Streit um AutobahnKlimajugend fühlt sich von den Grünen verraten
Die deutschen Grünen werben erfolgreich um die politische Mitte, dafür fremdeln die jungen Aktivisten zunehmend mit ihnen. Ein strategisches Dilemma, das der Partei im Wahljahr 2021 zu schaffen machen wird.
Die Wahrheit kann brutal sein. «Nie wieder die Grünen!», haben Umweltschützer auf ein Transparent im Wald gepinselt. 150 Aktivisten kämpfen derzeit in Baumhäusern und Protestcamps gegen eine Schneise durch den Dannenröder Forst. Von der grünen Partei fühlen sie sich verraten und verkauft.
«Ein Wahnsinn!», kommentierte Luisa Neubauer, das bekannteste Gesicht der deutschen Klimajugend, selbst Mitglied der Grünen, die Rodung: «Ich kann nicht glauben, dass wir im Jahr 2020 ernsthaft Ökosysteme gegen Rodungsaufträge einer schwarz-grünen Regierung verteidigen müssen.»
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Die Grünen regieren in Hessen seit 2014 als Juniorpartner der Christdemokraten mit und stellen sogar den Verkehrsminister. Aber gegen den Ausbau der A49 zwischen Kassel und Giessen sind sie machtlos. Frühere Regierungen haben das Projekt durchgesetzt, die Gerichte alle Einwände längst abgelehnt. Nun müssen die Grünen die Autobahn mitbauen, obwohl sie vor Ort früher dagegen gekämpft hatten. «Ihr seid zu spät dran», beschieden sie den jugendlichen Aktivisten kühl. Der Ton verstärkte deren Wut nur noch.
Was nützt Regieren, wenn das Klimaziel am Ende doch nicht erreicht wird?
Die Klimaaktivisten stellen freilich eine Frage, die für die deutschen Grünen in den nächsten Monaten immer unbequemer werden könnte: Was nützt eigentlich Regieren, wenn am Ende doch Wald zerstört und die Autobahn gebaut wird? Und das 1,5-Grad-Ziel unerreichbar bleibt?
Die Grünen in der hessischen Regierung sprechen von Verantwortung: Verträge, die demokratisch und rechtsstaatlich korrekt zustande gekommen seien, müsse man einhalten. Tarek al-Wazir, der stellvertretende grüne Ministerpräsident, beteuert, er habe 40 Jahre gegen die A49 gekämpft. Aber es gehöre zur Demokratie, dass er ihren Bau jetzt durchsetze.
Wie ein Dementi klangen dagegen die Aussagen der von der Empörung der Klimajugend aufgeschreckten Parteichefs in Berlin: «Der Weiterbau der A49 ist verkehrspolitisch, umweltpolitisch und klimapolitisch falsch», sagte Annalena Baerbock. Anton Hofreiter, Chef der Fraktion im Bundestag, forderte einen sofortigen Bau- und Planungsstopp für alle neuen Autobahnen und Bundesstrassen in Deutschland.
Der Widerspruch wurde von den Medien genüsslich aufgespiesst. Die Grünen demonstrierten in Hessen quasi gegen sich selbst, kommentierte die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung». «Emotional kann sich die Partei wenig gegen den Eindruck wehren», meinte die «Zeit», «dass zwischen regierenden und opponierenden Grünen eine Kluft liegt, die grösser ist als ein paar Hektar Wald.» Wer als Veränderungspartei schon vor ein paar Verwaltungsvorschriften einknicke, riskiere die Glaubwürdigkeit.
Kurs auf die Mitte
Auf jeden Fall wirft der Streit im Dannenröder Forst ein grelles Licht auf das strategische Dilemma, in dem die Grünen stecken. Keine Partei hat von der Jugendbewegung «Fridays for Future» mehr profitiert als sie. In deren Sog stiegen sie in den Umfragen über 20 Prozent und wetteiferten einige Zeit lang sogar mit den Christdemokraten um Platz eins.
Vor 40 Jahren noch selbst aus einer radikalen Protestbewegung entstanden, öffnete sich die Partei gleichzeitig programmatisch der bürgerlichen Mitte. Nicht mehrheitsfähige Extremforderungen, die die neuen Wähler verschrecken könnten, mied man. Lieber warb man mit Regierungserfahrung und der Aussicht, dass nach der Bundestagswahl 2021 eine Regierung ohne die Grünen nicht mehr möglich sein dürfte.
Den Klimaaktivisten ist das freilich nicht genug. «Wollt ihr regieren oder das Klima schützen?», schmettern sie den Grünen entgegen. Luisa Neubauer antwortete auf die Frage, ob ihre Partei zu wenig radikal sei: «Ich würde eher von fehlendem Realismus sprechen, wenn man sich ansieht, wie drastisch und radikal die Klimakrise ist.»
«Schwarz-Grün verhindern» avanciert bei der Klimajugend gerade zu einem beliebten Schlachtruf. Der wahrscheinlichste Ausgang der Wahlen im nächsten Jahr, eine Koalition von CDU/CSU und Grünen also, wäre für die Aktivisten der reinste Horror. «Wir haben keine Zeit für weitere vier Jahre Lobbypolitik, die als gesellschaftlicher Kompromiss verkauft wird», schimpft Neubauers Mitstreiterin Line Niedeggen.
Bildet sich neben den Grünen bald eine neue, radikale, sozusagen dunkelgrüne Partei?
Bereits zeigen sich im ökologischen Lager ernste Risse. In Baden-Württemberg und Hessen, wo die Grünen regieren beziehungsweise mitregieren, bilden sich überall unabhängige «grüne Listen», die die radikalen Forderungen der Klimajugend eins zu eins vertreten. Auch die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) wird in manchen Bundesländern zu einer ernsthaften Alternative.
Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, warnt bereits davor, dass die grünen Listen bei der Landtagswahl im März die Vormacht der Grünen als stärkster Partei gefährdeten. Spaltungen des ökologischen Lagers zu verhindern und dennoch bündnisfähig zu bleiben, wird 2021 eine der zentralen Herausforderungen für die Grünen werden.
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