Mitfavoritin an der Tour de FranceNach 1770 Tagen siegte sie wieder – und war schockiert
Kasia Niewiadoma hat dieses Jahr endlich wieder einmal ein Rennen gewonnen. Dabei war der Polin gar nicht bewusst, dass sie so lange nie mehr zuoberst stand. Wie sie das geschafft hat.
Die Unterhaltung ist fast immer die gleiche. Sie geht so:
«Was machst du beruflich?»
«Ich bin Radfahrerin.»
«Bist du schon mal die Tour de France gefahren?»
Kasia Niewiadoma lacht: «Und wenn du dann Nein sagst, hast du schon mal den Stempel Amateurin.» Und wenn sie dann wie bis vor zwei Jahren noch erklären muss, dass die Tour der Frauen nur ein Tagesrennen ist, dann wird auch grad der ganze Sport für unprofessionell befunden.
Die 29-jährige Polin erzählt die Episode am Telefon. Sie sitzt im Auto. Sie ist den ganzen Tag unterwegs. «Es ist immer das gleiche Problem, an den Ruhetagen will ich einfach zu viel machen.» Ruhetage sind bei ihr in den vergangenen Wochen rar. Auf einen Trainingsblock in der Höhe von Andorra folgte das olympische Strassenrennen in Paris, das sie als 8. beendete. Am Montag – und damit nur acht Tage später – beginnt die Tour de France Femmes.
Kasia Niewiadoma wurde 2023 Gesamtdritte
Denn Niewiadoma ist weder Amateurin, noch ist der Frauenradsport unprofessionell. Die Tour de France Femmes ist mittlerweile eine Rundfahrt mit acht Etappen und einem spektakulären Schluss am Sonntag auf der Alpe d’Huez. Im vergangenen Jahr wurde Niewiadoma Gesamtdritte, diesmal will sie den Sieg. Sie weiss selbst, dass sie dafür die Dominatorinnen dieses Sports schlagen muss, aber: «Ich gehe nicht in die Tour und sage, ich werde Zweite. Ich habe ein Feuer in mir.»
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Es ist das gleiche Feuer, das Niewiadoma zum Radsport brachte. Ihr erstes Rennvelo bekam sie von ihrem Vater, da war sie 15. Er wollte, dass sie mit ihm zusammen an einem Rennen teilnimmt. Das tat sie – und gewann. Der darauffolgenden Einladung für ein Trainingslager sagte sie zu, weil sie mal verreisen wollte, «mal raus aus meiner Heimatstadt, Leute kennen lernen, Spass haben. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da einliess.» Eigentlich wollte sie sich überhaupt nicht auf dem Rad quälen, aber eben, dieses Feuer, das war damals schon da.
Während der Trainings merkte sie bald, dass sie auch Jungs hinter sich liess. «Ich mochte dieses Gefühl, und darum habe ich immer weitergemacht.» Der Entschluss festigte sich, als sie an Europameisterschaften merkte, dass es auch andere Radfahrerinnen gab, manchmal sogar reine Mädchenteams. Daheim war sie die einzige Frau im Club. Sie kam beim Team Rabobank unter, für das sie vier Jahre fuhr. Seit 2018 ist sie bei Canyon//SRAM unter Vertrag.
Niewiadoma hofft auf Sieg bei Tour de France Femmes
Sieben Jahre sind eine lange Zeit im schnelllebigen Profisport. Aber Niewiadoma fühlt sich wohl. «Wir sind zusammen gewachsen in dieser Zeit, die Leute im Team haben viel über mich gelernt, und ich über sie.» Niewiadoma schätzt zum Beispiel, dass sie wie eine Erwachsene behandelt wird. Im Profisport sei es viel zu oft so, dass Athletinnen und Athleten wie Kinder behandelt würden.
Dieser Rückhalt des Teams hat ihr gerade in den vergangenen Jahren geholfen. Nach dem Exploit am Amstel Gold Race im April 2019, das sie gewann, folgte eine Durststrecke: Bronze an der WM 2020, Zweite im Giro-Gesamtklassement, Bronze an der WM 2021, ein paar zweite Plätze bei Klassikern, Dritte bei der Tour. Während dieser ganzen Zeit fehlte: ein Sieg.
1770 Tage nach ihrem letzten Triumph auf der Strasse gewinnt sie dann im April 2024 das Eintagesrennen Flèche Wallonne. Nach eintausendsiebenhundertsiebzig Tagen. «Als ich das hörte, war ich schockiert», erzählt Niewiadoma. Denn was bei anderen Sportlerinnen eine Sinnkrise hervorgerufen hätte, hat die Polin gar nicht bemerkt.
«Ich hatte in meiner Karriere viele Momente, in denen ich sehr hart zu mir war, mich kritisiert oder unter Druck gesetzt hatte, und das hat nie zu einem guten Ergebnis geführt.» Also hat sie gelernt, die Dinge, die nicht so liefen, wie sie wollte, zu analysieren. Aber auch die Positiven. «Ich stand in dieser Zeit fast 40-mal auf dem Podest, gewann das Bergtrikot der Tour de France, ich hatte das Gefühl, dass ich auch Fortschritte mache.»
Und wenn sie doch mal merkt, dass sie zu viel analysiert, hat sie auch gelernt, abzuschalten: «Manchmal musst du dich auch einfach ablenken vom Rennsport, von dieser Besessenheit, die Beste sein zu wollen und auf jedes Detail zu achten.»
Dann schnappt sie sich ihr Velo, ihren Mann, ihre Freunde, und zusammen fahren sie los. Einfach so. Manchmal mitten in der Nacht. Und ohne Licht. Wie in ihrer Kindheit, als sie sich aufs Rad setzte und sich einfach frei und unabhängig fühlte.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.