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Klage gegen NGOs
«1000 Franken Genugtuung? Das ist lächerlich»

DONGYING, CHINA - NOVEMBER 15: An aerial view of tugboats push the crude oil tanker 'VESNA' from Singapore to a reception terminal of Dongying port on November 15, 2023 in Dongying, Shandong Province of China. (Photo by Zhou Guangxue/VCG via Getty Images)
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Der grausame Bürgerkrieg in Libyen könnte nicht weiter weg sein. Doch am Freitag spielte er im kalten und schmucklosen Raum im Untergeschoss der Berner Staatsanwaltschaft, wo das Regionalgericht Bern-Mittelland tagte, die eigentliche Hauptrolle. Denn als ab dem Jahr 2014 der Krieg im Land tobte, sollen ausländische Firmen von der Notlage des Landes profitiert haben.

Die Nichtregierungsorganisationen Public Eye und Trial International haben im März 2020 einen Bericht veröffentlicht, in dem sie der Firma Kolmar mit Sitz in Zug vorwerfen, über ein Netzwerk illegaler Akteure in den Export und Schmuggel von Gasöl libyscher Herkunft nach Malta verwickelt gewesen zu sein oder das zumindest in Kauf genommen zu haben.

Kolmar weist den Vorwurf zurück. Kurz nach Erscheinen des Berichts reagierte die Firma mit einer Gegendarstellung. Darin hält sie fest: «Kolmar Group AG war nie in illegale Aktivitäten, insbesondere Schmuggel, verwickelt. Kolmar Group AG wurde noch nie durch eine Strafverfolgungs-, Aufsichts- oder Gerichtsbehörde betreffend die im Bericht von Public Eye/Trial International genannten Angelegenheit kontaktiert oder im Rahmen irgendwelcher Ermittlungen oder Untersuchungen befragt.»

Im Plädoyer bezeichnet der Anwalt von Kolmar die Darstellung im Bericht als «äusserst ehrverletzend». Zuvor habe die Firma einen tadellosen und guten Ruf gehabt. Dieser sei nun schwer beschädigt.

Die Firma hat daher die drei für die Recherche des Berichts verantwortlichen Personen, zwei Frauen und einen Mann, wegen übler Nachrede angezeigt. Sollten die Autorinnen und der Autor deswegen schuldig gesprochen werden, drohen ihnen Bussen über mehrere Tausend Franken.

1,8 Millionen Dollar Schadenersatz gefordert

In einem separaten Zivilprozess geht es um deutlich mehr Geld. Dort fordert die Firma von den Nichtregierungsorganisationen 1,8 Millionen Dollar Schadenersatz. In einem dritten Verfahren ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen Gasölgeschäften in Libyen. Ihre Untersuchung richtet sich aber nicht gegen Kolmar, sondern gegen unbekannt.

Wie wichtig das Strafverfahren in Bern für beide Seiten ist, zeigt sich daran, dass die Anwälte von Kolmar unbedingt eine drohende Verjährung verhindern wollen. Und daran, dass die Anwälte der beschuldigten NGO-Vertreter mit einem juristischen Kniff dafür sorgten, dass nachträglich aufgetauchte Beweismittel aus dem Zivilprozess nun auch im Strafverfahren verwendet werden konnten.

Im unterkühlten Keller der Berner Staatsanwaltschaft ging es nun um die Frage, ob der Autor und die Autorinnen bei ihren Recherchen sauber gearbeitet haben. Einer der Anwälte von Kolmar sagte: «Die Beschuldigten müssen belegen, dass es stimmt, was sie geschrieben haben oder, dass sie gute Gründe gehabt haben, um das zu schreiben.»

Richterin Gysi seziert den Text

Gerichtspräsidentin Andrea Gysi befragte die drei Beschuldigten jeweils einzeln zu entscheidenden Textpassagen des Artikels. So heisst es etwa im Bericht: «War Kolmar als Komplizin an Plünderung beteiligt? (…) Angesichts dieser Faktenlage ist es denkbar, dass sich die Zuger Gesellschaft zur Komplizin von Plünderung gemacht hat – einem internationalen Kriegsverbrechen.» Einer der Beschuldigten sagt, es sei eine Frage, sie werfe die Möglichkeit auf, dass es so sein könne. Die Fragestellung sei dadurch gerechtfertigt, da sich die Bundesanwaltschaft ebenfalls mit dem Thema beschäftige.

Die Anwälte von Kolmar bestreiten hingegen, dass es im Land zur fraglichen Zeit überhaupt zu Plünderungen gekommen sei. Erst Jahre nachdem Kolmar sich aus den Geschäften mit libyschem Gasöl zurückgezogen hat, seien Gerüchte aufgetaucht, dass es in einer Raffinerie zu illegalen Verkäufen an Schmuggler gekommen sei.

«Im Artikel steht, dass Kolmar das Öl unter Marktpreis gekauft habe, was ein Warnsignal für zweifelhafte Geschäfte sei. Wieso haben Sie das gewusst?», fragte die Richterin. Die Beschuldigten geben zur Auskunft, dass die italienische Wirtschaftspolizei Guardia di Finanza eine gute Quelle für libysche Ölgeschäfte und die dort gezahlten Preise gewesen sei. Durch andere Quellen sei dann der Zusammenhang zu Kolmar hergestellt worden. «Wir haben daher geschrieben, dass es möglich sei, dass Kolmar weniger bezahlt habe. Wir haben das aber nie als definitive Tatsache dargestellt», so eine der Beschuldigten.

Laut den Anwälten von Kolmar hatte die Firma keine wesentlich tieferen Preise als Marktpreise bezahlt.

In einer dritten Passage, über die Richterin Gysi mehr wissen wollte, heisst es, dass die Positionsmelder der Tanker, die Gasöl transportiert hätten, in heiklen Momenten ausgeschaltet worden seien. Das Gasöl wurde später von Kolmar übernommen. Auch gegen diese Behauptung wehrt sich Kolmar. Denn die Firma habe keinen Einfluss auf die Betreiber der Tanker gehabt, und die Positionsmeldung sei damals auch keine Vorschrift gewesen.

Beschuldigte würden nichts am Artikel ändern wollen

Neben den Bussen fordert Kolmar 1000 Franken Genugtuung von den drei NGO-Vertretern. Eine der Beschuldigten sagt: «Das ist lächerlich, mit allem gebotenen Respekt.» Ihr Kollege ergänzte: «Wir haben den Artikel veröffentlicht, weil wir davon ausgingen, dass es ein öffentliches Interesse daran gibt.» Vier Jahre später würde er nichts an dem Text ändern, weil die drei sehr exakt und vorsichtig gearbeitet hätten. Der Artikel habe aber so viel Arbeit und Stress beschert, dass er eine Genugtuung gebraucht habe.

Die Busse wäre wohl verschmerzbar, doch die Niederlage wäre ein Problem für das zivilrechtliche Verfahren. Dieses kann für die NGO existenzbedrohend sein. Bei den 1,8 Millionen Dollar handelt es sich laut Public Eye um den höchsten Betrag, der je in der Schweiz von einer Nichtregierungsorganisation für eine angebliche Verletzung der Persönlichkeitsrechte gefordert wurde.

Im letzten Jahr haben sich in der Schweiz mehr als ein Dutzend NGOs zusammengeschlossen, um sich gemeinsam gegen Einschüchterungsklagen, sogenannte Slapps, zu wehren. Slapp steht für «strategic lawsuit against public participation» oder auf Deutsch «strategische Klage gegen die öffentliche Beteiligung». Laut der Allianz nehmen diese Klagen sowohl gegen NGOs als auch gegen Medienunternehmen zu.

Sicher ist: Den Ausgang des Verfahrens in Bern wird das Gericht in Zug zur Kenntnis nehmen. Ein Freispruch für die Recherchierenden der NGOs würden die Chancen des Ölhändlers auf Schadenersatz verschlechtern. Jedoch würde ein Sieg in der Strafklage die Aussichten darauf verbessern.

Das Urteil wird in den kommenden Wochen bekannt gegeben. Es ist davon auszugehen, dass es von einer der Parteien weitergezogen wird.