem Sinn: Ja. Es braucht nicht mehr Planwirtschaft, sondern mehr wirtschaftliche Freiheit. Das Krankenversicherungsgesetz besagt, dass medizinische Leistungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein müssen. Das genügt im Prinzip. Vieles weitere sollte man nicht auf Verordnungs- oder Verbandsebene regeln, sondern auf Vertragsebene, also zwischen einzelnen Krankenkassen und Leistungserbringern. Sie tragen im Gegensatz zu den Verbänden tatsächlich die unternehmerische Verantwortung dafür, welche Leistungen erbracht werden.

Sind die Krankenkassen überhaupt bereit, diese aktive Rolle zu spielen?

Natürlich braucht es dafür eine gewisse Grösse. Deshalb ist die Strukturbereinigung unter den Versicherern noch nicht am Ende. Wie viele Kassen mit guten alternativen Versicherungsmodellen überleben, entscheiden am Schluss die Versicherten.

Im Herbst kommt bereits eine weitere Volksabstimmung: über die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (Efas). Was empfehlen Sie?

Die Vorlage ist etwas kompliziert geraten, aber im Prinzip richtig. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, dass man stationäre und ambulante Leistungen unterschiedlich finanziert.