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Pläne mit Nuklearenergie
In Afrika boomt die Atomkraft

This photograph taken on February 6, 2024 shows a general view of the Koeberg Nuclear Power Station, on the outskirts of Cape Town. (Photo by RODGER BOSCH / AFP)
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In Kürze:
  • Kenias Regierung plant den Bau eines Atomkraftwerks im Osten des Landes.
  • Umweltaktivist Anthony Kingi führt den Widerstand gegen das AKW-Projekt an.
  • In Afrika gibt es einen allgemeinen Trend zur Kernkraftnutzung.
  • Das russische Unternehmen Rosatom bietet umfassende Kernenergieprojekte für Afrika an.

Türkisblaues Meer, schroffe Felsen, vom Wind gepeitschte Palmen: Die Küste vor Uyombo im Osten Kenias ist ein schönes Postkartenmotiv. Noch. Denn bald könnte hier Kenias erstes Atomkraftwerk entstehen. Anthony Kingi muss man nicht fragen, was er davon hält. Es reicht ein Blick auf das Auto, mit dem er an die Küste gekommen ist. «Sitaki Nuclear» verkündet der Aufkleber auf dem Tankdeckel. Kisuaheli für «Atomkraft, nein danke».

Kingi (53) führt in Uyombo den Widerstand gegen das AKW an. Die etwa 8000 Einwohner des Dorfs lehnen den Plan fast ausnahmslos ab. Sie fürchten um ihre Heimat. Um die Mangrovenwälder, um ihre Lebensgrundlage als Fischer oder Bauern. Als Mitarbeiter der Atombehörde Nupea im Mai den Standort an der Küste besichtigen wollten, gab es Proteste mit Verletzten und Festnahmen.

Doch Kingi ist nicht nur gegen ein Atomkraftwerk in Uyombo. Er ist gegen ein Atomkraftwerk in Kenia. Das Land sei bereits massiv verschuldet, sagt er. Und in keiner Weise vorbereitet. Es gebe weder Expertise noch ein stabiles Stromnetz. Was, wenn ein Unfall passiert? Wenn Strahlung austritt? «Wir haben Sonne und Wind im Überfluss», sagt Kingi. «Warum nutzen wir nicht, was die Natur uns gibt?»

Regierung spricht von Ergänzung zu erneuerbaren Energien

Kenias Regierung zeigt sich von den Protesten unbeeindruckt. Sie bekräftigt seit Monaten, dass das Land auf Kernenergie setzen will. 2027 soll mit dem Bau des Atomkraftwerks begonnen werden, 2034 soll es fertig sein. Uyombo ist als Standort noch nicht bestätigt. Aber Anthony Kingi glaubt, dass die Entscheidung gefallen ist. «Es ist ein Rennen», sagt er: «Welches Land in Afrika kriegt seinen Reaktor als Erstes? Für unsere Bedenken bleibt da keine Zeit.»

Tatsächlich steht Kenia mit seinen nuklearen Ambitionen nicht allein da. In Afrika ist ein Atom-Boom ausgebrochen. Bislang gibt es auf dem Kontinent genau ein Kernkraftwerk, in Südafrika. Nun will fast die Hälfte der afrikanischen Staaten auf die eine oder andere Art einsteigen. Ihre Hoffnung: Atomkraft werde helfen, ihre wachsenden Bevölkerungen endlich verlässlich mit Energie zu versorgen. Die Frage ist nur: Ist das realistisch?

Befürworter der Kernenergie preisen sie als emissionsfreie Alternative zu Öl, Gas oder Kohle. Rafael Grossi, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), spricht von einem «internationalen Konsens» darüber, dass Atomkraft für Energiesicherheit und gegen die Erderwärmung nötig sei. Auch Kenias Regierung betont: Kernkraft sei keine Abkehr von den erneuerbaren Energien – die im Land 90 Prozent des Strombedarfs decken –, sondern eine Ergänzung.

Anteil von Atomstrom an weltweiter Energiegewinnung sinkt

Doch global gesehen verliert die Technik an Bedeutung. Wegen Sicherheitsbedenken, aber vor allem wegen hoher Preise und langer Bauzeiten. Die Strommenge, die durch Kernkraftwerke erzeugt wird, ist seit Jahren recht konstant. Ihr Anteil an der weltweiten Energiegewinnung aber sinkt.

Laut World Nuclear Industry Status Report 2024 liegt er aktuell bei 9,1 Prozent. 1996 waren es 17,5 Prozent. Vor allem Peking sorgt dafür, dass der Wert nicht noch weiter absinkt. Seit 2004 wurden weltweit 104 Atomreaktoren vom Netz genommen, 102 neue kamen dazu – fast die Hälfte davon in China. (Lesen Sie zum Thema: 30 Staaten kündigen beschleunigten Ausbau von Atomkraft an.)

China gehört nun auch zu den Staaten, die um den Aufbau einer Nuklearindustrie in Afrika wetteifern. Unter anderem will Peking Uganda und Nigeria zu Atomkraftwerken verhelfen. Auch Washington ist ins Rennen eingestiegen. Die USA veranstalteten 2023 erstmals einen amerikanisch-afrikanischen Nukleargipfel in Ghana. Selbst Iran will mitmischen und unterzeichnete kürzlich ein Nuklearabkommen mit Burkina Faso.

Kämpft gegen den Bau eines Atomkraftwerks in Kenia: Umweltaktivist Anthony Kingi.

Ein anderes Land ist da schon viel weiter: Russland. Das Staatsunternehmen Rosatom hat mit etwa 20 afrikanischen Staaten Abkommen über eine nukleare Kooperation abgeschlossen, die oft auch den Bau von Atomkraftwerken enthält. Zuletzt kam im Juli Mali dazu, einer der drei Sahel-Staaten, die sich nach Militärputschen vom Westen losgesagt und mit Russland verbündet haben. Und anders als die Konkurrenz baut Rosatom tatsächlich weltweit Kraftwerke, aktuell etwa in Ägypten.

Rosatom, sagt Kacper Szulecki vom Norwegian Institute of International Affairs, biete nicht nur ein aus Sowjetzeiten bewährtes Fortschrittsversprechen, das in Afrika bis heute verfange. Als einziges Unternehmen liefere es eine Art Rundum-sorglos-Paket. Rosatom kümmere sich um den Bau des Kraftwerks, um Infrastruktur, Finanzierung, Personal und nehme sogar den radioaktiven Abfall zurück. Staaten, die bei Rosatom ein Atomkraftwerk kaufen, können dieses über Jahrzehnte abstottern. Oder sie belassen es in Rosatoms Besitz – und bezahlen für den Strom.

Viele afrikanische Länder haben instabile Stromnetze

Die zweite Variante wählte die Türkei, als sie 2010 bei Rosatom ihr erstes Atomkraftwerk in Auftrag gab. Einmal fertiggestellt, soll es zehn Prozent des türkischen Strombedarfs decken. Mehr erlaubt die IAEA nicht. Doch auch so, sagt Szulecki, seien Russlands Möglichkeiten, über die Kraftwerke Druck auf die jeweiligen Staaten auszuüben, «immens».

Doch nicht nur Szulecki hat Zweifel, dass Afrikas Atom-Träume wahr werden. Die Stromnetze vieler afrikanischer Länder sind chronisch instabil – und damit kaum geeignet für einen Atomreaktor, dessen Kühlung eine stabile Stromversorgung erfordert. Und sie sind vergleichsweise klein. So klein, dass der Anteil eines konventionellen Atomkraftwerks in fast allen Ländern Afrikas jenseits der erlaubten zehn Prozent läge.

Fraglich ist zudem, ob jene Staaten, die nun nach Afrika drängen, überhaupt liefern können. China errichtet fleissig Reaktoren zu Hause, doch im Ausland hat es bisher nur in Pakistan gebaut. Der amerikanische AKW-Bauer Westinghouse musste 2017 vor der Pleite bewahrt werden, in den USA ist kein einziges Kraftwerk im Bau. Der französische Konzern EDF baut ein Kraftwerk in England, dessen Fertigstellung sich seit Jahren verzögert und immer teurer wird. Und selbst Rosatom, das den Weltmarkt dominiere, sei an seinen «Kapazitätsgrenzen angekommen», sagt Szulecki.

Laut Experte spielt Geopolitik eine zentrale Rolle

Grosse Hoffnungen, auch mit Blick auf Afrika, setzt die Industrie in eine neue Generation von Kraftwerken. Diese sollen kleiner und billiger sein, schneller gebaut werden können und weniger Atommüll produzieren. Ein Small Modular Reactor (SMR) entsteht derzeit etwa in Ruanda, gebaut von einer deutsch-kanadischen Firma. Allerdings nur zu Testzwecken. Von Marktreife und Wettbewerbsfähigkeit ist die Technologie noch Jahre entfernt.

Auch deshalb halten manche Afrikas Atom-Boom für ein Luftschloss. Für einen Überbietungswettbewerb leerer Ankündigungen, um im neuen kalten Krieg Verbündete zu gewinnen. «Es geht mehr um Geopolitik als um Energiepolitik», sagt Hartmut Winkler, Physiker an der Universität Johannesburg und Co-Autor des World Nuclear Industry Status Report. «Es würde mich nicht überraschen, wenn in Afrika am Ende kein einziges Atomkraftwerk gebaut würde.»

Wer das Atomkraftwerk an Kenias Ostküste bauen soll, steht jedenfalls noch nicht fest. Die Regierung ist mit den USA im Gespräch, hat aber auch Kooperationen mit China und Russland vereinbart. Anthony Kingi in Uyombo sagt, dass es ihm egal sei, wer das Rennen mache. Er wird in jedem Fall wieder auf die Strasse gehen.