Gastkommentar der KlimajugendKlimaschutz braucht mehr Demokratie, nicht weniger
Wer uns eine antidemokratische Haltung vorwirft, hat nicht verstanden, worum es uns eigentlich geht.
«Wir brauchen ein neues Verständnis von Demokratie, das die Interessen aller von der Klimakrise betroffenen Personen einbezieht.» So drückten wir Klimastreikenden an der Bundesplatz-Besetzung in Bern im September unsere Vorstellungen über die Weiterentwicklung der Politik aus.
Diesen Satz interpretierte Philipp Loser in seiner «Magazin»-Kolumne dann komplett um: «Es braucht nicht viel Fantasie, um dies als Absage an unsere direkte Demokratie zu lesen. Das Ziel ist in den Augen der Aktivisten wichtiger als die Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger.» Konnten Sie dieser geistigen Akrobatiknummer folgen? Wir auch nicht.
Rekapitulieren wir, was geschehen ist. Im Rahmen unserer Aktion stellten wir Forderungen – an die Landwirtschaft, den Finanzplatz und die Demokratie. Der elfseitige Forderungskatalog findet sich für alle zugänglich auf unserer Website.
Uns wird unterstellt, wir dächten über «das Ende unserer Demokratie» nach.
Im Abschnitt «Demokratie» fordern wir eine partizipative Demokratie, einen konsequenten Einbezug wissenschaftlicher Grundlagen in demokratische Entscheidungsprozesse sowie mehr Transparenz. Darauf folgt eine Liste von dreizehn Massnahmen, die diese Demokratisierung möglich machen würden.
Das Ziel sei in unseren Augen wichtiger als die Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger, lesen wir in Herrn Losers Kolumne. Uns wird unterstellt, wir dächten über «das Ende unserer Demokratie» nach. Die Diskrepanz zwischen unseren tatsächlichen Positionen und der Art und Weise, wie sie von dieser Zeitung dargestellt wurden, könnte nicht grösser sein.
Wir haben keineswegs eine antidemokratische Haltung, im Gegenteil, wir beobachten ein massives Demokratiedefizit. So haben Personen ohne Schweizer Pass und unter 18 Jahren kein Mitspracherecht, also jene Gruppen, die am meisten von der Klimakrise betroffen sind und sein werden.
Ausserdem setzt die Lösung der Klimakrise gemäss dem Weltklimarat systemische Veränderungen in unzähligen Bereichen voraus. Die bestehenden politischen Instrumente können darauf keine adäquate Antwort liefern. Die Durchsetzung mittels einer Volksinitiative oder Wahlen dauert schlichtweg zu lange.
Vor dreissig Jahren wäre dies nicht der Fall gewesen, doch das Streben nach kurzfristigem Profit blockierte über Jahrzehnte hinweg eine politische Lösung im bestehenden Rahmen. Deshalb denken wir nicht über das Ende der Demokratie nach, sondern ganz im Gegenteil über eine Ausweitung demokratischer Entscheidungsprozesse auf die Gestaltung aller Lebensbereiche.
Die Jugend sei apolitisch, lautete der Vorwurf. Jetzt, da wir es nicht mehr sind, werden unsere Forderungen ignoriert.
Dies bedeutet insbesondere eine Demokratisierung der Wirtschaft, des Finanzplatzes und des Bodens. Die Macht, zu entscheiden, wofür wir über 40 Stunden die Woche arbeiten, sollte in unser aller Händen liegen und nicht in den Chefetagen der Grosskonzerne, die die Zerstörung unserer Lebensgrundlage vorantreiben. Solange aber nicht das Interesse der grossen Mehrheit – gemäss einer HSG-Studie befürworten 60 Prozent in der Schweiz netto null Treibhausgasemissionen bis 2030 – bestimmend für die wirtschaftliche Produktion ist, sondern die Anhäufung von Profit für das reichste eine Prozent, kann nicht von Demokratie die Rede sein.
Demokratie ist ein offener Prozess, er ist von der aktiven Teilnahme aller Menschen abhängig. Der Klimastreik ist ein Gefäss, in dem viele unterschiedliche Menschen sich gegenseitig zur Demokratie befähigen und sich intensiv über deren Weiterentwicklung Gedanken machen. Denn wir nehmen uns als politische, mündige Subjekte wahr. Vor diesem Hintergrund kann wohl nachvollzogen werden, wie despektierlich es ist, wenn Herr Loser uns vorwirft, «nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Bauch» zu agieren.
Die Jugend sei apolitisch, lautete der Vorwurf bis vor kurzem. Jetzt, da wir es nicht mehr sind, werden unsere Forderungen mit einer zynischen Überheblichkeit diskreditiert und ignoriert. Was wir dringend brauchen, ist ein neues Verständnis von Demokratie, die Klimakrise drängt.
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