Wende in Kernkraft-DebatteMehrheit der Bevölkerung will AKW-Neubauverbot wieder aufheben
53 Prozent stützen laut Umfrage den Kurswechsel des Bundesrats in der Atompolitik. Die Frauen konnte Energieminister Albert Rösti jedoch noch nicht überzeugen. Die Resultate.
- Der Neubau von Atomkraftwerken erhält in der Schweiz mehr Unterstützung.
- Eine Umfrage zeigt, dass 53 Prozent der Befragten dies befürworten.
- Geschlechtergraben: Mehr Frauen als Männer lehnen neue AKW ab.
Jetzt kippt die Stimmung im Volk: Eine Mehrheit spricht sich dafür aus, den Bau neuer Atomkraftwerke wieder zu ermöglichen. Dies zeigt eine aktuelle Umfrage von Tamedia und 20 Minuten, die in Zusammenarbeit mit dem Institut Leewas entstanden ist. 53 Prozent sagen demnach Ja oder eher Ja, 43 Prozent Nein oder eher Nein.
Der Bundesrat hat die AKW-Debatte Ende August neu lanciert. Auf Antrag von Energieminister Albert Rösti entschied die Regierung, das Neubauverbot für Atomkraftwerke aufheben zu wollen – obwohl dieses erst 2017 vom Volk mit einem Ja-Anteil von 58 Prozent der Stimmen bestätigt wurde.
Die Umfrage zeigt nun erstmals, dass der neue Kurs des Bundesrats in der Bevölkerung eine Mehrheit findet. Anfang September hatte eine Befragung des Instituts Demoscope noch ein knappes Nein hervorgebracht.
Atomfreunde sehen sich bestätigt
«Mich erstaunen die Umfrageergebnisse nicht», sagt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Die Leute hätten gemerkt, dass die Stromversorgung ohne neue AKW nicht machbar sei. Beim Ausbau der Fotovoltaik, Wasserkraft und Windenergie gebe es zu viele Blockaden. «Die Menschen wollen den Druck auf die Landschaft nicht noch mehr erhöhen.»
Erfreut zeigt sich auch das Komitee hinter der Stopp-Blackout-Initiative, die ebenfalls auf eine Aufhebung des Neubauverbots zielt. «Wir haben schon bei der Unterschriftensammlung gemerkt, dass sich die Bevölkerung eine sichere Stromversorgung mit Bandenergie wünscht», sagt Vanessa Meury, Präsidentin des Energie-Clubs Schweiz. «Lange war die Kernenergie in der Schweiz ein Tabu. Das ändert sich jetzt wieder.»
Grosser Gendergap
Die Umfrage fördert allerdings auch einen Geschlechtergraben zutage. Die Hälfte der Frauen will am Neubauverbot festhalten, nur 44 Prozent sind für eine Aufhebung. Bei den Männern hingegen stützen 63 Prozent den Plan des Bundesrats. Das ist insofern nicht überraschend, weil Frauen generell sensibler für Umweltthemen sind. «Der Bundesrat beschloss den Atomausstieg, als es eine Frauenmehrheit gab», sagt Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone. Aber eine sichere Stromversorgung sei unabhängig vom Geschlecht wichtig.
Das Resultat der Umfrage will Mazzone nicht überbewerten. «Wir sind erst am Anfang der Debatte. Bisher hörten die Leute nur die Argumente von Bundesrat und AKW-Lobbyist Albert Rösti.» Sie ist überzeugt, dass das Neubauverbot nicht aus dem Gesetz entfernt werden muss. «Neue AKW sabotieren die Energiewende und sind eine Gefahr für eine sichere Stromversorgung.» Deswegen habe das Parlament erst diese Woche neue AKW abgelehnt.
«Ein neues AKW ist sowieso chancenlos»
In der Tat hat der Nationalrat am Donnerstag einen Vorstoss der SVP, der neue AKW ermöglichen wollte, mit 99 zu 85 Stimmen abgelehnt. Ausschlaggebend war die Mitte, die beinahe geschlossen dagegen stimmte. Allerdings gab es keine grosse Diskussion. Die wird erst folgen, wenn der Bundesrat die angekündigte Gesetzesänderung dem Parlament vorlegt.
Auch SP-Nationalrat Roger Nordmann hat den Vorstoss abgelehnt. «Ein neues AKW ist sowieso chancenlos», sagt er. Die Stromkonzerne distanzierten sich, und bei der Technologie gebe es nach wie vor keinen Durchbruch. «Wenn die Leute merken, was ein neues AKW kostet und wo neue Endlager für den Abfall gebaut werden, wird der Widerstand markant steigen.» Zudem sei der Zubau der Erneuerbaren auf Kurs. «Innerhalb von sechs Jahren erstellen wir so viele Anlagen, die das AKW Leibstadt ersetzen.»
Mitte-Wählerschaft schwenkt ins AKW-Lager
Wenn man die Umfrage nach Parteisympathie aufschlüsselt, zeigt sich ein klassischer Links-rechts-Graben. Die Grünen lehnen die Aufhebung des Neubauverbots mit 81 Prozent am klarsten ab. Das ist nicht weiter erstaunlich. Der Widerstand gegen die Atomenergie gehört zur DNA der Partei. Bei der SP liegt der Nein-Anteil bei 73 Prozent, bei den Grünliberalen bei 59 Prozent. Dann kippt es aber. Die Mitte-Anhängerschaft will neue AKW ermöglichen (52 Prozent Ja). Bei der FDP liegt die Unterstützung bei 77 Prozent, bei der SVP bei 82 Prozent.
«Die Resultate der Umfrage sind interessant», sagt Mitte-Nationalrat Nicolò Paganini. «Die Sorge um die Versorgungssicherheit mit Strom hat zugenommen. Dies stelle ich auch in der Mitte fest.» Er selbst hat noch nicht entschieden, ob er die Streichung des Neubauverbots unterstützen wird. «Das kommt darauf an, was der Bundesrat in der Botschaft dann zur Finanzierung von neuen Kernkraftwerken sagt und für welche Szenarien er diese Gesetzesänderung überhaupt für hilfreich hält.» Grundsätzlich sei er aber offen, diese Diskussion zu führen.
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