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EU droht mit Exportsperre
Könnte die Schweiz die Impfstoffproduktion im eigenen Land auf die Beine stellen?

Nationaler Kampf um die Spritze: Impfung mit Moderna-Impfstoff im Pflegeheim in Bern.
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Die Schweiz brauche eine Ausfuhrgenehmigungspflicht, wenn sie Impfstoffe aus der Europäischen Union beziehen wolle, berichtete der «SonntagsBlick». Brüssel kann künftig Exporte verweigern, wenn die Schweiz keine Ausfuhren in die EU zulässt oder wenn sie eine deutlich höhere Durchimpfung aufweist als die EU-Länder.

Die Schweiz fordert zwar, dass sie von dieser Ausfuhrgenehmigungspflicht wieder ausgenommen und der Handel von Covid-19-Impfstoffen sowie von Wirkstoffen nicht eingeschränkt wird. In der «SonntagsZeitung» plädiert Wirtschaftsminister Guy Parmelin für eine Koordination mit Europa «oder mindestens mit unseren Nachbarländern». Mit Frankreich und Deutschland habe man die Idee einer verstärkten Zusammenarbeit diskutiert. (Lesen Sie mehr dazu hier.)

Der aufkeimende Impfstoffnationalismus wirft die Frage auf: Könnte die Schweiz überhaupt im eigenen Land genügend Impfdosen herstellen?

Die Einzigen, die in der Schweiz im grossen Stil Wirkstoffe herstellen und die Impfdosen abfüllen können, sind Lonza respektive Novartis. In ihrer sterilen Abfüllanlage in Stein AG wird Novartis ab Herbst den Biontech-Impfstoff abfüllen.

Novartis baut in Tirol aus

Novartis ist neben Lonza eine der grössten Herstellerinnen von Nukleinsäuren weltweit, die sie für Gen- und Zelltherapien wie etwa Zolgensma benötigt. Allerdings stehen die Anlagen dafür im österreichischen Kundl. Derzeit baut Novartis eine ihrer zwei Anlagen in Tirol für bis zu 20 Millionen Euro aus, um dort ab dem Frühsommer mRNA und den fast fertigen Covid-Impfstoff für das deutsche Biotech-Unternehmen Curevac zu produzieren.

Das Werk der Novartis-Tochter Sandoz in Kundl/Tirol. Hier werden Antibiotika, aber auch die für den mRNA-Impfstoff wichtigen Nukleinsäuren produziert.

Schon vor der Corona-Krise kam es bei Impfungen immer wieder zu weltweiten Versorgungsengpässen. Preisdruck, Globalisierung, Übernahmen unter Pharmakonzernen und die damit einhergehende Konzentration der Anbieterfirmen sind gemäss einer Arbeitsgruppe der Universität Zürich dafür verantwortlich. Die Studie dazu wurde 2018 veröffentlicht. Der Chef der Eidgenössischen Kommission für Impffragen, Christoph Berger, sowie drei andere Wissenschaftlerinnen forderten schon damals, «die Rahmenbedingungen auf allen Stufen (Forschung, Herstellung, Zulassung, Vertrieb) zu überprüfen und Verbesserungen zu evaluieren».

Der Wirtschaftsverband Economiesuisse zielt in einem offenen Brief zusammen mit weiteren Organisationen in die gleiche Richtung: Der Bundesrat soll bis September 2021 ein Konzept zur Versorgungssicherheit mit wichtigem medizinischem Material und Arzneimitteln inklusive Rohstoffen vorlegen. Die Forderungen nach einer nationalen Produktion werden in der Krise lauter.

Auf Inselkurs auch bei der Impfstoffproduktion: Der britische Premierminister Boris Johnson.

Auf die nationale Impfstoffherstellung setzte Grossbritannien gleich zu Beginn der Pandemie. Premierminister Boris Johnson hatte auch ausländische Pharmafirmen dazu angehalten, die bestellten Covid-Impfstoffe vor Ort zu produzieren. Die britische Impfstoff-Taskforce hilft der deutschen Curevac oder der US-Firma Novavax dabei, geeignete Hersteller in Grossbritannien zu finden, und beteiligt sich finanziell beim Aufbau der Anlagen. Das Ziel ist, sich das Zugriffsrecht zu sichern. Deswegen kann Johnson jetzt auch hart gegen Brüssel auftreten.

Ohne Staatsgeld können kleine Länder die Produktion nicht ins Land holen. Doch selbst wenn es schneller gehen soll, braucht es staatliche Unterstützung, wie der Pharmaunternehmer und ehemalige Novartis- Schweiz-Chef, Pascal Brenneisen, sagt. «Public-Private-Partnerships-Verträge sind deshalb ein klassisches Instrument in der Pharmabranche: Immer dann, wenn eine Therapie schneller auf den Markt soll, kann der Staat eine Anschubfinanzierung leisten und zusammen mit Firmen rasch ein lebensrettendes Medikament oder einen Impfstoff zur Verfügung stellen.»

«Wer bei einem Impfstoffkauf aufs Geld schaut, rechnet falsch. Denn er berücksichtigt die wirtschaftlichen Kosten einer Pandemie nicht.»

Daniel Stelter, Ökonom

Soll so schnell wie möglich eine grosse Menge eines neuen Impfstoffes verfügbar sein, braucht es Staatskapital für den Kapazitätsaufbau. «Das ist ein Lehrbuchfall: Wenn in kurzer Frist für ein noch zu erforschendes Produkt, das in riesigen Mengen benötigt wird, die Herstellungskapazität aufgebaut werden soll, dann muss der Staat einspringen», erklärt der deutsche Ökonom Daniel Stelter. Der Autor des Bestsellers «Coronomics» fügt an: «Wer bei einem Impfstoffkauf aufs Geld schaut, rechnet falsch. Denn er berücksichtigt die wirtschaftlichen Kosten einer Pandemie nicht.»

Warum Lonza nach Investoren im Wallis suchte

Genau darum war es vergangenes Jahr bei Lonza gegangen, als Präsident Albert Baehny nach Investoren suchte. Letztes Frühjahr war der Aufbau von drei Moderna-Produktionslinien in Visp für Lonza eine Risikoinvestition, niemand wusste, ob der neuartige Impfstoff die klinischen Versuche überstehen würde. «Mehr Geld dort hineinzustecken, hätte Lonza vor ihren Aktionären kaum rechtfertigen können», betont Sibylle Bischofberger, Analystin der Bank Vontobel.

Inzwischen ist klar, welche Covid-Impfstoffe funktionieren, Risikokapital braucht es keines mehr. Aber Kapital zum Aufbau von Überkapazitäten. In diese investiert kein Unternehmen, um auf einen Schlag so viel Impfstoff wie nötig zu produzieren, damit möglichst viele Staaten gleichzeitig beliefert werden können.